Die osteuropäischen Staaten Tschechien, Slowakei, Polen und Ungarn haben Zweifel geäußert, dass die Türkei und Griechenland den Flüchtlingsstrom in die EU eindämmen können. Deshalb hätten sie am Montag über einen Plan B gesprochen, um die Grenzen Mazedoniens und Bulgariens zu schützen, sagte der slowakische Ministerpräsident Robert Fico nach dem Treffen der sogenannten Visegrad-Staaten in Prag. „Wir verlassen uns darauf, dass der Aktionsplan zwischen der Europäischen Union und der Türkei funktioniert“, sagte er nach dem Gipfel. „Ich muss aber zugeben, dass ich ziemlich pessimistisch bin.“

Ungarische Soldaten beim Bau des Zaunes an der Grenze
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Osteuropäer wollen verstärkte Grenzen
Die osteuropäischen Staaten der Visegrad-Gruppe wollen notfalls eine Abschottung der mazedonisch-griechischen Grenze, um Flüchtlinge abzuwehren. Dies läuft allerdings Plan A zuwider, den Bundeskanzlerin Angela Merkel durchsetzen will: die Stärkung der EU-Außengrenzen. Und diese beginnt weiter im Süden, nämlich an der türkisch-griechischen Grenze. Aus beiden Vorhaben ergeben sich Spannungen, die die kommenden Tagen prägen werden. Denn am Donnerstag prallen beide Konzepte auf dem EU-Gipfel aufeinander
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Als die Planungen der Polen, Tschechen, Ungarn und Slowaken bekannt wurden, schrillten in Berlin die Alarmglocken. Denn wenn die Osteuropäer zusammen mit Ländern wie Österreich oder Bulgarien die Südgrenze des Nicht-EU-Landes Mazedonien auch mit eigenen Soldaten dichtmachen würden, gäbe es nach Ansicht der Bundesregierung zwei Opfer. Zum einen wäre ihr eigener Ansatz untergraben, alles dafür zu tun, die Außengrenzen der EU zu schützen und in Italien und Griechenland funktionsfähige Verteilzentren für syrische Flüchtlinge einzurichten.
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Das zweite Opfer wäre Griechenland. Denn solange immer noch Tausende Flüchtlinge aus der Türkei in das Euro-Land kommen, diese aber nicht mehr weiter nach Norden reisen könnten, würde sich eine wachsende Zahl stauen. Das könnte das ohnehin angeschlagene Land ins Chaos stürzen. Davor hat Ministerpräsident Alexis Tsipras seine Partner bereits mit dramatischen Worten gewarnt. Das wollen Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier trotz allen Ärgers darüber, dass Griechenland Verpflichtungen als Schengen-Außenstaat nicht erfüllt, auf keinen Fall zulassen.
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Kampf der Konzepte
Steinmeier hat die deutschen Botschafter in den Visegrad-Ländern nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt angewiesen, den dortigen Regierungen klipp und klar zu sagen, was man von einem osteuropäischen Sonderweg hält: nichts. Das ist schon ungewöhnlich genug für eine sonst sanfte deutsche Diplomatie. Aber es zeigt, was aus Sicht des Außenministeriums auf dem Spiel steht.
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Zudem haben Steinmeier und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel allen sozialdemokratischen EU-Regierungschefs, Außenministern und Parteivorsitzenden einen Brandbrief geschrieben. Darin wird den Osteuropäern einerseits ein Angebot gemacht. „Wir sind bereit, zusätzliche Maßnahmen an den Binnengrenzen Europas zu ergreifen, die eine bessere Kontrolle und ein effektiveres Management der Flüchtlingsströme ermöglichen“, schreiben beide SPD-Politiker. Auch die EU-Kommission hat am Montag deutlich gemacht, dass sie Mazedonien weitere zehn Millionen Euro zur Verfügung stellt, um die Situation an der Grenze zu Griechenland zu verbessern.
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Brüssel und Berlin warnen
Andererseits warnen sowohl die Bundesregierung als auch die Kommission, dass sich nicht ein Trupp osteuropäischer Staaten allein auf den Weg machen sollte. „Für uns alle aber sollte dabei die unabdingbare Voraussetzung sein: Solche Maßnahmen müssen gemeinsam vereinbart werden, und sie dürfen nicht einseitig gegen einen Mitgliedsstaat gerichtet sein“, schreiben Steinmeier und Gabriel.
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Undiplomatisch ausgedrückt: Der Ärger ist groß, dass sich die Osteuropäer nicht nur bei der Aufnahme von Flüchtlingen verweigern, sondern auch einen anderen EU-Staat ins Chaos stürzen könnten. „Man kann nicht einfach Europas Außengrenzen neu definieren, und das noch über den Kopf betroffener Mitgliedstaaten hinweg“, warnen Steinmeier und Gabriel. Kanzlerin Merkel sieht dies nicht anders. Offen werfen die Sozialdemokraten den Osteuropäern vor, das Klima in der EU mit dem Vorschlag des Ausschlusses Griechenlands aus dem Schengen-Raum zu vergiften. Die vier Regierungen ließen die Lage am Montag bei ihrem Treffen in Prag zunächst nicht weiter eskalieren, sondern setzen auf die Zeit nach dem EU-Gipfel – und andere wichtige Verbündete.
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Seehofer springt Merkel bei
CSU-Chef Horst Seehofer etwa reagierte diplomatisch hart: Nun solle man Merkel erst einmal die Möglichkeit geben, auf dem EU-Gipfel zu versuchen, die Sicherung der Außengrenzen hinzubekommen, sagte er auf die Frage nach den Plänen der Visegrad-Staaten. Das klingt versöhnlich, bedeutet aber nur, dass Seehofer nach dem EU-Gipfel wieder nach dem Plan B rufen wird. Er selbst habe bereits mit allen osteuropäischen Regierungschefs gesprochen, sagte Seehofer.
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Genau das ist für Merkel Teil des Problems, weil es als Drohung verstanden wird. Seehofer wird sie sicher nicht ermutigt haben, ihr Vorhaben aufzugeben. Aber den offenen Konflikt mit der CSU scheut man weiter, weil es einer offen zerstrittenen Bundesregierung noch schwerer fallen dürfte, Solidarität in der EU zu organisieren.
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INFO: Das Visegrad-Bündnis
Im Jahr 2000 wurde das Forum durch seine bis heute einzige formelle Institution ergänzt, den Visegrad-Fonds mit Sitz im slowakischen Bratislava. Er fördert grenzüberschreitende Regionalprojekte und vergibt Stipendien. Das Bündnis funktioniert formlos.
Die Visegrad-Gruppe lebt von regelmäßigen Treffen ihrer Regierungschefs und Staatspräsidenten in dem Land, das gerade den Vorsitz innehat. Die jährlich wechselnde Präsidentschaft liegt bis Mitte 2016 bei Tschechien. Prag hat dafür das Motto „V4 Trust“ gewählt, also gemeinsames Vertrauen.