Polens Kampf um die Demokratie

Einen solchen Protestmarsch hat Warschau schon lange nicht mehr gesehen. In der polnischen Hauptstadt gingen rund 50.000 Menschen gegen eine „Schleifung der Demokratie“ durch die neue Regierung der konservativen Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) auf die Straße.

15.12.13-polen-demo

„Freiheit, Gleichheit, Demokratie“

Die Demonstranten halten es für nicht legitim, dass die seit November regierende PiS mit ihrem Parteichef Jaroslaw Kaczynski ihre Macht nutzt, um etwa ihr genehme Verfassungsrichter einzusetzen. Der Warschauer Protestzug, der unter dem Schlagwort „Freiheit, Gleichheit, Demokratie“ stattfand, startete am Sitz des Verfassungsgerichts, um von dort zum Parlament und zum Präsidialamt weiterzuziehen. Die Demonstranten schwenkten polnische Flaggen und Fahnen der Europäischen Union.

Der Streit um die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts wird immer erbitterter geführt. Das Büro von Ministerpräsidentin Beata Szydlo blockiert einen Versuch des Gerichts, drei von der Vorgängerregierung benannte Richter im Amt zu halten.

Polen ist ein wichtiges Land

Fakt ist: Polen ist in Europa ein wichtiges Land. Deshalb darf die EU Warschau gegenüber nicht den gleichen Fehler wiederholen wie seinerzeit Ungarn und seinem Präsidenten Victor Orban gegenüber: Glauben, dass die Probleme sich schon von selbst regeln werden, weil man unter Europäern ist. Wenn ein EU-Mitgliedsland gegen Regeln des Rechtsstaates verstößt, muss es entschieden zur Ordnung gerufen werden. Täte man dies nicht, entstünde die Gefahr, dass der gesamte frühere kommunistische Teil der EU in Zentraleuropa sich darin gefällt, eine seltsame Praxis der Demokratie zu entwickeln.

Schon seit Jahren steht die Kaczynskis Drohung im Raum, den „ungarischen Weg“ einzuschlagen. „Der Tag wird kommen, an dem wir es schaffen, wir werden Budapest in Warschau haben.“ Das sagte der konservative Politiker nach der Niederlage seiner Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) bei der Parlamentswahl 2011. Nun – nach dem Erdrutschsieg der PiS – treibt er das Projekt scheinbar unbeirrbar voran. Dazu versucht er die Einflussnahme auf die Schaltstellen der Macht zu vergrößern.

Keine Zeit verloren

Die neue polnische Regierung verlor keine Zeit: Kaum im Amt, entließ sie die Chefs von vier der fünf Geheimdienste. Der fünfte, der Leiter des Anti-Korruptions-Büros CBA, trat wenige Tage später freiwillig zurück. Duda begnadigte den zu drei Jahren Haft verurteilten einstigen CBA-Chef Mariusz Kaminski – den die neue Regierung umgehend zum neuen Geheimdienstkoordinator ernannte. Auch das Verfassungsgericht besetzte die Regierung Anfang Dezember mit Vertrauensleuten. Duda widersetzte sich einer gerichtlichen Anordnung, drei Verfassungsrichter zu vereidigen, die noch unter der Vorgängerregierung vom Parlament ernannt worden waren, und setzte vier genehme Richter ein. Der Streit darum dauert an.

Doch damit nicht genug: auch die Medien sollen von der Einflussnahme der populistischen katholischen PiS nicht verschont bleiben. Die Partei will die Nachrichtenagentur PAP und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die derzeit Aktienunternehmen in Staatsbesitz sind, in nationale Kultureinrichtungen ähnlich der Oper oder der Nationalmuseen umwandeln. Der neue Kulturminister Piotr Glinski hatte angekündigt, die staatlichen Medien sollten „wirklich staatlich“ werden, „mit einer Mission“.

Keine EU-Flagge mehr

Bei den privaten Medien sollen die zurzeit marktbeherrschenden ausländischen Verlage zurückgedrängt werden, indem der Staat deren Anteile zurückkauft. Besonders deutsche Medienkonzerne sind in Polen präsent. Die Reform soll im ersten Halbjahr des kommenden Jahres umgesetzt werden. Der praktizierte Nationalismus der PiS spiegelt sich auch in Details wider: Aus dem Pressesaal der Regierung wurde die Europafahne entfernt. Ministerpräsidentin Szydlo sagte, Polen stehe weiter zu seiner EU-Mitgliedschaft. Aber die Regierung wolle daraus „den größtmöglichen Nutzen für die polnischen Bürger, die polnische Wirtschaft und unser Vaterland ziehen“.

Duda weckt böse Erinnerungen

Der 43 Jahre alte Europaabgeordnete Andrzej Dudas schlägt in der Stichwahl Amtsinhaber Bronislaw Komorowski (62) von der liberalen Bürgerplattform. Wie die Wahlkommission nach Auszählung der Stimmen am Montagnachmittag bekanntgibt, votierten für Duda 51,5 Prozent der Wähler. Er gehört der Oppositionspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) an. Für den bisherigen Amtsinhaber stimmten 48,5 Prozent der Wähler.

15.05.25-DUDA

Freude bei der katholischen Kirche

Die katholische Kirche nimmt sich für ihre Reaktionen für gewöhnlich sehr viel Zeit. Dieses Mal aber schien die Freude zu groß über den Sieg Andrzej Dudas in Polen. Nur 20 Minuten dauerte es, bis der Episkopats-Sprecher Jozef Kloch mitteilte: „Die Polnische Bischofskonferenz gratuliert dem gewählten Präsidenten herzlich!“ Kein Wunder – die Mehrheit der Bischöfe unterstützt den nationalkonservativen Wahlsieger Andrzej Duda. Im Wahlkampf bekannte sich der gebürtige Krakauer oft zu seinem katholischen Glauben. Im TV-Duell mit Komorowski berief sich Duda mehrfach auf den „Heiligen Johannes Paul II.“ Komorowski wich dagegen in einem wichtigen Punkt von der Kirchenlehre ab. Er machte sich offensiv für die In-Vitro-Fertilisation stark, die künstliche Befruchtung im Reagenzglas. Die Bischöfe fordern jedoch seit Jahren ein Verbot künstlicher Befruchtung, mit der Begründung, dass dabei erzeugte Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib selektiert und zerstört werden.

Duda gibt sich bescheiden

In der Stunde des großen Triumphes blieb Andrzej Duda bescheiden. Zudem versucht er den Brückenschlag über Parteigrenzen hinweg: „Ich will, dass man in fünf Jahren sagt, dass Duda der Präsident aller Polen ist“, sagte der 43-jährige Jurist. Sein PiS-Parteibuch will Duda aus diesem Grund zurückgeben.

Vor allem in den Städten zweifeln jedoch viele an der Weltoffenheit des neuen Präsidenten. Viele befürchten, dass das Land unter ihm stramm nach rechts driften könnte. Denn noch immer ist er eine Antwort auf viele Fragen schuldig: Wie wird es künftig weitergehen im Verhältnis zur EU, zu Deutschland oder zu Russland? Im Wahlkampf hatte er sich auf sozialpolitische Themen konzentriert, auf die Alltagsprobleme der Polen.

Die Identität Polens in der EU bewahren

Polen müsse seine nationale Identität auch in der EU bewahren, seine nationalen Interessen verfolgen, betonte er immer wieder bei seinen Auftritten. Liberale Polen hören aus diesen Worten ein tiefes Misstrauen gegen ein Europa, in dem homosexuelle Paare heiraten können, ein liberales Abtreibungsrecht herrscht und Sexualerziehung an den Schulen selbstverständlich ist. Es weckt aber auch Erinnerungen an die Zeit, als Polen unter dem nationalkonservativen Präsidenten Lech Kaczynski und seinem Zwillingsbruder Jaroslaw Kaczynski als Regierungschef kaum einen Konflikt mit den Nachbarn ausließ. Damals galten Kompromisse in der EU als Zeichen von Schwäche und die Erinnerung an tragische historische Erfahrungen blockierten den Blick auf die gemeinsame Zukunft in Europa.

Warnschuss für die polnische Politik

Der Ausgang der Präsidentenwahl in Polen zeigt zwei Dinge: das Land ist noch immer tief gespalten. Und  das Volk zweifelt an der Demokratie. Den Politikern sollte das eine Warnung sein.

15.05.11-komoKomorowski erklärt, warum er im ersten Wahlgang nur den zweiten Platz belegt hat.

Polen ist tief gespalten. Das ist die deutlichste Erkenntnis der ersten Runde der Präsidentenwahl. Während der national-konservative Andrzej Duda vor allem im Osten und auf den Dörfern punktete, sammelte der liberal-konservative Bronislaw Komorowski im Rest des Landes und in den Städten die Stimmen ein. Es zeigt sich, dass in Polen zwei Gesellschaften nebeneinander existieren. Den pro-europäischen Politikern ist es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, das Land zu einen. Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem EU-Beitritt fühlen sich viele Menschen im Osten Polens  als Verlierer und bangen um ihre nationale Identität. So gesehen ist das Ergebnis ein Warnschuss –  nicht nur für die  Regierung, sondern für alle Politiker in Polen.

Die Wahlbeteiligung ist schlecht

Doch die Volksvertreter haben noch ein weit größeres Problem. Nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten hat sich bei dieser wichtigen Abstimmung überhaupt die Mühe gemacht, an die Urnen zu gehen. Deutlicher könnten die Menschen ihre Zweifel an der Demokratie kaum ausdrücken. Zumindest Komorowski scheint eine erste Lehre aus seiner Niederlage im ersten Durchgang gezogen zu haben. Er schlägt  jetzt ein Referendum über die Vergabe aller Parlamentssitze in Direktwahl vor –  eine Idee, die er vor der Wahl noch brüsk zurückgewiesen hätte.