Satire kann weh tun. Sie ist bisweilen böse, übertreibt oft, spitzt zu und verzerrt charakteristische Züge von Personen. Gute Satire kann aber auch eine aufklärerische Funktion haben, sie kann dem Betrachter die Augen öffnen, denn sie zeigt die Wirklichkeit, wie sie tatsächlich ist.

Erdogan mag keine Witze über sich hören.
Ein Test für die Humorkompetenz
Satire ist aber weitaus mehr, sie ist auch ein Test für die Humor- und Ironiekompetenz der Beschriebenen. Dass der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf diesem Feld sehr wenig Spaß versteht, hat er im eigenen Land bereits mehrere Male bewiesen. Kaum ein Karikaturist in der Türkei ist vor seinem Zorn sicher.
Dass der Staatschef seine vermeintlichen Feinde sogar im Ausland verfolgt, ist allerdings eher ungewöhnlich. Nun aber hat das türkische Außenministerium den deutschen Botschafter wegen eines NDR-Satirebeitrags über den Präsidenten einbestellt. Aus Diplomatenkreisen heißt es, die türkische Seite habe sogar verlangt, die Sendung zu löschen. Dieser Vorgang lässt äußerst tief blicken und sagt sehr viel über Erdogan, sein überbordendes Selbstbewusstsein und auch sein Demokratieverständnis aus. Allerdings müssen auch Deutschland und der ganze Rest Europas mächtig ins Grübeln kommen. In diesem Sinne hat die Satire ihre Wirkung bereits entfaltet.
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Ein grotesker Vorgang
Bei Lichte betrachtet spielt sich allerdings ein ziemlich grotesker Vorgang ab: der nicht gerade zuschauerstarke NDR sendet zur nicht gerade besten Sendezeit ein kurzes, zweiminütiges Spottliedchen mit dem Titel „Erdowi, Erdowo, Erdogan“, das nicht einmal besonders witzig ist. Der Rest der Welt hätte davon keine Notiz genommen, würde der türkische Präsident den Fall nicht zur Staatsaffäre aufblasen.
Deutlich wird, wie dünnhäutig Erdogan ist und seine Maßstäbe verrutscht sind. Überall witterte er Intrigen und Verschwörungen und versteht jede Art von Kritik als eine Art Majestätsbeleidigung. Zuletzt brachte er nicht nur Journalisten und Blogger vor Gericht, sondern auch einfache Bürger, darunter Jugendliche, die sich wegen „Präsidentenbeleidigung“ verantworten müssen.
Protestierer werden zu Terroristen
Erdogan, einst angetreten, um die verkrusteten Strukturen des Staates mit demokratischen Mitteln zu zerbrechen, offenbart inzwischen despotische Züge. Die Demokratie ist in seinen Händen zum Deckmantel verkommen, unter dem er rücksichtslos die eigene Macht zementiert. Friedliche Protestierer werden zu Terroristen abgestempelt. Und wenn das Internet zensiert wird, dann ist das natürlich kein Schlag gegen die Meinungsfreiheit, sondern der Staat wird vor dem Ausspionieren von Staatsgeheimnissen geschützt.
Im aktuellen Fall des NDR wird Erdogan allerdings erkennen müssen, dass die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland nicht durch rasende Machtpolitiker beschnitten werden. Und dennoch darf Deutschland den Vorfall nicht als Lappalie abtun. Beachtlich ist, dass der türkische Präsident sich auf diese rüde Weise in die deutsche Pressefreiheit einmischt – und die Regierung in Berlin offensichtlich zur Erfüllungsgehilfin Ankaras herabwürdigt.

Erdogan ist immer wieder Ziel des Spotts.
Europa in Erdogans Hand
Erdogan tut das, weil er glaubt, Europa in der Hand zu haben. Sein Pfand sind Hunderttausende von Flüchtlingen, die in der Türkei Schutz vor dem Bürgerkrieg in Syrien gesucht haben. Die EU ist darauf angewiesen, dass Ankara diese Massen zurückhält, da Brüssel kein eigenes, funktionierendes Konzept zur Lösung dieser Krise hat. Aus diesem Grund schweigt Europa: wenn türkische Kampfjets kurdische Dörfer angreifen und tausende Zivilisten töten, wenn wieder einmal Journalisten ins Gefängnis geworfen werden, wenn der Staat ausgehöhlt und die Gewaltenteilung ausgehebelt wird.
Es ist an der Zeit, dass Europa Erdogan entschiedener entgegen tritt und deutlich macht, dass in Europa nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts gilt. Vielleicht können die Politiker dazu von den Journalisten des NDR lernen. Sie haben den Staatschef mit ihren eigenen Mitteln geschlagen: sie haben Erdogan wegen des unverhofften Werbeauftritts zum Mitarbeiter des Monats ernannt. Satire in seiner schönsten Form.
Nachtrag:
Die Journalisten von „extra3“ können es offensichtlich nicht lassen. Warten wir auf die Reaktion von Erdogan.
Vielleicht unser letzter Tweet… #Erdogan pic.twitter.com/2rcVWVB3Wp
— extra3 (@extra3) 29. März 2016
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