Die Türkei am Abgrund

Der türkische Präsident Erdogan treibt sein Land an den Rand eines Bürgerkrieges. Der Westen hält sich mit Kritik auffallend zurück.

15.04.08-Erdogan

Der Machtmensch

Recep Tayyip Erdogan ist ein Machtpolitiker allererster Güte. Das ist nicht verwerflich, davon gibt es in der Riege der europäischen Demokraten – zu denen sich der türkische Präsident noch immer zählt –  sehr viele. Allerdings: keiner betreibt sein Geschäft in derart pervertierter Form wie Erdogan. Er ist zerfressen von  Machtgier und bereit, für seine Ziele den   Frieden im eigenen Land zu opfern.

Ein politischer Amoklauf

Dass die Türkei in diesen Tagen ins Chaos treibt, ist die Schuld des Präsidenten. Auslöser für seinen politischen Amoklauf sind die Parlamentswahlen im vergangenen Juni. Damals verlor seine Partei, die islamisch-konservative AKP,  die absolute Mehrheit. Grund dafür war der Erfolg der pro-kurdischen HDP, die mit mehr als zehn Prozent der Stimmen den Sprung ins Parlament schaffte. Recep Tayyip Erdogan setzt nun alles daran, dieses demokratische Ergebnis zu seinen Gunsten zu korrigieren. Die Marschroute auf dem Weg zur Rückeroberung der uneingeschränkten Macht ist offensichtlich. Zuerst ließ die AKP die Koalitionsverhandlungen scheitern, dann setzte Erdogan als Staatschef kurzerhand für den 1. November Neuwahlen an.

Das Ziel: die HDP diskreditieren

Das nächste Ziel ist es, die Kurdenpartei HDP zu diskreditieren und sie unter die Zehn-Prozent-Hürde zu drücken. Dazu treibt er sein eigenes Land an den Rand eines Bürgerkrieges. Erdogan schürt den Konflikt mit den Kurden gezielt, schlägt mit seinen Hassreden einen Keil in die Gesellschaft, um am Ende als starker Mann und Retter der Türkei auftreten zu können. Dafür instrumentalisiert er auch die  Staatsanwaltschaft. Sie ermittelt nun gegen HDP-Chef Selahattin Demirtas  wegen Propaganda für eine Terrororganisation.

Es herrscht Pogromstimmung

Zumindest ein Teil seines Planes geht auf: in der Türkei herrscht seit Wochen eine Pogromstimmung. Ein nationalistischer Mob zündet kurdische Geschäfte an und macht regelrecht Jagd auf Kurden. Auf der anderen Seite überzieht die kurdische Terrororganisation PKK das Land mit Anschlägen auf Polizeistationen und Kasernen. Es zählt zu den historischen Verdiensten Erdogans, dass er einst als Premierminister die Aussöhnung mit den Kurden mutig voran getrieben hat. Doch das alles ist jetzt nur noch Stoff für die  Geschichtsbücher, die Regierung in Ankara lebt wieder im Kriegszustand. Das alles erinnert an die dunklen Jahre türkischer Politik, als die Militärs das Sagen hatten – und doch geht der Konflikt nun viel tiefer.  War es früher eine Auseinandersetzung zwischen dem Staat und der PKK, droht nun eine gesellschaftliche Auseinandersetzung zwischen den Türken und den Kurden.

Die Region ist ein Pulverfass

Wer je die Hoffnung hegte, die Türkei könne zu einem demokratischen Anker in der islamischen Welt werden, zu einem Vorbild für die Nachbarn, einer Brücke zwischen Europa und den arabischen Ländern, der kann sich von dieser Vorstellung  verabschieden. Und wer glaubt, das alles sei nur ein innenpolitisches Problem der Türkei, der irrt. Die gesamte Region gleicht einem Pulverfass. In den Nachbarstaaten toben blutige Kriege, islamische Fanatiker befinden sich auf dem Vormarsch, Millionen Flüchtlinge strömen über die Grenzen. Das sind Entwicklungen, die den Frieden und die Freiheit in der ganzen Welt bedrohen. Gerade in dieser Zeit bräuchte es eine weitsichtige politische Führung in der Türkei.

Einsilbiger Westen

Diese Bedrohungen sind allerdings auch der Grund, weshalb die westlichen Regierungen angesichts des Vorgehens Erdogans auffallend einsilbig sind. Der Nato-Partner Türkei wird für den Kampf gegen die islamischen Terroristen in Syrien und im Irak noch gebraucht. Und in Brüssel wissen die Verantwortlichen sehr genau, dass die türkische Regierung ohne Probleme einen unglaublichen Flüchtlingsstrom von Millionen Menschen in Richtung Europa auslösen könnte. In diesem Sinne haben sich die Realpolitiker im Westen mit dem Machtpolitiker in Ankara arrangiert.

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