Leckere Pilze aus der Tiefgarage

Lokal und biologisch produziertes Essen liegt im Trend. Das haben sich die jungen Macher eines Pariser Start-Ups zu Nutzen gemacht. Ihre Geschäftsidee floriert, die Restaurants reißen ihnen ihre Pilze förmlich aus der Hand.

.

IMG_3449

Pilze aus der Tiefgaragen-Zucht

.

Ein Bauernhof im Untergrund

An der Porte de la Chapelle zeigt Paris sein hässliches Gesicht. Der soziale Wohnungsbau der 70er Jahre hat in diesem Viertel seine wüsten Spuren hinterlassen. Schwer zu glauben, dass zwischen diesen Hochhäusern an der Stadt der Zukunft gearbeitet wird. An der Abfahrt zu einer stillgelegten Tiefgarage wartet Jean-Noël Gertz, die Haare im Nacken zu einem hippen Dutt gebunden, um die Schultern eine dicke Fleece-Jacke, ein wichtiges Kleidungsstück bei seiner Arbeit. Der junge Mann telefoniert kurz mit einem Kunden, dann geht es hinab in die Unterwelt der Porte de la Chapelle. „Wir müssen zur Ebene Minus 2“, sagt Gertz und weist den Weg.

Die Luft wird merklich kühler, das Neonlicht verbreitet im Zusammenspiel mit den weiß getünchten Betonwänden einen unbehaglichen Endzeitcharme, schließlich versperrt ein schwerer Vorhang aus transparentem Plastik den Weg. Dahinter verbirgt sich „Cycloponics“, eine Farm rund 40 Meter unter der Erde, wo auf 9000 Quadratmetern Pilze und Chicorée gezüchtet werden.

.

.

Jean-Noël Gertz ist einer der Initiatoren des Projektes und firmiert zwei Jahre nach dem Start als Geschäftsführer. „Die Geschäfte laufen gut“, sagt der studierte Bauingenieur, diese Saison konnten 25 Tonnen Pilze und 60 Tonnen Chicorée geerntet werden – Tendenz stark steigend. Inzwischen sind fünf Leute in der Firma fest angestellt und es gibt rund ein Dutzend Saisonkräfte.

IMG_3423

Die Pilze werden abgeholt

„Die Restaurants und kleinen Einzelhändler in Paris reißen uns die Ware förmlich aus den Händen“, sagt ein wuseliger Mann, der gerade einige Kisten Pilze auf seinen kleinen Wagen stapelt. Auf seinem Sweatshirt prangt das Label von „La Ruche qui dit qui“, einer Online-Plattform, die als Zwischenhändler lokale Lebensmittel vertreibt. „Alles hier ist bio und lokal – das sind die beiden Zauberworte,“ verrät er und macht sich wieder auf in Richtung Tageslicht.

Auf den ersten Blick sieht an diesem etwas unwirtlichen Ort allerdings nichts nach „bio“ aus. Die Zuchtanlage scheint aus einem drittklassigen Science-Fiction-Roman entsprungen. Wo früher Autos parkten, hängen heute lange Metallgitter auf denen längliche, viereckige Substratblöcke liegen. Darüber, knapp unter der Decke, verläuft ein Gewirr aus Rohren, aus denen Tag und Nacht in kleinen Schwaden Wasserdampf dringt und sachte nach untern sinkt. Aus den dunklen Blöcken darunter sprießen die hellen Shiitake-Pilze.

IMG_3446

Jean-Noël Gertz prüft die Qualität der Pilze

„Wir steuern die Anlage von Hand“, erklärt Jean-Noël Gertz. „Mehrere Male pro Tag wird kontrolliert, ob die Temperatur stimmt und der Feuchtigkeitsgrad in der Luft im Normbereich liegt.“ 300.000 Euro hat er mit einigen Freunden vor zwei Jahren in das Start-up investiert. Zuvor hatten sie einen Wettbewerb der Stadt Paris gewonnen, die eine neue Nutzung für die Tiefgarage gesucht hat. Dabei hatten die Verantwortlichen der Verwaltung allerdings nicht nur die Förderung der heimischen Bio-Wirtschaft im Sinn. Der Ort an der Porte de la Chapelle galt über viele Jahre als Hort der Kriminalität im Viertel, es wurden Drogen verkauft und die Prostitution florierte. Nach dem erfolgreichen Wettbewerb machten sich 15 kleine Firmen in der Tiefgarage breit – vom Fahrrad-Laden bis zum Aquarium-Händler – und auf diese Weise wurde die Kriminalität zumindest räumlich verdrängt.

IMG_3418

Nächstes Projekt: Pilz-Soße

Für Jean-Noël Gertz ist das Schnee von gestern, er denkt an die Zukunft , will den Erfolg nutzen und die Angebotspalette seiner Firma erweitern. Nächstes Projekt ist, in der Tiefgarage eine kleine Küche einzurichten, wo ein Teil der Pilze zu Soße verarbeitet wird. „Dann können wir auch die Pilze verwerten, die sich wegen ihres Aussehens nicht für den Verkauf eignen“, sagt er.

Auch versuchen die Macher von „Cycloponics“, den Kreislauf der Wiederverwertung ganz zu schließen, um der Bezeichnung „bio“ auch wirklich gerecht zu werden. Wenn die Substratblöcke, auf denen die Pilze wachsen, aufgebraucht sind, sollen sie in Zukunft aufgebrochen und mit Würmern durchsetzt werden, die dann neues Substrat produzieren, das wieder für die Pilzzucht verwendet werden kann.

IMG_3424Doch damit nicht genug. Jean-Noël Gertz und seine Partner wollen mit dem inzwischen erworbenen Wissen um die Pilzzucht expandieren und auch in anderen Tiefgaragen der Stadt ähnliche unterirdische Farmen aufbauen. Im 19. Arrondissement von Paris, in der Nähe der Métro-Haltestelle Crimée, plant der junge Mann auf knapp 2000 Quadratmetern Champignons zu züchten. Die seien empfindlicher als Shiitake-Pilze und man brauche dafür wesentlich besser überwachte klimatische und hygienische Bedingungen und auch ein Luftfiltersystem. Das sei an der Port de la Chapelle nicht machbar.

Doch nicht nur Jean-Noël Gertz ist zufrieden mit der Entwicklung. Ein alter Mann, der mit seinem Hund am Ausgang der Tiefgarage vorbeischlurft, nickt anerkennend. Dass da unten eine Art Bauernhof sein soll, kann er sich nur schwer vorstellen. Aber eines weiß er: „Ich kann mich noch erinnern, als hier die Drogendealer Autorennen veranstaltet haben“, sagt der Mann. „Nun ist es ruhig und es sind nette Leute hier – und das ist gut so.“

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s