Polens Parlament hat mit großer Mehrheit eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes abgelehnt. 352 Abgeordnete stimmten in zweiter Lesung gegen das von einer Bürgerinitiative beantragte fast totale Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen, 58 dafür. 18 enthielten sich. Damit ist der Gesetzentwurf der Volksinitiative „Stoppt die Abtreibung“ endgültig vom Tisch.

Protestplakat gegen das Abtreibungsverbot
Besorgniserregenden Entwicklung in Europa
Der Versucht, das Abtreibungsrecht einzuschränken, ist Teil einer besorgniserregenden Entwicklung in Europa. Es gibt natürlich nationale Unterschiede, zu beobachten aber ist, dass liberale Werte an Boden verlieren. Im Gegenzug steigt die Angst um die eigene Sicherheit, vor Terror und Einwanderung. Während die Politik in Westeuropa sich in eine EU-skeptische Richtung bewegt hat, ist der Richtungswechsel in Osteuropa von einem stärkeren Fokus auf traditionelle Familienwerte geprägt. Das sind Länder, die mit ihrer kommunistischen Vergangenheit besonders anfällig für antidemokratische Kräfte sind.
Zusammengefasst hat diese die ungarische Zeitung „Nepszabadsag“ in einem kurzen Kommentar zum Abtreibungsrecht in Polen:
„Auf dem Spiel steht das Selbstbestimmungsrecht der Frauen, ihr Recht, dass sie als erwachsene Menschen selbst über ihren Körper verfügen können. (…) Der national eingefärbte Pseudo-Konservativismus, mit dem (Ungarns Ministerpräsident Viktor) Orban und (Polens starker Mann Jaroslaw) Kaczynski auf dem Jahrmarkt der Irrmeinungen hausieren, hasst Freiheitsrechte dieser Art. Er hasst die Frauenrechte, verachtet die Minderheiten- und Menschenrechte. Die Bürgerrechtler und jene Kulturen, in denen das Individuum und die Minderheiten Respekt genießen, sind ihm Feinde.“
PiS hat die Initiative begrüßt
In Polen hatte die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die Volksinitiative anfangs begrüßt und deren Entwurf zur Beratung an den Rechtsausschuss des Sejm überwiesen. Bei der abschließenden Abstimmung stellte sich nun jedoch auch eine Mehrheit der PiS-Abgeordneten gegen den Gesetzentwurf. Er sah bei einem Schwangerschaftsabbruch für die betroffene Frau und den ausführenden Arzt eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren vor. Nur bei Gefahr für das Leben der Schwangeren sollten Abtreibungen nicht bestraft werden.
Well done Warsaw! Truly amazing. #CzarnyProtest #czarnyponiedziałek #blackmonday #blackprotest #Polska pic.twitter.com/BVNmrAKsCP
— Giorgi Tabagari (@Tabagari) 3. Oktober 2016
Kurswechsel der Regierung
Mit ihrem Kurswechsel reagierte die mit absoluter Mehrheit regierende PiS auf eine Protestwelle gegen ein Abtreibungsverbot. Fast 100.000 Menschen waren nach Polizeiangaben am Montag landesweit gegen die Gesetzesinitiative auf die Straße gegangen. Medienberichten zufolge drängte der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski daraufhin auf eine Ablehnung des fast totalen Abtreibungsverbots. Damit stellt sich Kaczynski auch gegen die katholische Kirche. Noch am Vorabend der Abstimmung hatten die Bischöfe zum Abschluss ihrer Vollversammlung in Warschau erneut für den Schutz von ungeborenen Kindern eingesetzt. Sie zitierten die Worte von Papst Johannes Paul II. (1978-2005): eine „vorsätzliche Abtreibung“ sei „Mord“.
Der Stand der Dinge
Wie bislang sind in Polen weiterhin Schwangerschaftsabbrüche in drei Ausnahmefällen erlaubt: wenn die Gesundheit der Frau gefährdet ist, wenn sie vergewaltigt wurde oder wenn eine irreversible schwere Schädigung des Fötus festgestellt wurde. Regierungsangaben zufolge wurden in Polen zuletzt rund 1.000 Abtreibungen pro Jahr registriert. In den meisten Fällen sei als Grund eine diagnostizierte schwere Behinderung oder eine schwere Krankheit des Fötus angegeben worden. Nach Schätzungen von Frauenrechtlerinnen treiben jedes Jahr rund 100.000 Polinnen illegal ab, viele von ihnen im Ausland.