Das Treffen zwischen der EU und der Ukraine stößt auf wenig Interesse in der Öffentlichkeit. Die Ostukraine ist für viele weit weg. Doch dort entscheidet sich die Zukunft Europas.
Ein Panzer im Donbass
In Europa tobt ein Krieg. In der Ostukraine herrscht zwar formal ein Waffenstillstand, aber es werden jeden Tag Menschen getötet. Über 6000 sind es inzwischen. Das Sterben in Europa ist längst Alltag geworden. Ein Jahr nach dem Ausbruch der ersten Kämpfe im Donbass ist der Krieg in Vergessenheit geraten – vor allem im Westen des Kontinents. Entsprechend gering war das Interesse am Treffen der führenden Vertreter der Europäischen Union und der Ukraine in Kiew am Montag. Was sollte dort denn auch beredet werden? Wurden die zentralen Probleme in den vergangenen Monaten nicht schon unzählige Male durchgekaut? Und was hat sich in dieser Zeit bewegt? Erschreckend wenig.
Ein großes Unverständnis
Auf der einen Seite versteht die EU nicht, weshalb die Reformen in der Ukraine nicht in Angriff genommen werden. In Sachen Korruptionsbekämpfung, Dezentralisierung des Staates oder Verbesserung des Wirtschafts- und Investitionsklimas liegt eigentlich alles im Argen. In Kiew hingegen hadert Präsident Petro Poroschenko damit, dass die EU keine Waffen an die Ukraine liefern will, seine Forderung nach einer EU-Polizeitruppe unter Führung der UN nicht realisiert wird und noch nicht einmal Visumerleichterungen für Reisen in den Westen in greifbarer Nähe sind.
Die große Ernüchterung
Auf beiden Seiten herrscht große Ernüchterung. Dennoch heißt es gebetsmühlenartig, man werde den einmal beschrittenen Weg unbeirrt fortsetzen. Doch wo soll dieser Weg eigentlich enden? Darüber scheint weder in Brüssel noch in Kiew wirklich Klarheit zu herrschen. Soll die Ukraine eines Tages der Europäischen Union beitreten? Allein Wladimir Putin scheint in diesem Fall einen klaren Plan zu haben. Der russische Präsident will ein weiteres Abdriften der Ukraine in Richtung Westen verhindern. Das ist ihm mit der Annexion der Krim und dem vom Kreml befeuerten Krieg in der Ostukraine auf absehbare Zeit gelungen. Inzwischen glaubt selbst in der Ukraine kaum ein Mensch mehr an eine Zukunft des eigenen Landes innerhalb der Europäischen Union.
Nur Putin hat einen Plan
Putin hat den Ereignissen in der Ukraine eine völlig neue, weltpolitische Dimension gegeben. Er hat den EU-Politikern mit ihrer eurozentrierten Sichtweise auf eine brutale Art sehr deutlich gemacht, dass die friedliche Erweiterung der Union in Richtung Osten auch ganz anders gedeutet werden kann – nämlich als aggressiver Akt einer wirtschaftlich erschreckend erfolgreichen Großmacht. Das heißt, es geht in Kiew zwar vordergründig um die Frage, welche Zukunft die EU für die Ukraine sieht, dahinter steht aber die viel größere Frage: Welches Verhältnis will der Westen zu Russland? Ein Land, dessen Führung von zutiefst gekränktem Stolz, neuem Großmachtstreben und eiskalter Interessenpolitik geleitet wird.
Die Büchse der Pandora
Inzwischen ahnen auch die Brüsseler Politiker, dass sie die Büchse der Pandora in Händen halten. Deshalb etwa die Weigerung der EU, Waffen an die Ukraine zu liefern. Dieser Schritt könnte Europa in einen nicht zu kontrollierenden großen Krieg stürzen. EU-Sanktionen sind in dieser Situation der richtige Weg, denn sie zeigen Putin seine Grenzen auf. Tatsache ist, dass der wirtschaftliche Druck Russland stärker trifft, als der Kreml es zugibt: die Preise für Nahrungsmittel steigen dramatisch, der Lebensstandard sinkt, Russland steuert in eine schwere Rezession.
Europas Zukunft
Weder Europa noch Russland wollen eine weitere Eskalation. Um diese zu vermeiden, müssen aber beide Seiten aufeinander zugehen. Der Schlüssel dazu liegt in der Ukraine. Gelingt dort keine Lösung, wird sich der Kontinent in einem viele Jahre dauernden Kalten Krieg wiederfinden. Ein Ende des Sterbens im Donbass ist nicht nur im Interesse der Menschen in der Ukraine. Dort entscheidet sich auch die unmittelbare Zukunft Europas. Besser ist es also, diesen Krieg nicht zu vergessen.