Die Verfassung als Beute Erdogans

Recep Tayyip Erdogan will mehr Macht. Deshalb versucht er seit Jahren, die Verfassung zu seinen Gunsten zu ändern.  Nach dem Putsch wird er einen neuen Anlauf nehmen. Wer soll ihn jetzt noch bremsen? 

15.04.08-Erdogan

Mehr Macht als Atatürk

Seit dem Tod des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk hat kein türkischer Präsident die Politik des Landes so stark geprägt wie Recep Tayyip Erdogan. Die Verfassung gibt ihm nur repräsentative Befugnisse. Aber seit seiner Wahl zum Staatsoberhaupt im August 2014 hat der machtbewusste Erdogan immer mehr Kompetenzen an sich gezogen. Immer wieder hat er seine Pläne, die Verfassung zu ändern und ein Präsidialsystem einzuführen, weiter vorangetrieben. Kritiker befürchten, dass Erdogan den Putsch zum Anlass nimmt, auch in diesem Bereich das System endgültig nach seinem Willen umzubauen.

Dass die Türkei eine neue Verfassung braucht, hat selbst die Oppositionsparteien nicht bestritten. Das Grundgesetz stammt von 1982, aus der Zeit der Militärdiktatur. Mehrere Versuche der Parteien, gemeinsam eine neue Verfassung auszuarbeiten, schlugen fehl.

Noch fehlt die Mehrheit

Für eine Verfassungsänderung ist eine Zweidrittelmehrheit von 367 der 550 Abgeordneten nötig. Nicht zuletzt in der Hoffnung auf eine Zweidrittelmehrheit hatte Erdogan die Neuwahlen im vergangenen November herbeigeführt, doch Erdogan verfehlte die erhoffte Mehrheit deutlich. Doch das Parlament kann eine Verfassungsänderung auch mit einer Dreifünftelmehrheit von 330 Stimmen auf den Weg bringen. Die neue Verfassung müsste dann allerdings zusätzlich in einer Volksabstimmung gebilligt werden. Wie eine Volksabstimmung nach dem Putsch ausfiele, ist kaum zu sagen.

Erdogan begründet seinen Plan für ein Präsidialsystem damit, die Türkei brauche eine starke Führung – gerade jetzt, angesichts der Bedrohungen durch die Bürgerkriege in den Nachbarländern, der Terrorgefahr, des aufgeflammten Kurdenkonflikts – der Putsch ist Wasser auf seine Mühlen. Der Machtzuwachs des Präsidenten ginge jedoch auf Kosten des Parlaments, des Kabinetts und wohl auch der Unabhängigkeit der Justiz. Die gefährdete Gewaltenteilung würde damit weiter untergraben.

Mit dem Gericht auf Kriegsfuß

Ohnehin steht Erdogan mit der Gerichtsbarkeit auf Kriegsfuß. Er sieht sich selbst über dem Gesetz. Als das türkische Verfassungsgericht jüngst die Freilassung von zwei Journalisten anordnete, die Erdogan persönlich wegen einer regierungskritischen Veröffentlichung angezeigt hatte, reagierte der Präsident mit einem Wutausbruch: Er werde das Urteil weder respektieren noch umsetzen, sagte Erdogan. Die Richter hätten gegen das Land und das Volk geurteilt.

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