Politik ohne Volk

Alarmierend niedere Wahlbeteiligung in Frankreich. Bei der ersten Runde der Regionalwahlen bleiben zweidrittel der Wähler zuhause. Das bürgerliche Lager wird überraschend deutlich stärkste Kraft.

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Verliererin ist die Demokratie

Die große Verliererin der Regionalwahlen in Frankreich ist die Demokratie. Zweidrittel der Franzosen sind am Tag der Abstimmung zuhause geblieben und haben ihre Stimme nicht abgegeben. Jeder einzelne Politiker müsste sich nach solch einem niederschmetternden Ergebnis die Frage stellen, mit welcher Legitimation er sich noch als Volksvertreter bezeichnen kann. Doch weit gefehlt. Bis in die Parteizentralen ist diese selbstkritische Erkenntnis noch nicht vorgedrungen. Wie nach einem völlig normalen Wahltag werden dort Erfolge gefeiert, Wunden geleckt und bereits Bündnisse für die entscheidende zweite Runde geschmiedet. Einmal mehr erhärtet sich für die Franzosen der Eindruck, dass sich der Politikapparat von den Menschen abgekoppelt hat und mit seinen komplizierten Machtspielchen längst eine Art Eigenleben führt.

Als große Siegerin der ersten Runde sieht sich die konservative Partei Les Républicains. Sie seien „mit weitem Abstand die Partei mit den meisten Stimmen“ geworden, betonte ihr Vorsitzender Christian Jacob. Die Konservativen verteidigten ihre Mehrheiten unter anderem in der Hauptstadtregion Ile de France oder auch in der Region Grand Est im Grenzgebiet zu Deutschland. Eine schwere Schlappe erlebte die Partei des Präsidenten Emmanuel Macron. La République en Marche konnte in keiner Region einen Kandidaten durchsetzen. Ein böses Erwachen gab es auch beim extrem rechten Rassemblement National (RN). Die Partei von Marine Le Pen machte sich nach Umfragen Hoffnungen auf einen Sieg in sechs der 13 Regionen, wurde aber enttäuscht: Nur in der südfranzösischen Region Provence-Alpes Côte d’Azur mit Städten wie Nizza liegt der RN knapp vor den regierenden Konservativen. Le Pen äußerte sich enttäuscht und hatte für das eigene schwache Abschneiden eine einfache Erklärung: die niedere Wahlbeteiligung.

Sind die Wähler Schuld?

Auch viele andere Politiker schieben den schwarzen Peter den Wählern zu. Diese hätten das komplizierte Abstimmungssystem nicht verstanden, seien wegen des schlechten Wetters zuhause geblieben oder seien schlicht zu wenig an Politik interessiert. Unterschlagen wird dabei aber, dass auch das Nicht-Wählen eine politische Willensäußerung ist. Es handelt sich um eine Boykottentscheidung oder zeigt ein starkes Desinteresse an der Politik, wie sie von den Partei betrieben wird.

In Frankreich hat sich zuletzt gezeigt, dass die Menschen durchaus sehr politisch denken und hohe Ansprüche an die Politik haben. Die Proteste der Gelbwesten waren anfangs sozialpolitisch motiviert, bevor sie in allwöchentlichen Krawall-Events versanken. Und auch die junge Generation beweist, dass sie in Sachen Klima bereit ist, sich für eine Sache einzusetzen. Deutlich wird allerdings, dass sich die Formen des politischen Engagements radikal verändert haben – was auch mit dem Einsatz sozialer Medien zu tun hat. Demonstrationen und Petitionen sind relativ leicht zu organisieren, es gibt Kunstaktionen oder Videos werden produziert und millionenfach geteilt. Eine Wahl ist keine Pflichtveranstaltung mehr, es gibt inzwischen viele Möglichkeiten, sich politisch auszudrücken.

Die Politik reagiert schwerfällig

Den Parteien fällt es schwer, auf diese kreative Haltung gegenüber der Politik und der Demokratie zu reagieren. Sie verharren noch immer in ihren alten Abläufen, Macht zu organisieren. Es war Emmanuel Macron, der dieses neue Anspruchsdenken der vor allem jüngeren Wähler selbst formuliert und die Möglichkeit erkannt hat, die Menschen auf allen Kanälen zu mobilisieren. Die Beteiligung bei seiner Wahl zum Präsidenten im Jahr 2017 betrug fast 80 Prozent.

Das Erbe von Emmanuel Macron

Macrons Schicksal zeigt allerdings, dass man das man das eine tun, das andere aber nicht lassen sollte. Denn er hat damals sehr große Hoffnungen geweckt, ist dann aber als Politiker gescheitert. Ihm ist es nicht gelungen, die hohen Ansprüche zu moderieren und ins reale Leben umzusetzen. Beim notwendigen Umbau des Landes blickte er gebannt auf die Zahlen, die Menschen gerieten allzu oft zur Nebensache. Und so ließ er auf seinem atemlosen Reformkurs zu viele Franzosen erschöpft, enttäuscht und wütend am Wegesrand zurück. Er wurde zum Inbild des abgehobenen Politikers und hat damit der gesamten Demokratie einen Bärendienst erwiesen.

Bei den aktuellen Regionalwahlen und auch schon bei den Kommunalwahlen vor einigen Monaten wurde dem Präsidenten dann ein zentrales Versäumnis zum Verhängnis: er hat seine Partei nicht im Volk verankert. Die jahrelange Arbeit der etablierten Parteien bei den Menschen vor Ort hingegen hat sich in diesem Fall ausgezahlt. In der aktuellen Corona-Krise haben sich die wenigen Wähler für die Politiker entschieden, die sie seit Jahren kennen.

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