Die EU-Innenminister haben sich überraschend auf die Verteilung von 120 000 Flüchtlingen innerhalb Europas geeinigt. Was auf den ersten Blick wie ein Erfolg aussieht, hat den Graben innerhalb der EU nur noch weiter vertieft. Denn es war eine Entscheidung mit der Brechstangen, sie fiel gegen die Stimmen von Ungarn, Rumänien, Tschechien und die Slowakei.
In den ungarischen Zeitungen wird der Streit um den Umgang mit den Flüchtlingen mächtig vorangetrieben.
Ein Zeichen der Spaltung
Einer Lösung des Flüchtlingsproblems ist Europa keinen Zentimeter näher gekommen. Das Zeichen, das vom Gipfel ausging, ist eher ein Zeichen der Spaltung, denn der Solidarität. „Heute ist der gesunde Menschenverstand verlorengegangen!“ Der tschechische Innenminister Milan Chovanec hat nach der Entscheidung jegliche diplomatische Zurückhaltung fahren lassen. Über Twitter machte er seinem Zorn Luft und sprach von einer „leeren Geste“. Der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka hatte noch kurz vor dem Treffen rechtliche Bedenken gegen den Plan vorgebracht.
Dabei kann man bei dem ketzigen Ergebnis nicht einmal von einem kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den EU-Staaten sprechen. Von einer verpflichtenden Quote ist keine Rede mehr, die Aufnahmezahlen sind eine einmalige Aktion, ein dauerhafter Verteilungsschlüssel nicht in Sicht. Vom dringend benötigten neuen EU-Asylsystem ist die Gemeinschaft damit noch meilenweit entfernt.
Monatelanger Streit
Dieses beschämende Ergebnis war allerdings abzuehen. Der Entscheidung war ein monatelanger Streit voran gegangen, der ein abgestimmtes Vorgehen der Europäer in der Flüchtlingskrise unmöglich machte. Nach dem Scheitern eines Innenministertreffens in der vergangenen Woche hatte unter anderem Deutschland für die nächste Sitzung mit einem Mehrheitsbeschluss gedroht. Offenbar wurde noch bis zur letzten Minute versucht, die Konfrontation zu vermeiden – allerdings vergeblich.
Die Entscheidung wirft nun ihren Schatten auf den Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am Mittwochabend. Nach den Plänen von EU-Ratspräsident Donald Tusk soll sich das Treffen vor allem auf das Vorgehen gegen Fluchtursachen wie Armut oder Krieg und Möglichkeiten zur besseren Sicherung der EU-Außengrenzen konzentrieren. Dass bei den Treffen aber weiter über die Entscheidung der Innenminister gestritten wird, macht eine Äußerung des tschechischen Präsident Milos Zeman deutlich. Er hat ungeschminkt die Hoffnung geäußert, dass der EU-Gipfel am Mittwoch die Entscheidung widerruft. „Ministerpräsidenten stehen über Innenministern. Ich nehme an, es gibt eine gewisse Hoffnung, dass der Europäische Rat diese Entscheidung widerruft“, sagte Zeman am Dienstag in Prag. Er gab allerdings zu, dass die Hoffnung gering sei, da die Mehrheit für die Umverteilung groß gewesen war. „Nur die Zukunft wird zeigen, welch ein Fehler dies war“, sagte er.
Streit zwischen Kroatien und Serbien
Wie sehr die Flüchtlingskrise das Verhältnis zwischen den Staaten belastet, zeigt auch ein Wortgefecht zwischen Serbien und Kroatien. Erst nachdem Serbien seinem Nachbarn Kroatien ein Ultimatum gesetzt hat, hat Belgrad die Grenze wieder geöffnet. Serbiens Regierungschef Aleksandar Vucic hatte der EU und Kroatien mit nicht näher beschriebenen „Gegenmaßnahmen“ gedroht. Er werde nicht zulassen, dass Kroatien sein Land „erniedrigen und dessen Wirtschaft zerstören kann“, hatte er wissen lassen. Sein kroatischer Amtskollege Zoran Milanovic hatte ihn wegen des Ultimatums mit den Worten angegangen „Mensch, komm mal runter!“.
Es geht um Menschen und letztendlich auch um Geld. Hier ein Überblick:
Rund 500 000 Menschen sind in diesem Jahr vor Armut und Krieg aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie Afrika nach Europa geflohen.
120 000 Flüchtlinge sollen in den nächsten beiden Jahren aus Griechenland, Italien und vielleicht auch Ungarn in andere Länder verteilt werden sollen.
Auf die Verteilung von 40 000 Flüchtlinge in Griechenland und Italien haben sich die EU-Mitglieder bereits verständigt.
Rund 350 000 Menschen sind in diesem Jahr allein in Griechenland angekommen.
Rund 4 Millionen syrische Flüchtlinge leben im Moment im Libanon, Jordanien und der Türkei.
6000 Euro sollen EU-Staaten für die Aufnahme jedes Flüchtlings bekommen, der sich zurzeit in Griechenland, Italien und eventuell Ungarn befindet.