Dirk Wiese wird neuer Russlandbeauftragter

Dirk wer? Das Erstaunen bei allen russlandaffinen Menschen ist groß. Der Grund: Die schwarz-rote Bundesregierung hat den SPD-Abgeordneten Dirk Wiese zum neuen Russlandbeauftragten ernannt. Er folgt auf Gernot Erler, der das Amt seit 2014 inne hatte.

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Der „Entfremdung“ entgegenwirken

Wiese will nach eignen Worten durch einen engeren Austausch von Deutschen und Russen einer „Entfremdung“ der beiden Länder entgegenwirken.

Überrascht sind die Beobachter, weil auf den überaus erfahrenen Erler nun ein Mann folgt, der bis jetzt keinerlei Berührungspunkte mit Osteuropa hat. Der 34-jährige Jurist ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 2017 bis zur Regierungsbildung 2018 war er Parlamentarischer Staatssekretär bei der ehemaligen Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD).

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Große Bedenken bei den Beobachtern

Jens Siegert, ehemaliger Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau, bringt es in einem Post auf Facebook auf den Punkt:

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„Was prädestiniert diesen Mann, Russlandbeauftragter der Bundesregierung werden? Zumindest in dieser Wikipedia-Biographie habe ich keinerlei Russland- und auch keinen anderen Osteuropa- und Zentralasienbezug gefunden. Außer vielleicht der Mitgliedschaft im Wirtschaftsministerium- und Energieausschuss und der Staatssekretärtätigkeit im gleichnamigen Ministerium. Diese beiden Dinge scheinen mir aber eher auf einen Nord-Stream-2-Beauftragten hinzuweisen. Die SPD weiter auf Abwegen.“

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Die Frage stellt sich nun tatsächlich, wie sie der neuen Russlandbeauftragte zu den drängenden Themen stellt. Seine ersten Aussagen lassen nur wenig bis keine Schlüsse zu.

Angesichts der aktuellen Konflikte mit Russland brauche es „klare Positionen, aber auch konstruktive Kanäle des Dialoges auf möglichst vielen Ebenen“, erklärte Wiese nach seiner Ernennung. Er wolle daher den gesellschaftlichen Dialog als Basis für gegenseitiges Vertrauen und Verständnis intensivieren. Und weiter:

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„Ich bin davon überzeugt, dass ein noch engerer Kontakt und Austausch von Menschen, insbesondere der jüngeren Generation, aus den beiden Ländern dabei helfen kann, einer Entfremdung unserer Gesellschaften entgegenzuwirken.“

Aber das Geld nimmt Polen gerne

Die Hetze Polens gegen die EU geht weiter. Präsident Andrzej Duda hat die Mitgliedschaft seines Landes in der Europäischen Union kritisiert und Parallelen zur 123-jährigen Besatzung Polens durch Russland, Österreich und Preußen zwischen 1795 und 1918 gezogen.

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Irgendwo in fernen Hauptstädten

Duda hat in einer Rede in Kamienna Gora in Niederschlesien erklärt, „irgendwo in der Ferne, in entfernten Hauptstädten wird über unsere Angelegenheiten entschieden (…), und in Wirklichkeit arbeiten wir für die Rechnung anderer“. In seiner Rede zum Gedenken an Polens Unabhängigkeit vor hundert Jahren sagte Duda außerdem, einige Menschen fänden die EU wichtiger als Polen.

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„Bo bardzo często ludzie mówią nam: po co nam Polska? Unia Europejska jest najważniejsza. Przecież państwo wiecie, że bywają takie głosy. To niech sobie ci wszyscy przypomną te 123 lata zaborów. Jak Polska wtedy, pod koniec osiemnastego wieku swoją niepodległość straciła i zniknęła z mapy. Też byli tacy, którzy mówili: a może to lepiej, swary się wreszcie skończą, te rokosze, te wszystkie insurekcje, wojny, awantury, konfederacje, wreszcie będzie święty spokój”.

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Auch damals – bevor Polen 1918 seine staatliche Souveränität wiedererlangte – hätten Leute die Auffassung gehabt: „Vielleicht ist es besser. Es wird keinen Streit mehr geben, keine Aufstände, keine Erhebungen, keine Kriege, keine Abenteuer, keine Konföderationen. Endlich wird es Frieden geben.“ Doch dann hätten diese Leute „schnell begriffen, dass Kriege und Abenteuer weitergingen“ und die Polen keinerlei Einfluss mehr hätten und über ihre Köpfe hinweg entschieden werde. Heute sei Polen „souverän und unabhängig“. Er glaube daran, dass es ein Staat sein werde, in dem es sich „immer besser“ leben lasse.

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Die Beziehungen zur EU sind gespannt

Duda ist aus der rechtsnationalen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hervorgegangen, die Polen seit ihrem Wahlsieg im Oktober 2015 regiert. Die Beziehungen zur Europäischen Union sind gespannt. Die EU-Kommission wirft Warschau insbesondere vor, mit umstrittenen Maßnahmen die Unabhängigkeit der Justiz zu gefährden. Die polnische Regierung weist das zurück.

Im Dezember beantragte die Kommission ein bisher beispielloses Strafverfahren gegen Polen, das bis zum Entzug von Stimmrechten auf EU-Ebene führen kann. Polen gehört der EU seit 2004 und dem Nato-Militärbündnis seit 1999 an. Es ist mit etwa zehn Milliarden Euro jährlich abzüglich seines Beitrags zum EU-Haushalt größter Nettoempfänger der Europäischen Union.

AfD feiert in Stuttgart die Einheit

Den Tag der Deutschen Einheit nutzt die AfD-Prominenz in Stuttgart für einen Generalabrechnung mit der EU und mit der deutschen Politik. Mit dabei: der Europapolitiker Pretzell und die AfD-Chefin Petry. Überraschend nicht bei der Veranstaltung war Jörg Meuthen, Vorsitzender der wieder vereinigten AfD im Stuttgarter Landtag. 

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Demo gegen die AfD in Stuttgart

Tag der Deutschen Einheit

Die Selbstbestimmung der Bürger in Europa und Deutschland ist nach den Worten der AfD-Politiker Marcus Pretzell und Frauke Petry in Gefahr. Die europäische Idee des Individuums falle dem alles bestimmenden Staat zum Opfer, sagte der AfD-Europaparlamentarier Pretzell bei einer Feier seiner Partei zum Tag der Deutschen Einheit in Stuttgart. „Eine angestrebte Umkehr dieses europäischen Gedankens werden wir nicht dulden“, betonte Pretzell, der Mitglied der ENF-Fraktion (Europa der Nationen und der Freiheit) im Europaparlament ist.

Demo gegen die AfD

Vor dem Veranstaltungslokal skandierten bis zu 300 Demonstranten „Nazis raus“ und „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“. Nach Einschätzung der Veranstalter dieser Gegendemonstration ist die AfD eine rassistische Partei, die sich gegen sozial Schwache und gesellschaftliche Minderheiten stelle.

Nach Polizeiangaben kam es vereinzelt zu „Provokationen zwischen Teilnehmern der AfD-Veranstaltung und mutmaßlich dem linken Spektrum zuzurechnenden Demonstranten“. Der Stadtbahnverkehr entlang der Tagungshalle wurde zeitweise eingestellt. Ein Polizist wurde den Angabne zufolge bei dem Einsatz leicht verletzt. Ein Demonstrationsteilnehmer wurde vorläufig festgenommen.

Petry zieht Vergleich zur DDR

Petry, AfD-Bundesvorsitzende und gebürtige Dresdnerin, zog in ihrer Rede Parallelen zwischen aktuellen Tendenzen in der Bundesrepublik und Erscheinungen in der DDR. Im SED-Staat sei die Politik durch ideologische Wunschvorstellungen bestimmt gewesen, die „Politikerkaste“ sei abgehoben gewesen und habe ökonomische Schwierigkeiten sowie die Probleme der Bürger ignoriert. Die Medien hätten nicht die Realität dargestellt. „Es war gefährlich, seine Meinung zu sagen“, sagte sie und fügte als rhetorische Frage an die rund 300 Gäste hinzu: „Kommt Ihnen das bekannt vor?“ Die AfD werde dafür eintreten, dass solche Zustände nicht „auf leisen Sohlen wieder zurückkehren“.

Wer die „Masseneinwanderung“ von Flüchtlingen als Zeichen von Vielfalt interpretiere verkenne, dass Europa mit seinen verschiedenen Kulturen bereits Vielfalt verkörpere, sagte Pretzell. „Vielfalt ist das letzte, was „good old europe“ lernen muss.“ Die Europäer müssten sich ihrer Werte bewusst sein, auch im Verhältnis zu den Zuwanderern, die die Freiheit der Religion, Gleichberechtigung von Mann und Frau und den westlichen Bildungs- und Leistungsethos nicht zu schätzen wüssten. „Die Hälfte von ihnen lebt geistig im siebten Jahrhundert“, sagte Pretzell.

Pretzell gegen Pöbeleien

Zum Auftakt der Veranstaltung distanzierte sich Pretzell von Pöbeleien gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundespräsident Joachim Gauck bei der Einheitsfeier am Montag in Dresden. Der Tag sei ein Tag der Freude, insbesondere für die AfD. Polemik sei dem Anlass nicht angemessen. Damit reagierte Pretzell auf Äußerungen mehrerer hundert Demonstranten, darunter vor allem Anhänger des fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses, die Gäste der Einheitsfeier als „Volksverräter“ beschimpft hatten.

Der Ko-Vorsitzende von Petry und designierte Vorsitzende der vor der Wiedervereinigung stehenden baden-württembergischen AfD-Landtagsfraktion, Jörg Meuthen, war nach Worten von Pretzell zur Feier eingeladen. Meuthen war jedoch nicht anwesend.

 

Nachtrag:

Parallel zum Treffen der AfD in Stuttgart Bad Cannstatt hat sich nicht nur vor dem Tagungsort, dem Kursaal, der Protest geregt. Auch in der Stadt waren Gegendemonstranten zu Gange. Drei AfD-Mitglieder zeigten am Montag bei der Polizei an, dass zwei Autos und ein Wohnhaus beschädigt wurden.

Das Auto eines AfD-Politikers

Getroffen habe es die Autos des Kreisvorstandsmitglieds Alexander Beresowski und des Stadtrats Eberhard Brett sowie das Haus des Landtagsabgeordneten Heinrich Fiechtner. An den Autos wurden Reifen zerstochen, Scheiben zerstört und in einem Fall Parolen auf den Lack gesprüht. Im Internet bekennen sich die Verfasser eines Beitrags auf der Seite Indymedia.org zu den Sachbeschädigungen.

 

Hier geht es zur Berichterstattung in der Stuttgarter Zeitung

 

Immer mehr Deutsche mit Migrationshintergrund

In Deutschland haben mehr Menschen einen Migrationshintergrund als je zuvor. Gut jeder Fünfte (21 Prozent) gehört zu dieser Gruppe. 17,1 Millionen Menschen mit ausländischen Wurzeln lebten 2015 in der Bundesrepublik. Das waren 4,4 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Hier geht es zur Publikation des Statistischen Bundesamtes

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Türkei, Polen, Russland

„Der außergewöhnlich hohe Anstieg ist vor allem auf ausländische Zuwanderer zurückzuführen“, teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit. Rund 11,5 Millionen Zuwanderer wohnten 2015 in Deutschland. Das waren 5,5 Prozent mehr als 2014. Die drei wichtigsten Herkunftsländer der Menschen mit Migrationshintergrund sind die Türkei, Polen und Russland. Rund 6,3 Millionen Menschen haben ihre Wurzeln in den ehemaligen Gastarbeiteranwerbestaaten, darunter vor allem in der Türkei, in Italien und in Griechenland.

Migranten deutlich jünger

Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist im Durchschnitt deutlich jünger. Von den Minderjährigen gehört bereits jeder Dritte dazu. Bei Menschen im Rentenalter ist es dagegen nicht einmal jeder Zehnte.

Der größte Teil der Flüchtlinge, die im vergangenen Jahr nach Deutschland kamen, ist in der Stichprobenerhebung Mikrozensus noch nicht enthalten. Die Erstaufnahmeeinrichtungen wurden nicht erfasst.

Wer hat einen Migrationshintergrund?

Für die Statistiker hat ein Mensch einen Migrationshintergrund, „wenn er selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde“. Dazu zählen Ausländer, Eingebürgerte und Spätaussiedler und ihre als Deutsche geborenen Nachkommen.

Das ist allerdings ein eher enger Begriff von Migrationshintergrund. Viele junge Menschen, deren Großeltern aus der Türkei, Polen oder Russland kommen, werden also nicht mehr gezählt. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund wesentlich höher liegt – wenn man den Begriff etwas weiter definiert.

Hier geht es zum Statistischen Bundesamt

 

Neustart in St. Petersburg

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland steckt in der Krise. Nun will man wieder enger zusammenarbeiten, ohne allerdings ihre Meinungsunterschiede auszublenden. Der aktuell stattfindende „Petersburger Dialog“ könnte ein guter Einstieg sein. Vor allzu großen Erwartungen sei allerdings gewarnt.

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Sieht nicht gerade spannend aus, ist aber eine interessante Veranstaltung – der Peterburger Dialog 2016

Über die brisanten Themen lange geschwiegen

Der „Petersburger Dialog“ war im Grunde tot. In den 15 Jahren seines Bestehens war er zu einer Folkloreveranstaltung zwischen Deutschland und Russland verkommen. Wichtige und brisante Themen wurden tunlichst ausgeschwiegen oder bis zur Unkenntlichkeit verklausuliert diskutiert. Diese Konfliktscheu kam vor allem der russischen Seite entgegen, denn dort bestand allenfalls in der Anfangsphase das Interesse, die kritischen Stimmen im eigenen Land zu Wort kommen zu lassen. Die Deutschen haben das über Jahre akzeptiert.

Grundlegende Reformen

Nun also der Neuanfang. So bitter es klingt: die Denkpause nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine hat dem „Petersburger Dialog“ offensichtlich gut getan. Zumindest auf deutscher Seite wurde das Format grundsätzlich reformiert. Der exklusive Club wurde grundsätzlich umgekrempelt von deutscher Seite um eine ganze Reihe von russlanderfahrenen und unabhängigen Nichtregierungsorganisationen erweitert. Nun sitzen etwa die für Russland eher unbequemen Vertreter von Anmesty International oder Greenpeace mit am Tisch. Auch im Vorstand des „Petersburger Dialogs“ sind die Reformkräfte vertreten und mit Ronald Pofalla wurde ein neuer Vorsitzender installiert, der sich nicht scheut, auch die schwierigen Fragen anzusprechen.

Das ist wichtig, denn das offizielle Russland ist zu einem schwierigen Gesprächspartner geworden. Internationale Selbstisolation, militärische Aggression gegenüber europäischen Nachbarstaaten wie die Ukraine oder Georgien und systematische Unterdrückung kritischer Kräfte im eigenen Land machen den Dialog mit dem Kreml äußerst schwer. Aber gerade deshalb ist es wichtig, dass Deutschland und Russland im Gespräch bleiben.

Kein Kuschelkurs mit Russland

Das hat auch Roland Pofalla bei dem aktuellen Treffen in St. Peterburg unterstrichen. Es gebe keine Alternative zum Gespräch, lautet sein Kredo gleich zu Beginn der Veranstaltung  – aber der deutsche Verhandlungsführer machte im selben Atemzug deutlich, dass das er keinen Kuschelkurs einschlagen will. Pofalla kritisierte die russische Einverleibung der Krim als völkerrechtswidrig und prangerte auch Moskaus Unterstützung für Separatisten in der Ostukraine an.

Auch ein weiteres brisantes Thema wurde angesprochen. Vertreter der russischen Zivilgesellschaft klagten in St. Petersburg über Repressionen vonseiten der Führung in Moskau. Sie äußerten unter Kritik an einem Gesetz, demzufolge sich Nichtregierungsorganisationen mit Zuschüssen aus dem Ausland selbst als „ausländische Agenten“ bezeichnen müssen.

Erstaunte Russen

Die russische Seite muss sich wohl erst an diese neue Offenheit gewöhnen. Deren Delegationsleiter Viktor Subkow sagte zur Kritik lediglich, die russischen Gesetze seien derzeit eben so. Eine solche Haltung ist an Zynismus und Gleichgültigkeit wohl kaum zu überbieten.

Diese Reaktion zeigt, dass bei der Verständigung zwischen Deutschen und Russen nicht allein auf den „Petersburger Dialog“ gesetzt werden darf.  Auf russischer Seite sitzen noch immer vorwiegend kremltreue Vertreter oder sogar direkte Freunde des Präsidenten Wladimir Putin. Unabhängige Geister oder kritische Medienvertreter sucht man vergebens. Aus diesem Grund ist es auch praktisch ausgeschlossen, dass der „Petersburger Dialog“ in die russische Gesellschaft ausstrahlt. Ziel muss es sein, abseits dieses offiziellen Forums auch andere Gesprächskanäle zu finden, um die normalen Menschen in Russland erreichen. Dieses Ziel ist umso wichtiger, da die Propaganda des Kremls täglich auf das Volk niederprasselt. Eine unabhängige Diskussion gesellschaftlich relevanter Themen ist unter diesen Umständen kaum mehr möglich.

Zu lange die Augen verschlossen

Zu lange hat Europa die Wichtigkeit der Zivilgesellschaft in Russland für die Entwicklung der Demokratie unterschätzt. Zu fixiert war man in Brüssel und auch Berlin auf die Repräsentanten des Kremls – der „Petersburger Dialog“ war ein gutes Beispiel für diese Arbeitsweise. Unter Schmerzen wurde das Forum auf deutscher Seite reformiert und vom alten Ballast befreit. Das Gespräch wird nun offener und ehrlicher geführt werden. Auch darin könnte der „Petersburger Dialog“ zum Vorbild werden.

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Eine Chronologie:

Das deutsch-russische Diskussionsforum „Petersburger Dialog“ erlebte in 15 Jahren einige Höhen und Tiefen. Eine Auswahl:

April 2001: Der erste „Petersburger Dialog“ trägt unter Leitung der Gründer Gerhard Schröder (SPD) und Wladimir Putin das Motto „Russland und Deutschland an der Schwelle des 21. Jahrhunderts – Ein Blick in die Zukunft“. Die Oper der Newa-Metropole spielt als kulturellen Höhepunkt Richard Wagners „Rheingold“ in deutscher Sprache.

April 2002: Der zweite „Petersburger Dialog“ findet in Weimar statt. Ein halbes Jahr nach den Terroranschlägen in den USA heißt das Motto „Deutschland und Russland in einer sich neu ordnenden Welt“. Einer der Organisatoren ist Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow.

Oktober 2006: Am „Petersburger Dialog“ in Dresden nimmt für die Bundesregierung erstmals die gerade gewählte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) teil. Pikant: Putin kehrt als Kremlchef in die Stadt zurück, in der er zu DDR-Zeiten für den sowjetischen Geheimdienst KGB arbeitete.

September 2008: Der „Petersburger Dialog“ in St. Petersburg ist vom Krieg zwischen Russland und Georgien im August überschattet. Für die Führung in Moskau nimmt der neue Präsident Dmitri Medwedew teil.

Juli 2011: Zum zehnjährigen Jubiläum findet der „Petersburger Dialog“ erstmals in zwei Städten statt: in Wolfsburg und Hannover.

Oktober 2014: Kurz vor dem „Petersburger Dialog“ in Sotschi sagen beide Seiten die Veranstaltung ab. Grund ist Russlands Vorgehen in der Ukraine und die massive Kritik des Westens daran.

Oktober 2015: Unter dem Motto „Modernisierung als Chance für ein gemeinsames europäisches Haus“ tagt der personell reformierte „Petersburger Dialog“ in Potsdam. Es ist ein Versuch der Annäherung.

Juli 2016: In weiterhin schwierigen Zeiten nutzen Deutsche und Russen den „Petersburger Dialog“ als Gesprächskanal. Im Jubiläumsjahrgang in St. Petersburg leitet Ronald Pofalla die deutsche Delegation. Der Ex-Kanzleramtschef hatte Lothar de Maizière 2015 abgelöst.

 

Polen wird im Stich gelassen

Eine sehr interessante Umfrage der Berteslmann Stiftung. Dabei geht es vor allem um das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland – doch die Antwort auf eine andere Frage ist überaus aussagekräftig über das Verhältnis innerhalb der Nato und der EU. 

 

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Hier die Erläuterung zur Grafik von der Bertelsmann Stiftung:

 

Aus Sicht der Deutschen stellt Russland keine militärische Bedrohung für Deutschland dar (2015: 51 Prozent; 2016: 56 Prozent). Dies ist einer der Gründe, dass fast die Hälfte (49 Prozent) der Deutschen die Stationierung permanenter NATO-Mission in Polen oder den Baltischen Staaten nicht befürworten, wiewohl immerhin 40 Prozent der Befragten dafür sind. Doch wenn Russland Polen oder die baltischen Staaten angriffe, möchte nur ein Drittel (31 Prozent) der Befragten deutsche Soldaten zur Verteidigung in diesen Ländern sehen.

Hier geht es zur Auswertung der Umfrage der Bertelsmann Stiftung

 

Der Blick aus dem Ausland

 

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt werden auch im Ausland sehr genau analysiert. Neben einer gewissen Schadenfreude, dass Angela Merkels Flüchtlingspolitik offensichtlich von vielen Wählern nicht gut geheißen wird, wird der Aufstieg der AfD aber auch mit einiger Sorge beobachtet. Besinnt sich Deutschland nun wieder auf die eigene, nationale Stärke?  

„SME“ (Slowakei)

„Die Kanzlerin hat bei allem noch Glück, dass die Wahlen vor dem nächsten EU-Türkei-Gipfel Ende dieser Woche stattfanden (bei dem das Scheitern ihrer EU-Migrationspolitik erst richtig deutlich werden dürfte). Denn wenn wir vom breiten Konsens ausgehen, dass Merkel um ihre politische Zukunft spielt, indem sie auf eine europäische Lösung setzt, dann sieht diese ihre Zukunft nach dem Zwist mit Österreich und teilweise Frankreich sehr traurig aus. Das Zumauern der Balkan-Route unter der Regie (des österreichischen Bundeskanzlers) Werner Faymanns, der diese Trasse trotz Merkels Widerstand schloss, und die Ausrufung einer Obergrenze für Flüchtlinge durch Wien und Paris sind mehr als nur ein symbolischer Verrat und der Verlust enger Verbündeter.“

„MF Dnes“ (Tschechien)

„Alle lokalen Themen wurden beiseitegeschoben. In den Wahlkampagnen aller Parteien dominierte nur eine Frage – wie geht man mit der Flüchtlingskrise um. Seit mehreren Monaten wächst die Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen ihrer entgegenkommenden Haltung bei der Aufnahme von Flüchtlingen und ihrer Weigerung, eine Obergrenze festzulegen. Diese Situation spielt der populistischen AfD mit ihrer scharfen Anti-Flüchtlings-Rhetorik in die Hände.“

„Sega“ (Bulgarien)

„Die Wahlen in drei deutsche Bundesländer bestätigten am Sonntag die bereits begonnene Wende bei den Gefühlen der Deutschen zur Kanzlerin Angela Merkel. Sie hatte sich viel Kritik wegen ihrer Politik der offenen Arme für Flüchtlinge zugezogen. Als treffend erwiesen sich nun die Meinungsumfragen, wonach 56 Prozent der Deutschen Merkels Haltung nicht befürworten und mehr als zehn Prozent der Wähler mit der Anti-Immigranten-Partei Alternative für Deutschland sympathisieren. Obwohl regional, hatten die (Landtags)Wahlen eine nationale Bedeutung.“

„Hospodarske noviny“ (Tschechien)

„Die Wahlen galten als Referendum über die Migrationspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel, nachdem im vorigen Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen waren. Für die Kanzlerin ist dieses Referendum nicht gut ausgegangen. Den größten Stimmenzuwachs kann die euroskeptische Antimigrationspartei Alternative für Deutschland (AfD) verzeichnen. (…) Merkel hat zuletzt selbst mehrmals gesagt, dass in diesem Jahr nicht genauso viele Asylbewerber aufgenommen werden können wie im vorigen. Obwohl sie die Schließung der mazedonisch-griechischen Grenze und die österreichische Obergrenze für Flüchtlinge kritisiert, haben gerade diese Schritte zuletzt am meisten zur Reduzierung der Ankunftszahlen an den deutschen Grenzen beigetragen.“

„Dagens Nyheter“ (Schweden)

„Die Deutschen sind am Montagmorgen in einem Land aufgewacht, das nach den drei Landtagswahlen am Sonntag nicht mehr dasselbe ist. Der Wahlsieg für die Alternative für Deutschland gleicht einem Erdbeben, das dauerhafte Folgen haben wird.“

„El País“ (Spanien)

„Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde von den Wählern abgestraft. Der Vormarsch der ausländerfeindlichen und euroskeptischen AfD bedeutet ein politisches Erdbeben, das durch die Flüchtlingskrise ausgelöst wurde. Für Deutschland und das übrige Europa sind die Wahlergebnisse eine sehr schlechte Nachricht. Deutschland ist die Lokomotive der europäischen Wirtschaft und in der EU ein unersetzbarer Stützpfeiler. Wenn sich in der öffentlichen Meinung dieses Landes die Ansicht ausbreitet, dass Europa ein Hindernis für den Wohlstand der Deutschen ist und die Ausländer die Schuld an den Schwierigkeiten haben, muss dies alle Demokraten auf dem Kontinent beunruhigen. Für die deutschen Politiker ist es eine Warnung, die sie mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 nicht ignorieren können.“

„Lidove noviny“ (Tschechien)

„Die deutsche Kanzlerin führt ein großes Migrations-Experiment durch, das nun erstmals einem Test durch die Wähler unterzogen wurde. Wen repräsentiert Angela Merkel dabei? Die Christdemokraten, denen sie vorsteht, oder eher die Grünen, in deren Intentionen sie handelt? Es ist augenscheinlich, dass ein großer Teil der Nation hinter ihr steht. Aber steht dieser hinter ihr als Chefin der CDU oder als eigene Kraft grüner Politik? Nach den Landtagswahlen muss man vermuten, dass den Wählern weniger am Schicksal der CDU gelegen ist als an dem der Kanzlerin.“

„Berlingske“ (Dänemark)

„Seit der Gründung der rechten Partei haben die etablierten Parteien gehofft, dass das ungemütliche Phänomen von selbst wieder verschwinden würde. Entweder als Folge interner Querelen oder politischer Inkompetenz. Oder als Folge der politischen Konjunktur, die sich inzwischen als weit unberechenbarer herausgestellt hat, als selbst die für gewöhnlich gründliche Merkel hat voraussehen können. Wenn die Alternative für Deutschland nach vorne stürmt, geschieht das nicht nur aufgrund der unmittelbaren Herausforderung, die die Flüchtlingskrise für den Alltag der Deutschen darstellt, sondern aufgrund einer seit langem schwelenden Unzufriedenheit mit dem Burgfrieden zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten, der dazu geführt hat, dass die deutsche Innenpolitik seit mehr als zehn Jahren einer Konferenz von Versicherungsmaklern mittleren Alters gleicht.“

„Times“ (Großbritannien)

„Dieser Sieg ist ein niederschmetternder Schlag gegen Frau Merkel, die vor dem Krisengipfel in Brüssel diese Woche auch Probleme hat, ihre Pläne für die Aufteilung von Asylsuchenden über die Europäische Union anderen skeptischen Regierungen zu verkaufen. Die Ergebnisse der Landtagswahlen erhöhen den Druck auf sie, die Zahl der nach Deutschland kommenden Migranten zu senken. Es ist auch das erste Mal, dass eine rechtsgerichtete Partei im modernen Deutschland breite Unterstützung gefunden hat.“

„Ouest-France“ (Frankreich)

„Seit 1945 erschien es unmöglich, dass es politischen Raum rechts der CDU gibt. Von jetzt an ist dieser Raum von der Alternative für Deutschland besetzt. Der vor gerade einmal drei Jahren gegründeten AfD ist in drei wichtigen Bundesländern mehr als ein Durchbruch gelungen. Sie hat inzwischen Abgeordnete in der Hälfte der Landtage und hat sich als wahrscheinlich dauerhafter Akteur im politischen Leben Deutschlands etabliert. (…) Die Magie von (Bundeskanzlerin Angela) Merkel ist vermutlich zu Ende. Verschlungen vom Flüchtlingsansturm, einem von den Pariser Anschlägen verstärkten Klima der Angst und den finsteren Ereignissen von Köln. Auf eine gewisse Weise reagiert Deutschland wie die anderen: Die Flüchtlingskrise gibt den populistischen Parteien überall Rückenwind.“

„Guardian“ (Großbritannien)

„Die flüchtlingsfeindliche Partei Alternative für Deutschland (AfD) hat mit ihren dramatischen Zugewinnen bei den Wahlen Deutschlands politische Landschaft erschüttert und ist getragen vom zunehmenden Ärger über Angela Merkels Asylpolitik in drei Regionen erstmals in die Parlamente eingezogen. Aber ein Zeichen der zunehmend polarisierten Debatte in Deutschland ist, dass flüchtlingsfreundliche Kandidaten auch zwei dröhnende Siege in den Wahlen eingefahren haben – den ersten, seit Kanzlerin Merkel an Bord ihres Flaggschiffs, einer Politik der offenen Tür in der Flüchtlingskrise, gegangen ist.“

„Nepszabadsag“ (Ungarn)

„Auf der extrem rechten Seite hatten bisher die Parteien mit Neonazi-Einschlag die Protest-Stimmen eingeholt. Das hat sich nun geändert. Die AfD ist keine Versammlung neu-brauner Glatzköpfe, sondern sie kann in der gesellschaftlichen Mitte Stimmen fischen – und zwar in großem Stil, wie es der Super-Wahlsonntag gezeigt hat. Deutschland ist eine starke liberale Demokratie, aber jetzt muss man sehr aufpassen. Das Übel liegt in der gesellschaftlichen Mitte. An den Grundlagen.“

Cool bleiben!

Der Hitler-Vergleich musste kommen. Seit Tagen machen wieder Bilder mit Angela Merkel in Wehrmachtsuniform die Runde. Da steht die deutsche Kanzlerin mit den mächtigen aus Brüssel am Tisch und verhandelt über die Teilung Polens. Die Stimmung ist also wieder einmal schlecht – das ist keine allzu gute Basis für Verhandlungen. Zumal am Mittwoch die EU-Kommission berät, ob sie in Polen die Rechtsstaatlichkeit in Gefahr sieht – ein Verfahren zum Stimmrechtsentzug könnte folgen.

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Kaczynski ist nicht Putin

Es ist nur mäßig zielführend, wenn EU-Parlamentspräsident Martin Schulz davon redet, dass sich Polen in Richtung einer „gelenkten Demokratie nach Putins Art“ entwickeln würde. Nun gut, beide Länder liegen östlich von Deutschland, doch damit enden die Parallelen. PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski ist nicht Wladimir Putin, der die Opposition drangsaliert, Jagd machen lässt auf kritische Journalisten und das imperiale Großmachtstreben wieder zur Staatsdoktrin erhoben hat.

Drohend in Richtung Warschau äußern sich auch CDU-Fraktionschef Volker Kauder oder EU-Kommissar Günter Oettinger. Und der Rest Europas? Die Kritiker Polens kommen vor allem aus Deutschland, allenfalls assistiert von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker.

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Berlin sitzt zu Gericht über Polen

Selbst gutwillige Polen bekommen aus diesem Grund den Eindruck, dass vor allem Deutschland zu Gericht über seinen Nachbarn sitzt – und Kaczysnki verstärkt mit seinen ständigen Anleihen aus der Geschichte diesen Eindruck noch. Im Gegensatz zu vielen Deutschen ist der Hitler-Stalin-Pakt bei den Polen noch nicht in der Mottenkiste der Erinnerung gelandet.

So weit braucht Kaczynski in der Geschichte allerdings nicht zurückzugehen: der Bau der Northstream-Pipeline durch die Ostsee – ausgehandelt zwischen Deutschland und Russland – hat das Verhältnis zwischen Berlin und Warschau nachhaltig vergiftet.

Bedenkliche Entwicklung in Polen

Kein Zweifel: was in Polen im Moment vor sich geht, ist mehr als bedenklich! Aber das Krisenmanagement der EU ist schlicht eine Katastrophe. Dass sich ausgerechnet Deutschland zum Lehrmeister aufschwingt, ist ein großer taktischer Fehler. Besser wäre es, wenn etwa Frankreich sich zu Wort gemeldet hätte. Auch ein mahnendes Wort aus den USA hätte im traditionell US-freundlichen Polen wesentlich mehr Wirkung gezeitigt.

Ändert die EU ihre Vorgehensweise nicht grundlegend, wird sie bei der Regierung in Warschau auch weiter kein Gehör finden. Auf jeden Fall ist es Zeit, verbal abzurüsten – auf beiden Seiten der Oder!

 

INFO – um was geht es im Streit mit Polen:

Für die nationalkonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), die seit Mitte November mit absoluter Mehrheit in Polen regiert, geht es bei ihren umstrittenen Gesetzesprojekten um die „Reparatur des Staates“. Ihre Gegner hingegen fürchten eine Aufhebung der Gewaltenteilung und eine Gleichschaltung in den Medien.
Das VERFASSUNGSGERICHT muss nach einer seit Ende 2015 geltenden Reform seine Entscheidungen mit einer zwei Drittel-Mehrheit statt wie bislang mit einfacher Mehrheit treffen. Kritiker fürchten, dass eine so breite Mehrheit selten zustande kommen wird und das Gericht deswegen seine Rolle als Kontrollinstanz der Regierung verlieren könnte.
Das MEDIENGESETZ erlaubt der Regierung die Besetzung der Führungsposten in öffentlich rechtlichen Medien. Die PiS argumentiert, unter der bisherigen liberalkonservativen Regierung seien die Medien parteiisch gewesen. Nun gelte es, Korrekturen zu treffen und neue inhaltliche Akzente zu setzen, etwa im Programm die nationale Identität zu stärken. Kritiker warnen, die Regierung habe nun Einfluss auf Programmgestaltung und -macher. Zudem wird politischer Druck auf die bei den Sendern arbeitenden Journalisten befürchtet.

Solidarität statt Nationalismus

Die Flüchtlingskrise droht Europa zu spalten. Das muss verhindert werden – mit allen Mitteln.

Ein Kommentar:

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Die Augen verschlossen

Niemand soll sagen, die Krise komme  überraschend. Seit vielen Jahren suchen Flüchtlinge den Weg nach Europa. Hunderttausende sind über das Mittelmeer gekommen, Tausende sind auf der Überfahrt ertrunken. Die Länder im Norden der EU haben die Augen verschlossen, weil die Länder im Süden für dieses Problem zuständig waren. So lautete die  Regelung in der Europäischen Union. Man war allenfalls bereit, Flugzeuge oder Boote für die Grenzschutzagentur Frontex abzustellen. Irgendwann war man  abgestumpft. Bilder von überfüllten Schlauchbooten oder angeschwemmten Leichen waren schrecklich, aber Lampedusa ist weit weg. Es herrschte das Sankt-Florians-Prinzip.

Spätestens als der Arabische Frühling  nicht die erhoffte Demokratie brachte, sondern  die ganze Region destabilisierte, waren die Tage der vermeintlichen Ruhe in Europa gezählt. Nach Jahren des vergeblichen Wartens auf Besserung verloren Hunderttausende in Syrien, Libyen oder auch im  Sudan die Hoffnung. Also machten sie sich auf den Weg. Es ist seitdem eine Abstimmung mit den Füßen – gegen den Krieg, für ein menschenwürdiges Leben. Nun sind diese entwurzelten Menschen bei uns, wir können nicht mehr wegschauen.

Eine große Hilfsbereitschaft

Der Strom der  Flüchtlinge schiebt sich auf der  Balkanroute in Richtung Westen. Grenzen, Zäune, Soldaten, schlechtes Wetter – kein Hindernis kann diese Hilfesuchenden aufhalten, was den Grad ihrer Verzweiflung ermessen lässt. Natürlich fördert die Katastrophe auch Positives zu Tage. Erstaunlich ist die Gelassenheit und die Hilfsbereitschaft, mit der die Menschen auf dem Balkan den Flüchtlingen begegnen. Vielen Mazedoniern, Serben, Kroaten oder Slowenen ist noch  in Erinnerung, dass sie während der Kriege in den 90er-Jahren selbst auf der Flucht  und auf Hilfe angewiesen waren.  Anders auf staatlicher Ebene, dort  tun sich  Abgründe auf.

Erschreckend ist das Ausmaß der Entsolidarisierung Europas. Nur zwei Beispiele: Kroatien karrt Busladungen von Flüchtlingen durchs Land und kippt sie dem Nachbarn Slowenien förmlich vor die Grenze.   Und Ungarn macht die Schotten dicht und erklärt die Krise zu einem rein deutschen Problem. Es herrschen der blanke Nationalismus und bisweilen das reine Chaos. Das reiche Westeuropa hält sich mit Belehrungen zu Recht  zurück.  Schließlich geben wir  selbst eine desolate Figur ab. Gegenseitige Schuldzuweisungen haben den Gemeinschaftssinn verdrängt. Es gelingt nicht einmal, einige Zehntausend Flüchtlinge fair auf alle Staaten der EU zu verteilen.

Balkan-Gipfel in Brüssel

Was ist in solch einer Lage von dem Balkan-Gipfel am Sonntag mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und acht weiteren Staats- und Regierungschefs in Brüssel zu erwarten? Das Minimalziel muss sein, dass sich die Staaten entlang der Balkanroute auf  eine gemeinsame Lösung einigen. Die Flüchtlinge müssen besser versorgt werden und bereits dort muss geprüft werden, wer von den Ankommenden eine Chance auf Asyl hat und wer nicht. Serbien betont immer wieder, dass das Land bereit wäre, mehr zu machen, wenn klar gesagt wird, was die Kernaufgabe Belgrads in dieser Krise ist – und natürlich handfeste Hilfe von Brüssel kommt. Ähnlich äußern sich die anderen Länder. Kroatien hat bereits um winterfeste Zelte und Schlafsäcke gebeten. Slowenien will neben Finanz- und Materialhilfe sogar Polizisten aus anderen EU-Mitgliedsländern einsetzen.

Die Mächtigen Europas wissen also sehr genau, was  von ihnen in der aktuellen Situation gefordert ist. Dieser Gipfel wird nicht die ganz große Lösung bringen, aber er könnte der erste Schritt dazu sein. Sollte es keine greifbaren Ergebnisse geben, werde man ebenfalls einen Grenzzaun bauen, lautete am Freitag die unverhohlene Drohung aus Slowenien. Die Not der Flüchtlinge würde dann noch größer und das freie Europa noch ein Stück kleiner.