Der ewige Streit ums Gas

Russland hat die Gaslieferungen an die Ukraine eingestellt. Das teilte der russische Konzern Gazprom mit. Moskau hatte den Lieferstopp kurz zuvor wegen unbezahlter Rechnungen bereits angedroht. Russland und die Ukraine hatten eigentlich im September ein Abkommen unterzeichnet, das die Gasversorgung bis März garantieren soll. 
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Gas-Krise mit Ansage

Die Krise kommt jedes Jahr so sicher wie der erste Frost. Seit sich die Ukraine aus dem Staatenbund der Sowjetunion verabschiedet hat, streiten sich Moskau und Kiew jedes Jahr um die Gaslieferungen. Einmal stellt Russland die Zuverlässigkeit der Ukraine als Transitland in Zweifel, ein anderes Mal steht der Vorwurf im Raum, Kiew zapfe unerlaubt die Pipelines an – aber immer geht es ums Geld. Die Staaten der Europäischen Union sind dabei mehr als nur interessierte Beobachter. Das hat zwei Gründe: Europa hängt stark von den Gaslieferungen aus Russland ab. Zum anderen führen wichtige Leitungen in Richtung Westen mitten durch die Ukraine. Rund die Hälfte der russischen Gasexporte nach Europa wird über diese Leitungen abgewickelt.
Zuletzt kamen weit über 30 Prozent der deutschen Gasimporte aus Russland. Noch wichtiger ist der ungehinderte Energiefluss für die Baltenstaaten, Finnland, Slowakei und Bulgarien. Sie versorgen sich zu 100 Prozent mit russischem Gas. Das heißt: wenn Moskau dem Nachbarn Kiew den Hahn abdreht, bleiben in vielen europäischen Staaten die Heizungen kalt.

Probleme für Südosteuropa

Als der Streit zwischen Russland und der Ukraine im Winter 2008/2009 eskalierte traf es die Länder in Südosteuropa besonders hart. Ihre Abhängigkeit von russischem Gas, das durch die Ukraine fließt, ist besonders hoch, zudem sind ihre Speichermöglichkeiten relativ gering. In Bulgarien mussten in jenem Winter zahlreiche Schule geschlossen werden, vor allem alte Menschen litten unter der Kälte, Brennholz und Kohle wurden durch die Nachfrageflut zur Mangelware.
Angesichts der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem von Russland unterstützen Krieg in der Ostukraine stehen auch vor diesem Winter die Zeichen auf Sturm.
Einen kleinen Vorgeschmack lieferte ein Lieferstopp im vergangenen Sommer. Der russische Energiekonzern Gazprom war der Ukraine vor, eine Rechnung nicht bezahlt zu haben. Kurz zuvor waren die von der EU begleiteten Preisverhandlungen zwischen den beiden Ländern gescheitert. Wegen der warmen Witterung hatte Kiew keine Probleme, den Gasverbrauch aus anderen Quellen zu decken – doch mit einbrechendem Winter wäre das nicht mehr möglich sein.

15.11.24-Abnehmer von russischem Gas

Vermeintliche Lösung im Oktober

Aus diesem Grund machte sich im Westen Erleichterung breit, als sich beide Länder vor wenigen Wochen ungeachtet der schweren politischen Differenzen auf die Gasversorgung für den kommenden Winter geeinigt haben. Über Monate waren die zähen Verhandlungen unter Vermittlung der Europäischen Union in Brüssel gelaufen. Die aktuelle Vereinbarung soll den Gasfluss von Oktober 2015 bis Ende März 2016 sichern. Noch im Oktober soll die Ukraine zwei Milliarden Kubikmeter vom russischen Energiekonzern Gazprom kaufen. Russland soll der Ukraine für diesen Zeitraum Gaspreise gewähren, die den Preisen für die Nachbarstaaten vergleichbar sind.
Der Einfluss Russlands auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage in Europa durch die Gaslieferungen ist nicht zu unterschätzen. Laut den Statistiken des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) zufolge kamen 2014 weit über ein Drittel der Gaseinfuhren aus Russland, das vor Norwegen das wichtigste Lieferland war. Da Deutschland 91 Prozent seines Gasbedarfs importiert muss, warnen Kritiker vor daraus folgenden großen Abhängigkeiten. In der Tat ist Erdgas kein Nischenprodukt. Es spielt im deutschen Wärmemarkt eine immense Rolle. Fast die Hälfte aller Wohnungen hierzulande werden laut Statistik des Bundeswirtschaftsministeriums mit Erdgas beheizt. Letztlich wird ein Fünftel des nationalen Energieverbrauchs durch Erdgas gedeckt.

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Russland liefert auch Öl

Oft vergessen wird darüber hinaus, dass Russland auch beim Erdöl Deutschlands führender Lieferant ist: Rund ein Drittel der Importe stammten 2014 laut Bafa von dort. Kein anderes Herkunftsland hat einen annähernd so großen Anteil an diesem strategisch nicht minder wichtigen Rohstoff. Auch viele andere Staaten sind hochgradig auf Lieferungen aus Russland angewiesen. Insgesamt deckte Russland nach Informationen der EU-Statistikbehörde Eurostat 2010 rund 35 Prozent der Rohöl-, etwa 32 Prozent der Erdgas- und 27 Prozent der Steinkohleimporte aller EU-Mitgliedstaaten.
All das hat aber noch nicht dazu geführt, dass Europa gegenüber Russland als geeinter Abnehmer auftritt. Bislang handelt jedes EU-Land einzeln die Bedingungen zum Beispiel mit dem russischen Anbieter Gazprom aus. Das will Brüssel ändern. Angedacht ist, dass die EU-Kommission Teil eines Verhandlungsteams ist, wenn zwischen Staaten wichtige Lieferverträge besprochen werden. Wenn mehrere EU-Länder gemeinsam und gebündelt auf Gas-Shopping-Tour gingen, so die Idee, dann ließen sich sicher bessere Preise aushandeln. Allerdings wollen sich die Einzelstaaten, gerade auch Deutschland, bei Energieverträgen nur ungern über die Schulter schauen lassen. Energiepolitik ist weitgehend nationale Angelegenheit. Das ist auch der Grund dafür, dass man bislang in Europa weniger von einer „Energie-Union“ als vielmehr von – mal besser mal schlechter miteinander verbundenen – „Energie-Inseln“ spricht
Die Abhängigkeit Europas von Russland in Sachen Energie ist kein Zufall. Die Großmacht hat die größten Gasreserven der Welt, vor allem in Westsibirien wird der Rohstoff in riesigen Mengen aus dem Boden geholt und über ein sehr gut ausgebautes Pipeline-Netz bis nach Europa transportiert. Die Hauptleitungen führen neben der Ukraine auch über Weißrussland, seit 2011 ist die Nord Stream-Pipeline unter der Ostsee in Betrieb.

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Lieferung nie wirklich unterbrochen

Der Energieexport von Russland nach Westdeutschland begann bereits 1973 mitten im Kalten Krieg und wurde auch in Zeiten erhöhter Spannungen zwischen den Blöcken nie unterbrochen. Erst seit die Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine immer wieder zu Lieferschwankungen geführt haben, wir diese Abhängigkeit auch öffentlich als ein Problem gesehen. Seit Jahren versucht die EU deswegen, die Abhängigkeit von Russland im Gassektor durch alternative Routen für Pipelines und neue Kontakte zu anderen Lieferanten zu reduzieren. Nach Angaben der Statistiker von Eurostat zeigten diese Maßnahmen durchaus Wirkung. Russlands Anteil an den Gasimporten der Gesamt-EU im Jahr 2003 lag noch bei 45 Prozent, sank also bereits deutlich.
Allerdings ist es technisch nicht einfach, die Einfuhr von Gas zu diversifizieren, wie es im Jargon der Fachleute heißt. Neue Pipelines sind extrem teuer und sind zudem verwundbare Ziele etwa für Terroristen. Der Transport von tiefgekühltem Flüssiggas in Tankschiffen aus entfernteren Ländern wie Westafrika oder den USA gewinnt erst neuerdings an Bedeutung, erfordert aber auch hohe Investitionen in Infrastruktur.

Kontroverse der Experten

Experten diskutieren die Risiken der Abhängigkeit von russischen Lieferungen durchaus kontrovers. Viele halten Russland und den Staatskonzern Gazprom aufgrund deren eigener wirtschaftlicher Interessen für generell verlässliche Partner – ganz nach dem Motto, mit dem ein saudischer Ölminister 2001 Debatten über einen etwaigen neuen Öllieferstopp der OPEC abwürgte: „Die beste Waffe, die man haben kann, ist Geld.“ Das Bundeswirtschaftsministerium wiederum gibt sich betont gelassen. Dort wird darauf hingewiesen, dass die deutschen Importe  „relativ breit diversifiziert“ seien und die Versorgung auf langfristigen Verträgen basiere.

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