Die EU befindet sich in einem Zwiespalt. Zum ist klar, dass die Flüchtlingskrise nicht ohne die Türkei unter Kontrolle gebracht werden kann – man will sich also mit Kritik zurückhalten. Zum anderen kann man die eklatanten Rückschritte in Sachen Demokratie nicht unkommentiert lassen. Der Fortschrittsbericht der EU-Kommission macht dieses Dilemma deutlich. Hier der Link zu dem EU-Bericht
Erdogan kann die Kritik an seinem Land nicht verstehen
Gravierende Defizite
Die Demokratiedefizite sind so gravierend, dass sich die EU nicht zurückhalten konnte und der Türkei ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis ausstellte. Insgesamt gebe es in dem Land „einen negativen Trend beim Respekt der Rechtsstaatlichkeit und grundlegender Rechte“, erklärte die EU-Kommission in ihrem Bericht zu dem Beitrittskandidaten. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn fand bei der Präsentation dann doch überraschend deutliche Worte. Über das vergangene Jahr hinweg habe es in der Türkei „bedeutende Mängel“ bei der Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz sowie der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gegeben, unterstrich er. Hahn verwies auf „steigenden Druck und Einschüchterung von Journalisten und Medienunternehmen“. Zudem kritisierte er das türkische Internet-Gesetz, das die Sperrung bestimmter Inhalte erlaubt. Und: die jüngste Eskalation der Gewalt im Osten und Südosten des Landes habe darüber hinaus „zu ernster Besorgnis mit Blick auf Menschenrechtsverletzungen geführt“.
Lob für die Flüchtlingspolitik
Nur ein Punkt fand das Wohlgefallen der EU: Hahn lobte die Türkei für ihr Engagement in der Flüchtlingsfrage und die Aufnahme von mehr als zwei Millionen Menschen aus Syrien und Irak. Zuvor hatte Brüssel im Rahmen der angestrebten Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik Ankara eine Wiederbelebung der Verhandlungen in Aussicht gestellt. Auch über Visumsfreiheit für Geschäftsleute war offensichtlich geredet worden. Kritiker hatten daraufhin der EU vorgeworfen, zu unterwürfig gegenüber Ankara zu agieren.
Die Türkei und die EU verhandeln seit Ende 2005 über einen Beitritt, die Gespräche stecken aber seit Jahren fest. Bisher wurde erst eines von 35 Verhandlungskapiteln abgeschlossen. Im Rahmen der angestrebten Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik hatte die EU Ankara eine Wiederbelebung der Verhandlungen in Aussicht gestellt. Aber auch wenn die Türkei in dieser Frage für Europa wichtig ist, darf Brüssel sich nicht seine Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte abkaufen lassen.
Und was sagt die Türkei zu den Rüffeln im EU-Fortschrittsbericht? Die Politiker in Ankara halten das alles für „ungerechter“ Kritik – was auch sonst.