Jedes Kind in Russland kennt diese Häuser. Fünf Stockwerke hoch, eine meist bröckelnde Fassade und ein undichtes Dach. Die „Chruschtschowkas“ sind ein allerletzter Gruß aus einer längst vergangenen Zeit. Einst der Traum eines jeden Sowjetmenschen, sollen die Plattenbauten nun dem Erdboden gleich gemacht werden. Der Plan sieht vor, dass allein in Moskau in den kommenden Jahren 8000 der Wohnhäuser abgerissen werden, es wird geschätzt, dass über 1,5 Millionen Menschen umziehen müssen.
Chruschtschow als Namensgeber
Gebaut wurden die Häuser in den 50er und 60er Jahren auf Geheiß von Nikita Chruschtschow, der auch der Namengeber für die im Eiltempo hochgezogenen Plattenbauten wurde. Sie sollten die Wohnungsnot in den großen Städten lindern, die im Zuge der Industrialisierung des Landes aus allen Nähten platzen. In den tristen Nachkriegsjahren konnten die Familien von einer eigenen Wohnung nur träumen, dem sie im Mief überfüllter Gemeinschaftsunterkünfte nachhingen.
Einst paradiesischer Komfort
Damals boten die „Chruschtschowkas“ ihren ersten Bewohnern einen geradezu paradiesischen Komfort. Dass die Küchen so klein sind, dass nicht einmal ein Kühlschrank hineinpasst, wurde gerne hingenommen. Im Laufe der Zeit wurden auch andere Nachteile der fünfstöckigen Gebäude deutlich. Die Wände sind so dünn, dass es keinerlei Privatsphäre gibt, immer wieder bricht die Stromversorgung zusammen, da die Leitungen nicht für eine größere Menge angeschlossener Elektrogeräte konzipiert sind und ständig gibt es Probleme mit der ebenfalls unterdimensionierten, inzwischen maroden Wasserversorgung.
Putin verkündet den Abriss
Nun soll ein Schlussstrich unter die Ära der „Chrustschowkas“ gezogen werden. Präsident Wladimir Putin höchst persönlich verkündete, dass es unsinnig sei, länger Geld in die Sanierung der Gebäude zu stecken. Sie sollen durch zeitgemäße Wohnbauten ersetzt werden, sagte er vor laufenden Fernsehkameras. In den vergangenen Jahren waren immer wieder Häuser abgerissen worden, doch nun sollen die letzten rund 8000 Gebäude mit einer Wohnfläche von etwa 25 Millionen Quadratmetern – das ist ein Zehntel des gesamten Wohnraums in Moskau – weichen.
Das ist natürlich nicht nur eine der größten „Zwangsumsiedlungen“ der jüngsten russischen Geschichte, wie Kritiker bemerken, sondern auch ein fantastisches Geschäft für Spekulanten. Denn es gilt als sicher, dass die fünfstöckigen Wohnhäuser – von denen einige in bester Moskauer Baulage vor sich hinrotten – durch mindestens zwanzigstöckige Gebäude ersetzt werden. Wieder einmal verdienen sich findige Vertreter des Kapitalismus auf den Ruinen des Sowjeterbes eine goldene Nase.
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