Der türkische Präsident Erdogan beschuldigt die Gülen-Bewegung, hinter dem Putschversuch in der Türkei zu stecken. Das nehmen viele seiner Anhänger in Deutschland, die Anhänger des Predigers anzugreifen.
Übergriffe von Erdogan-Anhängern
Ercan Karakoyun spricht von einer regelrechten Hexenjagd. Nach dem Putschversuch in der Türkei kommt es auch in Deutschland immer wieder zu Übergriffen auf Gülen-Anhänger oder Einrichtungen, die dem Prediger nahe stehen. „Die Situation ist beängstigend“, sagt Karakyoun, Chef der Stiftung Dialog und Bildung, die Fethullah Gülen nahesteht. Dabei kritisiert auch er ausdrücklich den Umsturzversuch in der Türkei. „Die schlechteste Demokratie ist besser als jeder Putsch“, unterstreicht er.
Doch die Stimmung ist aufgeheizt. „Ich bekomme inzwischen Morddrohungen“, sagt Karakoyun und zählt im selben Atemzug Angriffe auf mehrere Einrichtungen auf. So belagerten in Gelsenkirchen rund 150 Erdogan-Anhänger einen Jugendtreff der Organisation Hizmet, der der Gülen-Bewegung nahesteht. „Die Randalierer schlugen mit Pflastersteinen die Scheiben ein.“ Auch in vielen anderen Städten sei es zu Übergriffen gekommen. Inzwischen werde vielen Gülen-Anhängern auch der Zutritt zu Moscheen verwehrt, erzählt Karakoyun, den die Situation sichtlich schwer belastet. In den sozialen Netzwerken kursieren zudem Aufrufe, Gülen-Anhänger öffentlich zu machen und unter einer Telefonnummer in der Türkei zu melden. Auch Boykottaufrufe gegen Hizmet-nahe Unternehmer sind in Umlauf. „Der Kampf ist längst in Deutschland angekommen“, konstatiert Karakoyun.
Ein großes Konfliktpotenzial
Wie groß das Konfliktpotenzial ist, lässt sich an den starken Wahlergebnissen für Erdogan unter den türkischstämmigen Menschen in Deutschland ablesen. Auf 59,7 Prozent kam die islamistische Regierungspartei AKP bei der Parlamentswahl im November hierzulande.
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„Ich bin mein Leben lang Gegner eines Militärputsches gewesen“, beteuert Fethullah Gülen im ARD-Interview. #Tuerkei pic.twitter.com/8DO7Xn3uUS
— tagesthemen (@tagesthemen) 18. Juli 2016
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Lange waren der Prediger Fethullah Gülen und der jetzige türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan enge Weggefährten gewesen, aber Ende 2013 kam es zum Zerwürfnis. Damals hatten türkische Staatsanwälte begonnen – angeblich Gülen-Sympathisanten – wegen Korruption gegen hochrangige Regierungsvertreter zu ermitteln. Darunter vier Minister. Im Gegenzug entließ Erdogan viele Tausend Richter und Staatsanwälte. Er kündigte an, die Gülen-Anhänger auf der ganzen Welt „wie Ratten aus ihren Löchern“ zu jagen und ihnen die „die Hände zu brechen“.
Erdogan liefert keine Beweise
Nun beschuldigt die türkische Regierung die Anhänger des seit 17 Jahren in den USA lebenden islamischen Predigers, hinter dem Umsturzversuch zu stecken. Dieser wies die Anschuldigung umgehend zurück. „Erdogan soll handfeste Beweise für seien Behauptungen vorlegen“, verlangt Karakoyun. Völlig absurd sei es auch zu behaupten, dass die vielen Tausend Festgenommenen in der Türkei alle Anhänger Fethullah Gülens seien. „Erdogan nutzt die Situation aus, um alle Kritiker mundtot zu machen“, ist Karakoyun überzeugt.
Klare Signale aus Berlin gefordert
Karakyoun warnt: „Es ist gefährlich, wie sich die Stimmung hochschaukelt und mit Gerüchten und Verschwörungstheorien auch in Deutschland gegen die Gülen-Bewegung gehetzt wird.“ Dieses Vorgehen zeige auch das mangelnde demokratische Verständnis der Erdogan-Anhänger.
Von der Bundesregierung in Berlin und auch von der Europäischen Union erwartet Karakoyun in dieser Situation „sehr klare Signale“ in Richtung Ankara. „Es muss Erdogan unmissverständlich deutlich gemacht werden, dass auch nach dem Putschversuch noch immer das Recht zu gelten hat.“
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