Weil in Frankreich zu viele Menschen sterben, werden die Toten in einer Kühlhalle in Rungis aufgebahrt. Es ist nicht das erste Mal, dass zu solch einer Notmaßnahme gegriffen werden musste.
.
.
„Der Bauch von Paris“
Der Großmarkt Rungis gilt als der „Bauch von Paris“. Jeden Morgen werden dort Tonnen von Gemüse, Fleisch, Fisch, Käse, Meeresfrüchte oder Schnittblumen verkauft – in normalen Zeiten. Doch in der Corona-Krise hat dieser lebhafte, pulsierende Ort vor den Toren der Millionenmetropole eine neue traurige Berühmtheit erlangt. Weil die Leichenhäuser in der Region die vielen Toten der Pandemie nicht mehr aufnehmen können, werden hunderte Särge in einem Kühlhaus des Großmarktes aufgebahrt. Frankreich ist eines der am stärksten von der Epidemie betroffenen Länder in Europa. Inzwischen werden weit über 25.000 Opfer gezählt.
Für viele Angehörige ist es ein Schock, wenn sie erfahren, dass sie nach Rungis fahren sollen, um die Verstorbenen ein letztes Mal zu sehen. „Für mich ist das kein Ort, um von meiner Mutter Abschied zu nehmen“, sagte Bruno Lefèvre gegenüber dem Fernsehsender BFMTV. Die alte Dame war im Alter von 89 Jahren an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben.
Abschied in einem Plastikzelt
In einem abgetrennten Bereich einer rund 4000 Quadratmeter großen Halle waren 14 weiße Zelte aufgebaut, wie sie im Sommer oft auf Gartenpartys zu finden sind, erzählt der Mann. Darin konnte sich der engste Familienkreis um den Sarg versammeln. Diese Situation sei eine schwere Prüfung für alle Angehörigen gewesen. „Es ist schwierig, in einem Plastik-Zelt Abschied von der Person zu nehmen, die man am meisten geliebt hat im Leben“, beschrieb Bruno Lefèvre die Umstände, „das ist einfach unmöglich.“
.
Après celui de Rungis, un bâtiment réfrigéré réquisitionné dans l’Essonne pour être transformé en morgue temporaire, il pourra accueillir jusqu’à 450 cercueils #coronavirus > https://t.co/SzrasA3C2H pic.twitter.com/V4RuVSqv7q
— Le Parisien (@le_Parisien) April 17, 2020
.
Geschockt waren die Hinterbliebenen aber nicht nur angesichts der für sie wenig würdigen Umstände in Rungis. Wirklich empört hat die Familie, dass sie danach eine Rechnung in Höhe von über 250 Euro für die Aufbahrung und die kurze „Zeremonie“ präsentiert bekamen. Das private Bestattungsunternehmen OGF, das von der französischen Regierung für die Organisation der temporären Leichenhalle beauftragt worden war, verteidigte sich, dass dies nur ein Bruchteil der Kosten wären, die in normalen Zeiten für dieselben Leistungen berechnet würden. Dann meldete sich allerdings Sandrine Thiefaine zu Wort, Präsidentin der französischen Bestattungsunternehmen und Konkurrentin von OGF: „Es ist nicht akzeptabel, die Familien für das Aufbahren der Verstorbenen in einer Lagerhalle in Rungis bezahlen zu lassen.“
Die Regierung übernimmt die Kosten
Die Regierung erkannte die Brisanz des Problems und reagierte schnell. Innenminister Christophe Castaner erklärte vor der Nationalversammlung: „Es scheint mir nicht gerechtfertigt, dass die betroffenen Familien in dieser ungewöhnlichen Situation auch noch finanziell belastet werden.“ Wenig später verschickte das Ministerium eine Pressemitteilung, dass die Angehörigen für die Kosten, die durch die ungewöhnlich langen Aufbahrungszeiten in Rungis entstehen, nicht aufkommen müssten.
Doch nicht alle Angehörigen teilen die harsche Kritik. Gegenüber der Tageszeitung „Le Parisien“ betonte ein Arbeiter des Großmarktes, dass er den Eindruck habe, dass den Trauernden durchaus die Möglichkeit geboten werde, würdevoll Abschied von den Verstorbenen zu nehmen. Und er erinnert daran, dass in Rungis bereits während des Hitze-Sommers 2003 ein Gebäude zu einer Leichenhalle umfunktioniert worden war. Damals habe man sich in der provisorischen Leichenhalle eher an einen Krieg erinnert gefühlt.