Ljudmila Alexejewa polarisiert. Viele Russen verachten sie als Verräterin. Manche aber verehren die 88-Jährige als Kämpferin für die Demokratie in Russland. Im Ausland gilt Ljudmila Alexejewa als Ikone der Bügerrechtsbewegung – weshalb sie nun vom Bundespräsidenten Joachim Gauck empfangen wird. Das ist ein deutliches Zeichen, inmitten der schwersten Ost-West-Krise seit dem Kalten Krieg.

Nach fast dreijähriger Pause wird Ljudmila Alexejawa wieder Mitglied des Menschenrechtsrates in Russland
Eine wortstarke Frau
Schweigen ist ihre Sache nicht. Immer wieder schaltet sich die 88-jährige Leiterin der Moskauer Helsinki-Gruppe wortstark in aktuelle Diskussionen ein – sei es über den Konflikt in der Ukraine oder über die Beschränkung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Zumindest im Ausland wird ihr Einsatz gewürdigt. 2009 erhielt sie das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland als „herausragende moralische Autorität“, den Sacharow-Preis des EU-Parlaments oder auch den Václav-Havel-Menschenrechtspreis.
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Gratulation an Ludmilla Alexejewa! Würdigung d Einsatzes f #Menschenrechte, insb #Rechtsstaatlichkeit in #Russlandhttp://t.co/F0VSNPI1Te
— Christoph Strässer (@ChStraesser) 29. September 2015
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Geboren wurde Ljudmila Alexejewa am 20. Juli 1927 in Jewpatorija auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim, die sich Russland 2014 gegen internationalen Protest und den Widerstand der Ukraine nach einem Referendum einverleibt hatte. Während zahlreiche Russen die Annexion als „Wiedervereinigung“ begrüßen, verurteilt die Menschenrechtlerin den Schritt. Sie sei erschüttert, dass der Bruch des Völkerrechts vielen Landsleuten egal sei, sagte sie einmal im Interview. „Ich habe 2007 gesagt, in zehn Jahren werde Russland eine Demokratie sein. Es wird länger dauern.“
Im Visier des KGB
Als Initialzündung für ihr politisches Handeln nennt die Grande Dame der russischen Menschenrechtsbewegung die Entstalinisierung in der Sowjetunion der 1950er Jahre. Die schonungslosen Schilderungen der Gräuel in den Arbeitslagern (Gulag) unter dem Diktator Josef Stalin (1878-1953) hätten sie und viele andere schockiert, sagt Alexejewa. Die damalige Geschichtslehrerin traf immer öfter mit Dissidenten zusammen und geriet in Moskau ins Visier des berüchtigten Geheimdienstes KGB.
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Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa: «Ich verzweifle an den stockfinsteren Lügen!» http://t.co/aJrmKbjJHn #Russland pic.twitter.com/EeiFtI5Uxp
— Jürg Vollmer (@juergvollmer) 31. März 2014
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Es folgten Hausdurchsuchungen, Berufsverbot und schließlich 1977 die Ausbürgerung, weil sie angeblich als Agentin ihrem Land schade. Nach Jahren im US-Exil kehrte sie 1993 nach Moskau zurück. Ihren Sitz im Menschenrechtsrat des Präsidenten Wladimir Putin gab die aufrechte Dame 2012 aus Protest gegen demokratische Rückschritte ab. Die Zusammenarbeit hat sie mittlerweile wieder aufgenommen. „Man kann als Mitglied mehr für die Bürgerrechte tun“, begründet sie den Schritt.
Kritik am Westen
Dem Westen wirft Alexejewa vor, sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 nicht genug um Russland gekümmert zu haben. „Es hätte Gelegenheiten gegeben, uns klarer zu zeigen: Wir erkennen euch als europäisches Volk an“, sagte sie einmal.
In Russland nimmt die Repression der liberalen Opposition durch die Staatsmacht wieder zu. Grund ist wohl auch die Parlamentswahl Mitte September. Ljudmila Alexejewa gibt sich aber kämpferisch: „Die sowjetische Machtführung hat uns Angst und Schrecken eingejagt, aber wo ist sie jetzt? Wir arbeiten weiter!“
Hier noch ein Lesetip aus der Süddeutschen Zeitung. Alexejawa über Russland und sein imperiales Gehabe.