Der Begriff Landgrabbing hat weltweit eine steile Karriere gemacht. Landnahme? Landraub? Eine präzise deutsche Übersetzung fehlt bisher. Gemeint sind großflächige Käufe hauptsächlich von privaten, aber auch staatlichen Investoren und Agrarunternehmen, die Agrarflächen kaufen oder langfristig pachten, um sie in eigener Regie zur Herstellung von Agrarrohstoffen zu nutzen. Dabei bewegen sich die internationalen Investoren ebenso wie die staatlichen, halbstaatlichen oder privaten Verkäufer oft in Grauzonen des Rechts und in einem Niemandsland zwischen traditionellen Landrechten und modernen Eigentumsverhältnissen. Häufig könnte man bei Landgrabbing von einer Landreform von oben sprechen oder der Etablierung neuer, privatwirtschaftlicher Kolonialverhältnisse.
Auch in Berlin ein Thema
Das Thema Landgrabbing hat es sogar in den Koalitionsvertrag geschafft. Union und SPD versprechen, eine Kontrolle „des unmittelbaren und mittelbaren Erwerbs landwirtschaftlicher Flächen durch nicht-landwirtschaftliche und überregionale Investoren zu prüfen“. Die Bundesregierung macht sich weniger Sorgen um das aggressive Ankaufen von Land durch profitgierige Investoren in Afrika oder Südamerika – das Problem liegt viel näher: Landgrabbing findet auch in Deutschland statt.
Vor allem im Osten sind nach der Wende große Anbauflächen zum Spekulationsobjekt geworden. Der Grund ist die Auflösung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG). Nach der Wende bekamen viele ehemalige Besitzer ihr Land zurück; ein Großteil der Nutzfläche ging aber in den Besitz des Bundes über, der die Ackerflächen zu Vorzugspreisen an die LPG-Nachfolger und Alteigentümer verkaufte. Das rief aber die Wettbewerbshüter der EU auf den Plan, die diese Praxis vor vier Jahren beendeten – und das Land endgültig zu einem beliebten Spekulationsobjekt machten.Und so stehen Investoren, millionenschwere Fondsgesellschaften und reiche Privatleute Schlange, die oft nichts mit Landwirtschaft zu tun haben, aber ihr Vermögen diversifizieren wollen. Bieten solche Unternehmen beim Landerwerb mit, gehen die kleinen und mittleren Betriebe meist leer aus. So hat etwa der Konzern KTG Agrar viel Land aufgekauft. Nach eigenen Angaben bewirtschaftet er inzwischen 40 000 Hektar in Deutschland und Litauen – Tendenz steigend.
Das Ausmaß des Landgrabbings ist enorm
Damit hat ein globaler Trend die deutsche Landwirtschaft erreicht. Seit Jahrzehnten kaufen Konzerne fruchtbares Tropenland auf, um Kaffee, Kakao oder Bananen für den lukrativen Export anzubauen. Inzwischen ist aber nicht nur die Profitmaximierung die Antriebsfeder, sondern auch die Sicherung von Nahrungsmittelquellen – etwa von China in Afrika. Das hat zur Folge, dass die Geschwindigkeit des Landkaufes stark zunimmt.
Das Ausmaß des Landgrabbings kann nur geschätzt werden. Dazu sind die Zahl und Ausgestaltung der Verträge zu wenig transparent. Klaus Deininger, Experte bei der Weltbank für ländliche Entwicklung, glaubt, dass über 10 bis 30 Prozent des weltweit verfügbaren Ackerlandes Verhandlungen laufen. Die Umweltorganisation Grain schreibt, dass bisher für internationale Landkäufe rund 80 Milliarden Euro ausgegeben worden sind. Die Weltbank kalkuliert vorsichtiger und geht von etwa 40 Milliarden Euro aus. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Oxfam wurden seit dem Jahr 2001 allein in Entwicklungsländern rund 227 Millionen Hektar Land verkauft – eine Fläche so groß wie Westeuropa.
Investiert wird vor allem in Afrika und Asien; aber auch in Südamerika ist die Tendenz steigend. In Europa ist das Landgrabbing vor allem in Russland und in der Ukraine nachzuweisen. Im September wurde bekannt, dass China in der Ukraine Ackerland in der Größe der Fläche Brandenburgs gekauft habe. Das Staatsunternehmen Xinjiang Production and Construction Corps habe mit dem Agrarkonzern KSG Agro eine entsprechende Vereinbarung unterschrieben, so die „South China Morning Post“. Zunächst erhalte China Zugriff auf 100 000 Hektar Land, letztlich sollen es dann drei Millionen werden. In der Ukraine sollen in den kommenden 50 Jahren für den chinesischen Markt Feldfrüchte angebaut und Schweine gezüchtet werden.
Info zu dieser Grafik:
Die Informationen, die die Land Matrix, ein unabhängiges Landbeobachtungsprojekt staatlicher und nichtstaatlicher Entwicklungsorganisationen seit 2009 weltweit zusammenträgt, zeigen die Dimensionen und die Gewalt von Landgrabbing. Mindestens fünf Prozent der gesamten Ackerfläche Afrikas hat in den letzten Jahren ihren Besitzer gewechselt. Die größten Landnahmen konzentrieren sich auf Länder, deren Rechtsverhältnisse besonders unsicher und deren Regierungen schwach sind. Sie haben zudem einen besonders hohen Anteil von Hungernden an der Bevölkerung (Demokratische Republik Kongo, Sudan, Mosambik, Äthiopien, Sierra Leone).
Die Weltbevölkerung wächst
Und der Landkauf wird wohl weiter zunehmen, weil die Weltbevölkerung wächst; aber auch durch den Klimawandel, durch Versteppung, Erosion, Flächenversiegelung, Urbanisierung oder Verseuchung durch Pestizide wird landwirtschaftlich nutzbarer Boden zum knappen Gut und rückt dadurch verstärkt in den Blickpunkt ökonomischer Interessen. Zuletzt sind vor allem Länder wie China, Südkorea und Japan als Landkäufer aufgetreten. Sie haben ein hohes Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum, was einen steigenden Bedarf an Agrarrohstoffen nach sich zieht. Mit der Produktion von eigenen Lebensmitteln in Drittländern verfolgen sie zwei Ziele: sie wollen die eigene Bevölkerung versorgen und gleichzeitig vom Weltmarkt unabhängig werden.
Daneben treten auch multinationale Konzerne der Industriestaaten auf. Unternehmen aus Europa und Nordamerika sichern sich vorwiegend Land zum Anbau von Pflanzen wie Mais, Zuckerrohr oder Ölpflanzen zur Energieproduktion.Die langfristigen Folgen des Landgrabbings auf die betroffenen Staaten sind fatal. Zwar werden Jobs geschaffen und die Infrastruktur ausgebaut. Auch findet in der Regel ein gewisser Technologietransfer statt, aber das wiegt die negativen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen kaum auf. So werden oft kleinbäuerliche Strukturen zerstört.
Die UN-Nahrungsmittelorganisation FAO kritisiert, dass große Investitionen auch in Kenia, im Sudan oder in Uganda stattfinden, wo die Ernährungssituation als kritisch eingestuft wird. Da die ausländischen Agrarkonzerne für den Export produzieren, bringen die riesigen Plantagen dem lokalen Markt nichts. Darüber hinaus werden Bauern auch von ihrem Land vertrieben. Diese Menschen flüchten meist in die Städte, wo sie oft keine oder nur eine schlecht bezahlte Arbeit finden. Manche fliehen auch vor den Umweltschäden, die durch erhöhten Wasserverbrauch, die Rodung von Waldgebieten oder den Einsatz von Pestiziden entstehen.
Fatale Folgen für die einheimische Landwirtschaft
Bereits vor zwei Jahren haben 128 Länder im UN-Ausschuss für Welternährungssicherheit einstimmig Richtlinien beschlossen, um die lokale Bevölkerung vor Landgrabbing zu schützen. Die freiwilligen Leitlinien regeln detailliert, wie verantwortungsvoll mit Boden- und Landnutzungsrechten umgegangen werden soll. Das ist aber ein frommer Wunsch. Die Land Matrix, eine Datenbank, die seit 2012 Informationen über weltweite Landkäufe und -verkäufe sammelt, zeigt, dass die Zahl der Landkaufverträge von Juni 2013 bis September 2014 von rund 750 auf fast 1000 stieg.
Grundlagen und weitere Infos
- Land MatrixDatenbank mit internationalen Landtransaktionen seit 2000
- orgSammlung von Nachrichten und Berichten zum Thema Land Grabbing
- Freiwillige Leitlinienfür die verantwortungsvolle Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern
- Weltbankspielt bei Landfragen und Investitionen in Land eine zentrale Rolle
- IIEDInternational Institute for Environment and Development bietet Material zu Landkäufen und -rechten
Fakten & Zahlen
Nur 10% der Landakquisitionen für landwirtschaftliche Nutzung (Gesamtfläche 30,3 Millionen Hektar), die die Land Matrix im Oktober 2015 erfasste, sollen künftig rein der Lebensmittelproduktion dienen. 33% der Fläche war nicht für Lebensmittel bestimmt, 18% für den Anbau von Flex Crops, die je nach Marktlage zu Sprit, Tierfutter oder Nahrungsmitteln verarbeitet werden können. Die restliche Fläche war für mehrere Produkte zugleich bestimmt.
Land Grabbing ist vorrangig ein Problem in Staaten mit schlechter Regierungsführung, da Investoren aufgrund niedriger rechtsstaatlicher Standards leicht Land kaufen und pachten können. Oxfam wertete zwischen 2000 und 2011 abgewickelte Landgeschäfte aus 56 Ländern aus – drei Viertel der Länder wiesen Defizite im Bereich Mitspracherecht, Rechenschaftspflicht und Korruptionskontrolle auf.
Die Konzentration von Landbesitz hat sich in den letzten Jahrzehnten auch in Europa, gerade in Osteuropa, extrem beschleunigt und erreicht Dimensionen wie in Brasilien oder Kolumbien, die für ihre ungleiche Landverteilung bekannt sind. In der EU kontrollieren 3% der Grundbesitzer – die großen Betriebe, die über 100 Hektar oder mehr verfügen – die Hälfte der landwirtschaftlichen Flächen.
Obwohl indigene Völker und ländliche Gemeinden – rund 1,5 Milliarden Menschen weltweit – etwa 65% der globalen Landfläche nutzen, haben sie keine Landrechte für drei Viertel ihres angestammten Landes. Nur 18% davon ist für Indigene und lokale Gemeinden legal abgesichert oder zugewiesen.
Die Bodenpreise sind in Deutschland in den letzten Jahren explodiert. Allein 2013 stiegen die Preise für Agrarflächen in den alten Ländern im Schnitt um 13,2% im Vergleich zum Vorjahr auf 25.189 Euro/Hektar. In Ostdeutschland erhöhten sich die Preise um 13,6% auf 10.510 Euro/Hektar.
Eine Auswertung von über 600 Land Deals zeigt, dass 34% der Produktion von Lebensmitteln dienen, während die übrigen Projekte den Anbau von Futter- und Energiepflanzen zum Ziel haben. Bei den meisten Projekten ist die Ernte für den Export bestimmt.
Laut einer Studie der Weltbank wurden zwischen 2008 und 2009 Landgeschäfte über eine Fläche von 56 Millionen Hektar Land getätigt – dies entspricht der fast der Hälfte des EU-Ackerlandes. Rund 70% der Deals spielten sich in Subsahara-Afrika ab in Ländern wie Äthiopien, Mosambik und Sudan.
Land Grabbing geht häufig mit Water Grabbing einher: Die mit dem Land verknüpften Wasserrechte spielen meist eine zentrale Rolle. Unternehmen aus Saudi Arabien kaufen oder pachten beispielsweise riesige Flächen im Ausland zur Produktion von Nahrung, da im eigenen Land Wasser ein knappes Gut ist.