Neustart in St. Petersburg

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland steckt in der Krise. Nun will man wieder enger zusammenarbeiten, ohne allerdings ihre Meinungsunterschiede auszublenden. Der aktuell stattfindende „Petersburger Dialog“ könnte ein guter Einstieg sein. Vor allzu großen Erwartungen sei allerdings gewarnt.

16.07.15-Peterburger Dialog

Sieht nicht gerade spannend aus, ist aber eine interessante Veranstaltung – der Peterburger Dialog 2016

Über die brisanten Themen lange geschwiegen

Der „Petersburger Dialog“ war im Grunde tot. In den 15 Jahren seines Bestehens war er zu einer Folkloreveranstaltung zwischen Deutschland und Russland verkommen. Wichtige und brisante Themen wurden tunlichst ausgeschwiegen oder bis zur Unkenntlichkeit verklausuliert diskutiert. Diese Konfliktscheu kam vor allem der russischen Seite entgegen, denn dort bestand allenfalls in der Anfangsphase das Interesse, die kritischen Stimmen im eigenen Land zu Wort kommen zu lassen. Die Deutschen haben das über Jahre akzeptiert.

Grundlegende Reformen

Nun also der Neuanfang. So bitter es klingt: die Denkpause nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine hat dem „Petersburger Dialog“ offensichtlich gut getan. Zumindest auf deutscher Seite wurde das Format grundsätzlich reformiert. Der exklusive Club wurde grundsätzlich umgekrempelt von deutscher Seite um eine ganze Reihe von russlanderfahrenen und unabhängigen Nichtregierungsorganisationen erweitert. Nun sitzen etwa die für Russland eher unbequemen Vertreter von Anmesty International oder Greenpeace mit am Tisch. Auch im Vorstand des „Petersburger Dialogs“ sind die Reformkräfte vertreten und mit Ronald Pofalla wurde ein neuer Vorsitzender installiert, der sich nicht scheut, auch die schwierigen Fragen anzusprechen.

Das ist wichtig, denn das offizielle Russland ist zu einem schwierigen Gesprächspartner geworden. Internationale Selbstisolation, militärische Aggression gegenüber europäischen Nachbarstaaten wie die Ukraine oder Georgien und systematische Unterdrückung kritischer Kräfte im eigenen Land machen den Dialog mit dem Kreml äußerst schwer. Aber gerade deshalb ist es wichtig, dass Deutschland und Russland im Gespräch bleiben.

Kein Kuschelkurs mit Russland

Das hat auch Roland Pofalla bei dem aktuellen Treffen in St. Peterburg unterstrichen. Es gebe keine Alternative zum Gespräch, lautet sein Kredo gleich zu Beginn der Veranstaltung  – aber der deutsche Verhandlungsführer machte im selben Atemzug deutlich, dass das er keinen Kuschelkurs einschlagen will. Pofalla kritisierte die russische Einverleibung der Krim als völkerrechtswidrig und prangerte auch Moskaus Unterstützung für Separatisten in der Ostukraine an.

Auch ein weiteres brisantes Thema wurde angesprochen. Vertreter der russischen Zivilgesellschaft klagten in St. Petersburg über Repressionen vonseiten der Führung in Moskau. Sie äußerten unter Kritik an einem Gesetz, demzufolge sich Nichtregierungsorganisationen mit Zuschüssen aus dem Ausland selbst als „ausländische Agenten“ bezeichnen müssen.

Erstaunte Russen

Die russische Seite muss sich wohl erst an diese neue Offenheit gewöhnen. Deren Delegationsleiter Viktor Subkow sagte zur Kritik lediglich, die russischen Gesetze seien derzeit eben so. Eine solche Haltung ist an Zynismus und Gleichgültigkeit wohl kaum zu überbieten.

Diese Reaktion zeigt, dass bei der Verständigung zwischen Deutschen und Russen nicht allein auf den „Petersburger Dialog“ gesetzt werden darf.  Auf russischer Seite sitzen noch immer vorwiegend kremltreue Vertreter oder sogar direkte Freunde des Präsidenten Wladimir Putin. Unabhängige Geister oder kritische Medienvertreter sucht man vergebens. Aus diesem Grund ist es auch praktisch ausgeschlossen, dass der „Petersburger Dialog“ in die russische Gesellschaft ausstrahlt. Ziel muss es sein, abseits dieses offiziellen Forums auch andere Gesprächskanäle zu finden, um die normalen Menschen in Russland erreichen. Dieses Ziel ist umso wichtiger, da die Propaganda des Kremls täglich auf das Volk niederprasselt. Eine unabhängige Diskussion gesellschaftlich relevanter Themen ist unter diesen Umständen kaum mehr möglich.

Zu lange die Augen verschlossen

Zu lange hat Europa die Wichtigkeit der Zivilgesellschaft in Russland für die Entwicklung der Demokratie unterschätzt. Zu fixiert war man in Brüssel und auch Berlin auf die Repräsentanten des Kremls – der „Petersburger Dialog“ war ein gutes Beispiel für diese Arbeitsweise. Unter Schmerzen wurde das Forum auf deutscher Seite reformiert und vom alten Ballast befreit. Das Gespräch wird nun offener und ehrlicher geführt werden. Auch darin könnte der „Petersburger Dialog“ zum Vorbild werden.

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Eine Chronologie:

Das deutsch-russische Diskussionsforum „Petersburger Dialog“ erlebte in 15 Jahren einige Höhen und Tiefen. Eine Auswahl:

April 2001: Der erste „Petersburger Dialog“ trägt unter Leitung der Gründer Gerhard Schröder (SPD) und Wladimir Putin das Motto „Russland und Deutschland an der Schwelle des 21. Jahrhunderts – Ein Blick in die Zukunft“. Die Oper der Newa-Metropole spielt als kulturellen Höhepunkt Richard Wagners „Rheingold“ in deutscher Sprache.

April 2002: Der zweite „Petersburger Dialog“ findet in Weimar statt. Ein halbes Jahr nach den Terroranschlägen in den USA heißt das Motto „Deutschland und Russland in einer sich neu ordnenden Welt“. Einer der Organisatoren ist Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow.

Oktober 2006: Am „Petersburger Dialog“ in Dresden nimmt für die Bundesregierung erstmals die gerade gewählte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) teil. Pikant: Putin kehrt als Kremlchef in die Stadt zurück, in der er zu DDR-Zeiten für den sowjetischen Geheimdienst KGB arbeitete.

September 2008: Der „Petersburger Dialog“ in St. Petersburg ist vom Krieg zwischen Russland und Georgien im August überschattet. Für die Führung in Moskau nimmt der neue Präsident Dmitri Medwedew teil.

Juli 2011: Zum zehnjährigen Jubiläum findet der „Petersburger Dialog“ erstmals in zwei Städten statt: in Wolfsburg und Hannover.

Oktober 2014: Kurz vor dem „Petersburger Dialog“ in Sotschi sagen beide Seiten die Veranstaltung ab. Grund ist Russlands Vorgehen in der Ukraine und die massive Kritik des Westens daran.

Oktober 2015: Unter dem Motto „Modernisierung als Chance für ein gemeinsames europäisches Haus“ tagt der personell reformierte „Petersburger Dialog“ in Potsdam. Es ist ein Versuch der Annäherung.

Juli 2016: In weiterhin schwierigen Zeiten nutzen Deutsche und Russen den „Petersburger Dialog“ als Gesprächskanal. Im Jubiläumsjahrgang in St. Petersburg leitet Ronald Pofalla die deutsche Delegation. Der Ex-Kanzleramtschef hatte Lothar de Maizière 2015 abgelöst.

 

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