Türkische Zuwanderer und ihre Nachkommen haben in den vergangenen 40 Jahren ein großes Netz eigener Organisationen etabliert. Nicht immer ist klar, wer sich hinter den Namen und den zahlreichen Dachverbänden verbirgt. Das Geflecht aus Organisationen spiegelt die Zersplitterung der in Deutschland lebenden türkischen Gesellschaft wider. Die Vorsitzenden der Verbände treten bisweilen sehr selbstbewusst auf, Tatsache aber ist, dass sie lediglich einen Bruchteil der türkisch-stämmigen Menschen vertreten. Nur etwa 20 Prozent der rund vier Millionen Muslime in Deutschland sind in religiösen Vereinigungen und Gemeinden zusammengeschlossen. Die wichtigsten Organisationen:

Präsident Recep Tayyip Erdogan versucht über manche türkische Verbände in Deutschland direkt Einfluss zu nehmen.
Koordinationsrat der Muslime (Dachverband der Dachverbände)
Der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) ist der Dachverband der Dachverbände. Im KRM haben sich während der Islamkonferenz 2007 vier muslimische Verbände zusammengeschlossen, die ihrerseits Dachverbände für mehrere Tausend örtliche Vereine sind: die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, der Zentralrat der Muslime und der Verband der Islamischen Kulturzentren. Die im KRM organisierten Moscheen bieten jedes Jahr am 3. Oktober einen „Tag der offenen Moschee“ an. Der KRM ist kein eingetragener Verein, sondern beruht lediglich auf einer gemeinsamen Geschäftsordnung. Schon kurz nach der Gründung bemängelte die „Islamische Zeitung“, dass der Koordinationsrat keine Angestellten, kein Budget, kein Lobbybüro in Berlin, keine eigene Webseite und kaum eine klar ausgearbeitete Programmatik habe. Link zum KRM
Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religionen (Ditib)
Die größte der Organisationen versteht sich als Dachverband der türkisch-islamischen Vereine in Deutschland und vertritt die türkischen Sunniten. Sie gilt als gemäßigt orthodox und ist stark von der staatlichen Religionsbehörde der Türkei beeinflusst, die dem Ministerpräsidentenamt angegliedert ist. Kritiker werden Ditib deshalb vor, der verlängerte Arm der Regierung in Ankara zu sein. Zu den Ortsgemeinden in Deutschland gehören Moscheen mit angeschlossenen Bildungs-, Sport- und Kulturangeboten. Sie sind selbstständig, müssen aber die Satzung der Ditib anerkennen. Die Imame und Religionslehrer ihrer Moscheegemeinden werden für jeweils fünf Jahre aus der Türkei entsandt und stehen auf der Gehaltsliste des türkischen Staates. Auch der Inhalt der Predigten wird aus Ankara vorgegeben. In der 1984 gegründeten Ditib sind nach Verbandsangaben mehr als 880 Moscheevereine und etwa 220 000 Mitglieder organisiert. Die Ditib bekennt sich auf ihrer Homepage zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zum Grundgesetz. In den Grundsätzen heißt es auch: „Jede Art von Gewalt und Aufruf zur Gewalt wird abgelehnt.“ Sitz der Organisation ist in Köln. 2015 berichteten die FAZ und „Report München“, dass radikale Islamisten auch in Ditib-Moscheen aktiv seien. Link zu Ditib
Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland
Der 1986 in Berlin gegründete Islamrat vereint mehr als 30 Organisationen und nach eigenen Angaben mehr als 145 000 Mitglieder. Ziel war, ein gemeinsames Beschlussorgan für islamische Religionsgemeinschaften in Deutschland zu bilden. Der Islamrat ist wie die Ditib eine Dachorganisation für sunnitische Gemeinden. Die Mehrheit stellen Türken, Mitglieder sind aber auch etwa der Deutsch-Somalische Verein und die Union Marokkanischer Imame. Dem Verfassungsschutz zufolge dominiert Milli Görüs den Islamrat und nutzt ihn für ihre Ziele. Für die engen Verbindungen spricht, dass der Vorsitzende des Islamrats Ali Kizilkaya ehemals Funktionär von Milli Görüs war. Nach eigenen Angaben bekennt sich der Islamrat uneingeschränkt zum Grundgesetz und den Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Link zum Islamrat
Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD)
Die UETD bezeichnet sich selbst als Zusammenschluss zur Förderung des politischen, sozialen und kulturellen Engagements der Türken in der Europäischen Union. Dabei sollen die Belange des gesellschaftlichen Lebens und der Integrationsprozess in die europäische Gesellschaft im Vordergrund stehen. Gegründet wurde die UETD im Jahr 2004 in Köln, wo sich auch der Hauptsitz befindet. Die Organisation ist in mehreren Ländern Europas präsent. Die UETD gilt als Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP. Im Jahr 2008 organisierte die UETD etwa Recep Tayyip Erdogans umstrittenen Auftritt in Köln. Link zur UETD
Zentralrat der Muslime
Der 1994 gegründete Verband hat sich als wichtiger Ansprechpartner der Politik etabliert – obwohl er mit rund 10 000 Mitgliedern nur einen kleinen Teil der etwa fünf Millionen Muslime in Deutschland vertritt. Zum Zentralrat gehören 22 muslimische Organisationen, die ihrerseits Dachverbände von insgesamt rund 300 Moscheegemeinden in Deutschland sind. Der Zentralrat der Muslime betont, „die ganze Vielfalt der Muslime in Deutschland“ abzubilden. So vertritt er insbesondere Muslime aus den Ländern Nordafrikas sowie des Nahen und Mittleren Ostens. Kritiker werfen dem Zentralrat vor, sich nach außen hin dialogbereit darzustellen, während nach innen die Errichtung einer islamischen Gesellschaft in Deutschland Ziel sei. Eine zentrale Rolle spielt intern die Islamische Gesellschaft in Deutschland. Die Organisation gilt dem Verfassungsschutz als deutscher Ableger der internationalen islamistischen Muslimbruderschaft. Link zum Zentralrat
Verband der islamischen Kulturzentren (VIKZ)
Der VIKZ geht auf das 1973 ins Leben gerufene Islamische Kulturzentrum Köln zurück. Er war bei seiner Gründung der erste islamische Dachverband und besteht nach eigenen Angaben aus etwa 300 Gemeinden und rund 24 000 Mitgliedern. 2003 begann der VIKZ mit der Errichtung eigener Schülerwohnheime. Zwei wurden 2005 wegen des Vorwurfs von Abschottungstendenzen geschlossen. Der aus der Türkei beeinflusste VIKZ gilt als antisäkular, seine Mitglieder gelten als tief religiös und die Erziehung als wenig integrationsförderlich. Der VIKZ selbst versteht sich aber als politisch neutral. Seit den 1980er Jahren bildet der Verband islamische Theologen in Deutschland aus. Zwar hält der Zentralrat hiesige Muslime dazu an, die Verfassung zu respektieren, das aber mit einer bestenfalls pragmatischen Begründung: nicht, weil die Menschenrechte unveräußerlich wären, sondern weil Muslime nach traditioneller Lehre stets die „lokale Rechtsordnung“ befolgen sollten. Link zum VIKZ
Alevitische Gemeinde Deutschland
Nch den Sunniten bilden die Aleviten die zweitgrößte Konfession bei den Türken in Deutschland. Die 1986 gegründete Organisation vertritt eine Minderheit der Muslime und ist der Dachverband der alevitischen Gemeinden. Die Aleviten grenzen sich vom orthodoxen Islam ab und sind gegen einen eigenen Gesetzeskodex (Scharia). Alevitische Frauen tragen in der Regel kein Kopftuch. Die Gemeinde ist zwar nicht Mitglied im Koordinationsrat der Muslime, entsendet aber regelmäßig Vertreter zur Deutschen Islamkonferenz und zum Integrationsgipfel der Bundesregierung. Link zur Alevitischen Gemeinde
Türkische Gemeinde in Deutschland
Die Türkische Gemeinde ist keine religiöse Organisation. Sie versteht sich als soziale, kulturelle und politische Interessenvertretung der türkischstämmigen Bürger. Sie fühlt sich freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtet. Der Organisation gehören nach eigenen Angaben 76 Vereine an. In der Präambel zur Satzung heißt es: „Wir wollen in Deutschland mit allen Bevölkerungsteilen dieses Landes gleichberechtigt, in Würde, Lebenssicherheit, Frieden, Freundschaft und Solidarität leben.“ In diesem Jahr bricht die Gemeinde mit einem Tabu: Vertreter werden erstmals aktiv am Christopher Street Day in Stuttgart teilnehmen, um gegen die Diskriminierung Homosexueller zu demonstrieren. Link zur Türkischen Gemeinde
Milli Görüs (IGMG)
Die islamische Gemeinschaft wurde 1976 in Köln gegründet. Sie galt als der deutsche Ableger der türkischen religiös-islamischen Partei unter dem bekannten Politiker Necmettin Erbakan. Sitz der europaweiten Organisation ist Kerpen. Milli Görüs wird in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet, berichtet wird über verfassungsfeindliche Tendenzen. Die Behörden betonen jedoch, dass es sich nicht um eine Organisation gewaltbereiter Islamisten handele. Die Struktur ist schwer zu durchschauen, worin Kritiker eine bewusste Verschleierungsstrategie erkennen. Milli Görüs gehört dem Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland an. Link zu IGMG
Kurdische Gemeinde in Deutschland (KGD)
Unter dem Dach der Kurdischen Gemeinde sammeln sich zahlreiche kurdische Organisationen. Die Mitglieder bezeichnen sich als „religionsneutral“. Die Anzahl der Kurden in Deutschland ist nicht amtlich geklärt. Der Grund: Menschen werden nach ihrer Staatsangehörigkeit erfasst werden, die Kurden besitzen aber keinen eigenen Staat. Die KGD bezeichnet sich selbst als „überparteilich, demokratisch und gewaltfrei“. Man arbeite „auf der Grundlage des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und bekennt sich ausdrücklich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, gleichberechtigten Pluralität und zum respektvollen Umgang aller gesellschaftlichen Akteure“. Link zur Kurdischen Gemeinde
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