Wunschtraum der Diplomaten

Im Moment laufen wieder einmal Zypern-Gespräche. Doch die Wiedervereinigung der Insel ist unwahrscheinlich. Auch wenn Diplomaten das Gegenteil behaupten.

17-01-10-zypern

Gespräche in Genf

Die Teilung Zyperns soll überwunden werden – wieder einmal. Die Gespräche in Genf seien in die entscheidende Phase eingetreten. Die UN sind optimistisch. Worauf sich dieser Optimismus gründet, ist nebulös. Wahrscheinlicher ist, dass die Verhandlungen ebenso scheitern werden wie alle Treffen in den Jahrzehnten zuvor. Zu viele Fragen sind ungeklärt. So ist der Grenzverlauf zwischen den beiden möglichen Teilrepubliken des vereinten Zyperns noch nicht diskutiert worden. Davon hängt ab, wie viele Menschen vielleicht umgesiedelt werden.

Viele Fragen sind offen

Auch die Vermögensfrage ist offen. Wem gehört ein Haus, das ein türkischer Zyprer auf dem Grundstück eines 1974 geflohenen griechischen Zyprers gebaut hat? Niemand kann zudem den Preis für die Wiedervereinigung benennen – und wer das alles bezahlen soll. Außerdem wollen fast alle Menschen im türkischen Teil, dass die Türkei als Schutzmacht weiter Soldaten auf der Insel stationiert. Aber fast alle im griechischen Teil sind dagegen. Schließlich muss auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dem Deal zustimmen. Es wäre ein Wunder, wenn er das täte, hat der Nationalist doch unlängst sogar Anspruch auf einige griechische Inseln in der Ägäis erhoben. Die Diplomaten mögen Optimismus verströmen, das gehört zu ihrem Geschäft. Die Realität spricht eine andere Sprache.

 

Erdogan verabschiedet sich von Europa

Diese Worte kommen der Welt doch bekannt vor. „Diese Inseln vor unserer Nase gehörten uns. Wir haben dort Werke, Moscheen und eine Geschichte.“ Gesagt hat das nicht Wladimir Putin, sondern Reccep Tayyip Erdogan. Der Anlass war der 93. Jahrestages der Gründung der Republik.

15.04.08-Erdogan

Erdogan hat viele Ideen – nicht alle sind wirklich mit der EU kompatibel.

Wird die Geschichte korrigiert?

Erdogans Argumentationsstruktur erinnert sehr an das Krim-Szenario. Bereits vor einigen Wochen hatte Erdogan Ismet Inönü, den türkischen Verhandlungsführer bei den Friedensverhandlungen 1923 in Lausanne und zweiten Präsidenten der Republik, beschuldigt, Inseln in der östlichen Ägäis hergegeben zu haben. Dort liegen die Dodekanes (Rhodos, Kos unter anderen, 1912 von Italien besetzt) und die nordostägäischen Inseln (Lesbos, Chios unter anderen, 1912 von Griechenland besetzt).

Nach Beginn der Militäroffensive gegen den Islamischen Staat im Irak hatte Erdogan zudem behauptet, dass ein Gebietsstreifen von Aleppo in Syrien bis Mossul und Kirkuk im Irak der Türkei gehöre.

Befremden über die Todesstrafe

Doch nicht nur mit seinen Expansionsbestrebungen löst Erdogan Befremden aus. Auch die geplante Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei stößt auf wachsende Kritik.

 

 

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte der „Stuttgarter Zeitung“ mit Blick auf die innenpolitische Lage in der Türkei: „Nach der Rückkehr zum Folterstaat wäre die offizielle Einführung der Todesstrafe der letzte Beleg, dass Erdogan mit der EU und westlichen Werten nichts anfangen kann.“ Das Land entwickle sich „zu einer modernen Art von Diktatur mit demokratischer Fassade, um das Gewissen westlicher Regierungen zu erleichtern“.

Die Türkei hatte die Todesstrafe 2004 abgeschafft. Unmittelbar nach dem gescheiterten Putschversuch Mitte Juli hatte Erdogan bereits eine mögliche Wiedereinführung ins Spiel gebracht, diese Pläne aber zunächst nicht weiter verfolgt.

Erdogans Tanz mit den Teufeln

Recep Tayyip Erdogans Kontakte zu  Terrororganisationen sind altbekannt. Bisher wurde vom Rest Europas dazu  geschwiegen. Nun sind durch eine peinliche Panne in Berlin bekannt geworden, dass die Regierung die Türkei „zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der ­Region des Nahen und Mittleren Ostens“ hält.

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Recep Tayyip Erdogan paktiert bisweilen mit zwielichtigen Gruppen.

Eine peinliche Panne in Berlin

Recep Tayyip Erdogan  tanzt mit dem Teufel. Der gefährliche Flirt des ­türkischen Präsidenten mit gleich mehreren Terroristengruppen kann auf Dauer nicht gut gehen. Diese Einschätzung scheint auch die deutsche Bundesregierung zu teilen. Das geht aus einem vertraulichen Papier hervor, das überraschend an die Öffentlichkeit gelangt ist. Erstaunlich  ist weniger der Inhalt. Peinlicher ist, dass es offenbar schwere Abstimmungsprobleme zwischen den Berliner Ministerien gibt und die brisanten Geheimdokumente nicht ­lange geheim geblieben sind.

Die Türkei spielt eine zentrale Rolle

Nun weiß also die Welt,  dass auch der Bundesregierung nicht entgangen ist, dass die Türkei „zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der ­Region des Nahen und Mittleren Ostens“ geworden ist. Allerdings hat nicht nur Berlin  verbissen zu dieser Tatsache geschwiegen. Das kann man verurteilen, für die Zurückhaltung  gibt es aber auch  gute Gründe. Zum einen spielt die Türkei als  Nachbar ­Syriens, Nato-Partner und Hauptaufnahmeland für Flüchtlinge eine entscheidende Rolle. Zum anderen hoffte der Westen  nicht zu Unrecht, durch die engen Verbindungen der Türkei zu den Terroristen an wichtige Informationen im Kampf gegen die Islamisten gelangen zu können.  Im Fall der palästinensischen Hamas war man ­zudem über einen Kommunikationskanal zu der als Terrororganisation eingestuften Gruppe sicher nicht  unglücklich. Sie spielt eine zentrale Rolle im Friedensprozess mit Israel. Die Proteste fielen deshalb sehr ­moderat aus, als die Hamas vor zwei Jahren sogar ihr Parteibüro aus dem umkämpften Damaskus nach Istanbul verlegte.

Selbstüberschätzung und Machtpolitik

Die gefährliche Nähe Erdogans zu den Terrorgruppen speist sich aus einer ­Mischung aus Selbstüberschätzung und rücksichtsloser Machtpolitik. Glaubte der Präsident wirklich, die Kämpfer des Islamischen Staates (IS) hätten sich in dieser hochexplosiven Situation in der Türkei ewig ruhig verhalten? Der Deal zwischen Erdogan und dem IS war ein offenes Geheimnis: Die Islamisten bekämpfen in Syrien die Kurden und benutzen im Gegenzug die Türkei als Rückzugsraum und Waffenkorridor. Erdogan  hoffte,  unter anderem so die Autonomiebestrebungen der Kurden im eigenen Land unter Kontrolle halten zu können. Ihren zynischen Höhepunkt erreichte diese Taktik, als der IS die kurdisch-syrische Grenzstadt Kobane Ende 2014 einnahm und die türkische Armee untätig dem Abschlachten der Menschen zusah.

Viele Gegner im eigenen Land

Doch Erdogans perfide Rechnung ging nicht auf, und plötzlich hat er es mit zwei Gegnern im eigenen Land zu tun. Inzwischen reißen Terroristen des IS und der Kurden bei Anschlägen immer wieder zahlreiche Menschen in den Tod. Zwar schwört der Staatschef nach jedem Attentat Rache, doch seine Hilflosigkeit  ist augenscheinlich – und könnte zu einem existenziellen Problem für ihn werden. Seine Popularität nährt sich  vor allem aus dem ökonomischen Aufschwung der Türkei in den vergangenen Jahren. Wegen der Terroranschläge und des autoritären Regierungsstils Erdogans meiden aber immer mehr Investoren das Land, und die Wirtschaft gerät ins Trudeln.

Russland soll es richten

Der Staatschef sucht nun nach einem Ausweg. Seine Verzweiflung lässt sich daran ermessen, dass er sich wieder Russland andient, das er die vergangenen Monate bei jeder Gelegenheit verteufelte. Urlaubshungrige Russen sollen die am Boden ­liegende Tourismusindustrie in Schwung bringen. Da ist es zweitrangig, dass der Kreml den syrischen Diktator Baschar ­al-Assad an die Macht zurückbombt, den Erdogan mit der Unterstützung des IS eigentlich vernichten wollte. Der türkische Präsident zeigt sich gewohnt flexibel und rücksichtslos, wenn es darum geht, seine Ziele zu verfolgen. Eine wichtige Lehre hat er aus seinen Misserfolgen wohl  nicht gezogen: Wer mit dem  Teufel tanzt, kann sich  lebensgefährliche Verbrennungen zuziehen.

Ditib wehrt sich gegen Vorwürfe der Türkei-Abhängigkeit

Der türkisch-islamische Verband Ditib hat Vorwürfe scharf zurückgewiesen, von der Türkei inhaltlich abhängig zu sein. Vorwürfe gegen die Religionsgemeinschaft seien „tendenziös, in einigen Teilen gar offen feindselig und in jedem Fall ohne Bezug zu unserer täglichen Arbeit“, heißt es in einer am Montag in Köln veröffentlichten gemeinsamen Erklärung der 15 Ditib-Landesverbände und des Bundesvorstandes: „Sämtliche Unterstellungen der Fremdsteuerung, der politischen Einflussnahme aus der Türkei, der politischen Agitation und der Gefährlichkeit unserer Religionsgemeinschaft weisen wir aufs Schärfste zurück.“

Hier geht es zur Erklärung von Ditib

16.08.08-ditib

Eine lange Glaubenstradition

Es sei bekannt, dass alle Ditib-Imame aus der Türkei kämen, hieß es weiter. Das Religionspräsidium in der Türkei stehe für eine über 500-jährige Glaubens- und Wissenstradition. Diese Verbindung beschränke sich jedoch auf den Inhalt der religiösen Dienste. „Als Rechtspersönlichkeiten sind unsere Gemeinden unabhängige Vereine nach deutschem Recht.“ Verantwortung für die Gestaltung des Vereinslebens trügen allein demokratisch gewählte Menschen, die in Deutschland lebten und aufgewachsen seien. „Niemand, weder im Inland, noch im Ausland, hat sich in unsere Vereinsarbeit einzumischen“, erklärte der Verband.

Kritik des Verbandes

Die Ditib-Landesverbände in Niedersachsen, Hamburg, Bremen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen seien in gutachterlichen Prüfungen „als verfassungstreue Religionsgemeinschaften im Sinne unseres Grundgesetzes festgestellt worden“, erklärte der Verband weiter. Die Vorwürfe, der Verband werde aus der Türkei gelenkt, schadeten dem Zusammenleben in Deutschland. Die Ditib-Gemeinden und ihre Mitglieder würden „quasi zu fremdstaatlichen Gefährdern“ gemacht.

Deutliche Worte von Kauder

Nach dem Putschversuch in der Türkei hatten Politiker unterschiedlicher Parteien die politische Unabhängigkeit des Verbandes in Zweifel gezogen. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) hatte Ditib vorgeworfen, „offenbar Sprachrohr von Präsident Erdogan“ zu sein. Daher sollte der Verband keinen islamischen Religionsunterricht in Schulen gestalten. Der Grünen-Politiker Volker Beck erklärte am Wochenende, es sei gut, dass die „deutsche Politik“ im Umgang mit Ditib „ihre Naivität“ ein Stück weit abgelegt habe.

Seit vielen Jahren in der Kritik

Ditib, der größte Islamverband in Deutschland, ist eng mit der türkischen Religionsbehörde Diyanet verbunden, die zum Beispiel die Imame für die Ditib-Moscheen schickt und bezahlt. Kritik daran gibt es seit Jahren. In mehreren Bundesländern arbeitet die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) am Religionsunterricht mit.

Die rheinland-pfälzische Landesregierung hatte am Freitag angekündigt, die Gespräche mit den islamischen Verbänden, auch Ditib, vorerst auszusetzen. Volker Beck lobte das Modell in Nordrhein-Westfalen, wo für den islamischen Religionsunterricht ein Beirat unter Beteiligung der Verbände und Sachverständigen eingesetzt wurde.

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Infos zu Ditib:

Die größte der Organisationen versteht sich als Dachverband der türkisch-islamischen Vereine in Deutschland und vertritt die türkischen Sunniten. Sie gilt als gemäßigt orthodox und ist stark von der staatlichen Religionsbehörde der Türkei   beeinflusst, die  dem Ministerpräsidentenamt angegliedert ist. Kritiker werden Ditib deshalb vor, der verlängerte Arm der Regierung in Ankara zu sein. Zu den  Ortsgemeinden in Deutschland gehören Moscheen mit angeschlossenen Bildungs-, Sport- und Kulturangeboten. Sie sind selbstständig, müssen aber die Satzung der Ditib anerkennen. Die Imame und Religionslehrer ihrer Moscheegemeinden werden für jeweils fünf Jahre aus der Türkei entsandt und stehen   auf der Gehaltsliste des türkischen Staates. Auch der Inhalt der Predigten wird aus Ankara vorgegeben.  In der 1984 gegründeten Ditib sind nach Verbandsangaben mehr als 880 Moscheevereine und etwa 220 000 Mitglieder organisiert. Die Ditib bekennt sich auf ihrer Homepage zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zum Grundgesetz. In den Grundsätzen heißt es auch: „Jede Art von Gewalt und Aufruf zur Gewalt wird abgelehnt.“ Sitz der Organisation ist in Köln. 2015 berichteten  die FAZ und „Report München“, dass radikale Islamisten auch in Ditib-Moscheen aktiv seien. Link zu Ditib

Hier geht es zur Berichterstattung über die türkischen Verbände in Deutschland

Verwirrendes Geflecht türkischer Verbände

Türkische Zuwanderer und ihre Nachkommen haben in den vergangenen 40 Jahren ein großes Netz eigener Organisationen etabliert. Nicht immer ist klar, wer sich hinter  den Namen und den zahlreichen  Dachverbänden verbirgt.  Das Geflecht aus Organisationen spiegelt die Zersplitterung der in Deutschland lebenden türkischen Gesellschaft wider. Die Vorsitzenden der  Verbände treten bisweilen sehr selbstbewusst auf, Tatsache aber ist, dass sie lediglich einen Bruchteil der türkisch-stämmigen Menschen vertreten. Nur etwa 20 Prozent der rund vier Millionen Muslime in Deutschland sind in religiösen Vereinigungen und Gemeinden zusammengeschlossen.   Die wichtigsten Organisationen: 

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Präsident Recep Tayyip Erdogan versucht über manche türkische Verbände in Deutschland direkt Einfluss zu nehmen.

 Koordinationsrat der Muslime (Dachverband der Dachverbände)

Der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) ist der Dachverband der Dachverbände. Im KRM haben sich während der Islamkonferenz 2007 vier muslimische Verbände zusammengeschlossen, die ihrerseits Dachverbände für  mehrere Tausend örtliche Vereine sind: die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, der Zentralrat der Muslime  und der Verband der Islamischen Kulturzentren. Die im KRM organisierten Moscheen bieten jedes Jahr am 3. Oktober einen „Tag der offenen Moschee“ an. Der KRM   ist kein eingetragener Verein, sondern beruht lediglich auf einer gemeinsamen Geschäftsordnung. Schon kurz nach der Gründung bemängelte die „Islamische Zeitung“, dass der Koordinationsrat keine Angestellten, kein Budget, kein Lobbybüro in Berlin, keine eigene Webseite und kaum eine klar ausgearbeitete Programmatik habe. Link zum KRM

 Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religionen (Ditib)

Die größte der Organisationen versteht sich als Dachverband der türkisch-islamischen Vereine in Deutschland und vertritt die türkischen Sunniten. Sie gilt als gemäßigt orthodox und ist stark von der staatlichen Religionsbehörde der Türkei   beeinflusst, die  dem Ministerpräsidentenamt angegliedert ist. Kritiker werden Ditib deshalb vor, der verlängerte Arm der Regierung in Ankara zu sein. Zu den  Ortsgemeinden in Deutschland gehören Moscheen mit angeschlossenen Bildungs-, Sport- und Kulturangeboten. Sie sind selbstständig, müssen aber die Satzung der Ditib anerkennen. Die Imame und Religionslehrer ihrer Moscheegemeinden werden für jeweils fünf Jahre aus der Türkei entsandt und stehen   auf der Gehaltsliste des türkischen Staates. Auch der Inhalt der Predigten wird aus Ankara vorgegeben.  In der 1984 gegründeten Ditib sind nach Verbandsangaben mehr als 880 Moscheevereine und etwa 220 000 Mitglieder organisiert. Die Ditib bekennt sich auf ihrer Homepage zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zum Grundgesetz. In den Grundsätzen heißt es auch: „Jede Art von Gewalt und Aufruf zur Gewalt wird abgelehnt.“ Sitz der Organisation ist in Köln. 2015 berichteten  die FAZ und „Report München“, dass radikale Islamisten auch in Ditib-Moscheen aktiv seien. Link zu Ditib

 Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland

Der 1986 in Berlin gegründete Islamrat vereint mehr als 30 Organisationen und nach eigenen Angaben mehr als 145 000 Mitglieder. Ziel war,  ein gemeinsames Beschlussorgan für isla­mische Religionsgemeinschaften in Deutschland zu bilden. Der Islamrat ist wie die Ditib   eine Dachorganisation für sunnitische Gemeinden. Die Mehrheit stellen Türken, Mitglieder sind aber auch etwa der Deutsch-Somalische Verein und die Union Marokkanischer Imame. Dem Verfassungsschutz zufolge dominiert Milli Görüs den Islamrat und nutzt ihn für ihre Ziele. Für die engen Verbindungen spricht, dass der Vorsitzende des Islamrats Ali Kizilkaya ehemals Funktionär  von Milli Görüs war. Nach eigenen Angaben bekennt sich der Islamrat uneingeschränkt zum Grundgesetz  und den Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Link zum Islamrat

Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD)

Die UETD bezeichnet sich selbst als Zusammenschluss zur Förderung des politischen, sozialen und kulturellen Engagements der Türken in der Europäischen Union. Dabei sollen die Belange des gesellschaftlichen Lebens und der Integrationsprozess in die europäische Gesellschaft im Vordergrund stehen. Gegründet wurde die UETD im Jahr 2004 in Köln, wo sich auch der Hauptsitz befindet. Die Organisation ist in mehreren Ländern Europas präsent. Die UETD gilt als Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP. Im Jahr 2008 organisierte die UETD etwa Recep Tayyip Erdogans umstrittenen Auftritt in Köln. Link zur UETD

Zentralrat der Muslime

Der 1994 gegründete Verband hat sich als wichtiger Ansprechpartner der Politik etabliert – obwohl er mit rund 10 000 Mitgliedern nur einen kleinen Teil der etwa fünf Millionen Muslime in Deutschland vertritt. Zum Zentralrat gehören  22 muslimische Organisationen, die ihrerseits Dachverbände von insgesamt rund 300 Moscheegemeinden in Deutschland sind. Der Zentralrat der Muslime betont, „die ganze Vielfalt der Muslime in Deutschland“ abzubilden. So vertritt er insbesondere Muslime aus den Ländern Nordafrikas sowie des Nahen und Mittleren Ostens. Kritiker werfen dem Zentralrat vor, sich nach außen hin dialogbereit darzustellen, während nach innen die Errichtung einer islamischen Gesellschaft in Deutschland Ziel sei. Eine zentrale Rolle spielt intern  die Islamische Gesellschaft in Deutschland. Die Organisation gilt dem Verfassungsschutz als deutscher Ableger der internationalen islamistischen Muslimbruderschaft. Link zum Zentralrat

Verband der islamischen Kulturzentren (VIKZ)

Der VIKZ geht auf das 1973 ins Leben gerufene Islamische Kulturzentrum Köln zurück. Er war bei seiner Gründung der erste islamische Dachverband und besteht nach eigenen Angaben aus etwa 300 Gemeinden und rund 24 000 Mitgliedern.  2003 begann der VIKZ mit der Errichtung eigener Schülerwohnheime. Zwei wurden 2005 wegen des Vorwurfs von Abschottungstendenzen geschlossen. Der aus der Türkei beeinflusste VIKZ gilt als antisäkular, seine Mitglieder gelten als tief religiös und die Erziehung als wenig integrationsförderlich. Der VIKZ selbst versteht sich aber als politisch neutral. Seit den 1980er Jahren bildet der Verband islamische Theologen in Deutschland aus. Zwar hält der Zentralrat hiesige Muslime dazu an, die Verfassung zu respektieren, das aber mit einer bestenfalls pragmatischen Begründung: nicht, weil die Menschenrechte unveräußerlich wären, sondern weil Muslime nach traditioneller Lehre stets die „lokale Rechtsordnung“ befolgen sollten. Link zum VIKZ

Alevitische Gemeinde Deutschland

Nch den Sunniten bilden die Aleviten die zweitgrößte Konfession bei den Türken in Deutschland. Die 1986 gegründete Organisation vertritt eine Minderheit der Muslime und ist der Dachverband der alevitischen Gemeinden. Die Aleviten grenzen sich vom orthodoxen Islam ab und sind gegen einen eigenen Gesetzeskodex (Scharia). Alevitische Frauen tragen in der Regel kein Kopftuch. Die  Gemeinde ist zwar nicht Mitglied im Koordinationsrat der Muslime, entsendet aber regelmäßig Vertreter zur Deutschen Islamkonferenz und zum Integrationsgipfel der Bundesregierung. Link zur Alevitischen Gemeinde

 Türkische Gemeinde in Deutschland

Die Türkische Gemeinde ist keine religiöse Organisation. Sie versteht sich als soziale, kulturelle und politische Interessenvertretung der türkischstämmigen Bürger. Sie fühlt sich freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtet. Der  Organisation gehören nach eigenen Angaben 76 Vereine an. In der Präambel zur Satzung heißt es: „Wir wollen in Deutschland mit allen Bevölkerungsteilen dieses Landes gleichberechtigt, in Würde, Lebenssicherheit, Frieden, Freundschaft und Solidarität leben.“ In diesem Jahr bricht die  Gemeinde mit einem Tabu: Vertreter werden erstmals aktiv am Christopher Street Day in Stuttgart teilnehmen, um gegen die Diskriminierung Homosexueller zu demonstrieren. Link zur Türkischen Gemeinde

 Milli Görüs (IGMG)

Die islamische Gemeinschaft wurde 1976 in Köln gegründet. Sie galt als der deutsche Ableger der türkischen religiös-islamischen Partei unter dem bekannten Politiker Necmettin Erbakan. Sitz der europaweiten Organisation ist Kerpen. Milli Görüs wird in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet, berichtet wird über verfassungsfeindliche Tendenzen. Die Behörden betonen jedoch, dass es sich nicht um eine Organisation gewaltbereiter Islamisten handele. Die Struktur ist schwer zu durchschauen, worin Kritiker eine bewusste Verschleierungsstrategie erkennen. Milli Görüs gehört dem Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland an. Link zu IGMG

 Kurdische Gemeinde in Deutschland (KGD)

Unter dem Dach der Kurdischen Gemeinde sammeln sich zahlreiche kurdische Organisationen. Die Mitglieder bezeichnen sich  als „religionsneutral“. Die Anzahl der Kurden in Deutschland ist nicht amtlich geklärt. Der Grund: Menschen werden nach ihrer Staatsangehörigkeit erfasst werden, die Kurden besitzen aber keinen eigenen Staat. Die KGD bezeichnet sich selbst als „überparteilich, demokratisch und gewaltfrei“. Man arbeite „auf der Grundlage des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und bekennt sich ausdrücklich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, gleichberechtigten Pluralität und zum respektvollen Umgang aller gesellschaftlichen Akteure“. Link zur Kurdischen Gemeinde

Gülen-Bewegung

Geistiger Anführer der Bewegung ist der Prediger Fethullah Gülen, der einst Weggefährte des heutigen Präsidenten Erdogan war, aber bereits seit 1999 in den USA im selbstgewählten Exil lebt. Seine Organisation versteht sich als vom Islam inspirierte soziale Bürgerbewegung. Den Weg zum Islam suchte sie in der lange vom Säkularismus geprägten Türkei über die Bildung. Inzwischen steuert sie ein internationales Netz an Einrichtungen mit dem Ziel, eine goldene Generation an religiösen, tugendhaften und gut ausgebildeten Menschen zu schaffen. Ihre Vorgehensweise ähnelt dem von der 68er Generation propagierten Marsch durch die Institutionen: Sie bemühte sich in den türkischen Behörden, vor allem in Polizei und Justiz, führende Positionen zu erlangen.
Die Organisation betreibt in der Türkei und vielen anderen Ländern Privatschulen, Nachhilfeinstitute, als „Lichthäuser“ bezeichnete Wohngemeinschaften und auch Medien. Der Bezug der Einrichtungen zur Gülen-Bewegung wird oft nicht deutlich. Allein in Deutschland unterhalten Gülen nahestehende Träger 150 Nachhilfezentren, 30 Schulen, viele Kitas und etliche Medien wie die Zeitung „Zaman“ sowie Radio- und Fernsehsender. Der Unterricht an den Gülen-Schulen folgt dem normalen Lehrplan, unterrichtet wird auf Deutsch, in der Regel steht Ethik statt Religion auf dem Lehrplan. Nach Gülen-Angaben bekennen sich in Deutschland etwa 100.000 Menschen zu der Bewegung. In der Vergangenheit wurde die Bewegung, die auch unter den Namen Hizmet (Dienst) und Cemaat (Gemeinde) bekannt ist, in Deutschland meist als friedliche, reformorientierte islamische Alternative zum viel extremeren Salafismus angesehen. Kritiker werfen ihr dagegen vor, sektenhafte Züge zu tragen und viel zu wenig für Transparenz zu sorgen. Link zu Hizmet

Putschversuch kostet die Türkei bisher 90 Milliarden Euro

Der Putschversuch in der Türkei hat die Wirtschaft des Landes nach Regierungsangaben viele  Milliarden gekostet. Wenn alles zusammengerechnet werde, ergebe sich ein Betrag von „mindestens 300 Milliarden Lira“ (90 Milliarden Euro), sagte Handelsminister Bülent Tüfenkci laut Presseberichten am Dienstag. Die Putschisten hätten die Türkei wie ein Dritte-Welt-Land aussehen lassen, klagte der Minister.

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Schwere Einbußen im Tourismus

Er zählte demnach unter anderem „Kampfflieger, Kampfhubschrauber, Waffen, Bomben“ und zerstörte Gebäude auf. Hinzu kämen abgesagte Warenbestellungen und Reisen aus dem Ausland. Die Gesamtsumme könne mittelfristig noch steigen, sagte Tüfenkci. „Leider haben die Putschisten die Türkei wie ein Dritte-Welt-Land aussehen lassen, mit Panzern auf den Straßen“, beklagte er.

Dem Minister zufolge wurden nach dem Putschversuch eine Million Reservierungen im Tourismussektor zurückgezogen. Dies ist Tüfenkcis Worten nach aber vor allem darauf zurückzuführen, dass die Regierung rund drei Millionen Beamten den Urlaub strich. Für die Tourismusbranche in der Türkei ist das ein weiterer Rückschlag. Vor dem Hintergrund mehrerer Anschläge sowie Spannungen mit Russland war die Zahl der ausländischen Gäste in dem Land im Juni um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gefallen. Wie genau sich der Mitte Juli erfolgte Putschversuch auf die Branche auswirkt, bleibt abzuwarten.

Minister Tüfenkci betonte, die Lage sei nach dem Umsturzversuch schnell unter Kontrolle gewesen. Es sei auch nicht notwendig, Daten zu den Exporten oder zum Wirtschaftswachstum zu korrigieren. „Der Tourismus wird ab jetzt ebenfalls kräftig zulegen“, sagte Tüfenkci voraus.

Hier geht es zu einem Bericht von Ajanshaber

 

„Es droht ein Bersten der Gesellschaft“

Cem Özdemir, Parteichef der Grünen, sieht in der Türkei einen „zivilen Putsch“ am Werke. Er  sieht „von außen“ derzeit kaum Einflussmöglichkeiten auf die Geschehnisse in der Türkei. Er verlangt gegenüber Präsident Erdogan aber eine klare Haltung.

Ein Interview:

16.07.22-Özdemir

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Herr Özdemir, überkommt Sie zwischendurch der Gedanke, es wäre besser gewesen, wenn der Putsch türkischer Militärs Ende voriger Woche Erfolg gehabt hätte?

Nein, wer die Geschichte der Militärputsche in der Türkei kennt, der weiß, da hat man nichts Gutes zu erwarten. Aber klar ist auch: die Alternative zum Militärputsch kann nicht der zivile Putsch sein. Genau der findet zurzeit statt.

Präsident Erdogan versucht alle tatsächlichen oder vermeintlichen Opponenten aus ihren Ämtern zu vertreiben und ein islamisches Präsidialsystem zu errichten. Ist er noch zu stoppen?

Um es ironisch zu formulieren: Aktuell kann wohl nur er selbst sich stoppen, und das versucht er ja auch gerade. Erdogan ist für sich selbst der größte Feind. Weil er ständig an der Schraube der Eskalation dreht, gefährdet er das Modell Erdogan. Das wird die Gesellschaft irgendwann zum Bersten bringen. Man muss Schlimmstes befürchten für die Türkei.

Bis hin zum Bürgerkrieg?

Es ist zu befürchten, dass das, was bisher als bewaffneter Kampf zwischen PKK und staatlichen Sicherheitskräften ausgetragen wird, auf die Zivilgesellschaft übergreift. Da kann ich nur sagen: Gott behüte!

Deshalb noch einmal die Frage: Wer kann Erdogan stoppen?

Nach Lage der Dinge wohl nur Kräfte in seiner eigenen Partei AKP. Durch den wirtschaftlichen Erfolg des Landes zu Beginn seiner Amtszeit hat Erdogan viele Anhänger gefunden. Dies alles setzt er aufs Spiel. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mit einem geschwächten Beamten-, Polizei- und Militärapparat die Sicherheit der Türkei aufrechterhalten und die Wirtschaft auf ihrem heutigen Niveau gehalten werden kann. Willkürherrschaft ist kein gutes Klima für Investitionen, Wachstum und Jobs.

Erdogans Druck auf alle Andersdenkenden ist enorm stark. Müssen wir uns darauf einstellen, bald die ersten Asylbewerber aus der Türkei in Deutschland zu haben?

Ja, ich gehe davon aus, dass die Zahlen nach oben gehen. Ich kenne viele in der Türkei, die sich gerade die Frage stellen, ob sie nicht dauerhaft nach Europa gehen, weil sie den Kampf um Demokratie und Freiheit als verloren ansehen.

Wie sollte Berlin reagieren, wenn jetzt ein türkischer Journalist nach Deutschland kommt und erklärt, er werde in seiner Heimat politisch verfolgt?

Ich wüsste nicht, mit welchem Argument man ihm das Asyl verwehren könnte. Genau für solche Fälle haben wir das Asylrecht. Nach dem Flüchtlingsabkommen mit Ankara müsste die deutsche Regierung jetzt eigentlich ein Programm auflegen für Künstler, Journalisten und Wissenschaftler, das ihnen die Möglichkeit gibt, in Europa einen Platz zu finden. In der Türkei haben sie den im Moment nicht. Wie wäre es, wenn Frau Merkel beim nächsten Türkeibesuch der Erdogan-kritischen Zeitung Cumhuriyet ein Interview gäbe. Das wäre ein starkes Signal, dass unsere Solidarität den Demokraten in der Türkei gilt. Die haben gerade das Gefühl, dass wir sie verraten.

Kann der Flüchtlingsdeal, den die EU mit Erdogan eingegangen ist, noch fortgelten?

Wir als Grüne hatten schon vor dem Putsch viele kritische Fragen, auf die wir von der Bundesregierung wenig befriedigende Antworten bekommen haben. Zum Beispiel nach den Schüssen türkischer Soldaten auf Flüchtlinge an der Grenze zu Syrien. Zum Beispiel nach der Möglichkeit des Islamischen Staates, in der Türkei relativ ungehindert Kämpfer zu rekrutieren. Jetzt stellt sich natürlich eine neue Frage: Wie kann ich sagen, dass Flüchtlinge aus anderen Ländern in der Türkei angeblich sicher sind – aber die Bürger der Türkei selbst sind es nicht?

Ist das Flüchtlingsabkommen also tot?

Ich will nicht sagen, dass eine grüne Regierung nicht mit den Putins und Erdogans dieser Welt reden würden. Aber das kann nicht heißen, dass man Augen zu und durch sagt. Genauso wird beim Flüchtlingsabkommen gehandelt.

Welche Druckmittel würden Sie denn der EU empfehlen, um Erdogan zu beeinflussen?

Viele gibt es da nicht mehr. Der Hebel der EU-Beitrittsverhandlungen bricht uns auch gerade weg. Herrn Erdogan geht es längst nicht mehr um die EU, sondern um den eigenen Machterhalt. Dem hat sich alles andere unterzuordnen. Seine Existenz, auch die seiner Familie und Entourage, hängt an dieser Macht. Darum sind die Möglichkeiten, von außen Einfluss zu nehmen, begrenzt. Was wir aber machen können: Ehrlichkeit in die Debatte bringen…

Was heißt das konkret?

Wir dürfen nun keine neuen Kapitel in den EU-Beitrittsgesprächen eröffnen. Dann würden alle zu Recht sagen: wir haben doch ein Rad ab! Die Beitrittsverhandlungen sind de facto Gespräche, in denen wir so tun, als hätte die Türkei eine faire Chance auf einen Beitritt – und die Türkei tut so, als ob sie daran Interesse hätte. Beides stimmt nicht. Deshalb gehören die Beitrittsverhandlungen auf Eis gelegt. Wir sollten sie aber nicht grundsätzlich abbrechen. Eine demokratische Türkei hat einen Platz in Europa – aber nicht die Erdogan-Türkei.

Die Pogromstimmung, die Erdogan erzeugt, greift auf Deutschland über. Auch hier haben viele Türken Angst vor Übergriffen durch Landsleute. Wie kann man das stoppen?

Das hängt von den Signalen der deutschen Politik ab. Der Arm Erdogans reicht weit, aber er hat hier in Deutschland nichts verloren. Ich erwarte, dass wir die Maßstäbe, die wir an die deutschen Pegidas anwenden auch bei der türkischen Pegida ansetzen, der Türkida. Um es konkret zu machen: Wer mit dem Pegida-Anführer Lutz Bachmann befreundet ist und gemütlich Kuchen essen geht, der kriegt hier Probleme. Wer sich aber mit den türkischen Lutz Bachmanns trifft, und das haben wir bislang an den Spitzen von Staat und Parteien getan, der kommt damit durch. Zum Fastenbrechen gehen und Ringelpiez-mit-Anfassen mit Leuten spielen, die ein Problem mit unserem Grundgesetz haben aber nicht mit dem Erdogan-Fanatismus – das geht künftig nicht mehr. Unser Ministerpräsident hat deshalb richtig gehandelt, als er die Morddrohungen gegen Abgeordnete beim Fastenbrechen in Stuttgart angesprochen hat. Diese Klarheit wünsche ich mir auch in Berlin beispielsweise im Umgang mit der Türkischen Gemeinde zu Berlin

Die türkische Union DITIB ist aber an vielen Stellen Ansprechpartner für Deutsche.

Ja, aber wer hier öffentliche Mittel in Anspruch nimmt, muss mit beiden Füßen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen – nicht nur mit Zehenspitzen. Wer DITIB in die Schulen lässt, muss wissen, dass nicht die Kölner Zentrale den Ton angibt, sondern Erdogan. Dessen Gedankengut darf nicht in unsere Schulen kommen.

Sie selbst haben Missgunst und Hass vieler Türken auf sich gezogen. Würden Sie sich derzeit in die Türkei trauen?

Es geht nicht ums trauen, aber es wäre sicher keine sehr kluge Idee, das gegenwärtig zu machen.

 

Hier der Link zur Stuttgarter Zeitung mit einem kurzen Video-Interview

Das Ende der Realpolitik

Die Türkei hält Europa viele Probleme vom Hals.Das kann aber nicht heißen, dass die EU zu den Vorgängen in den Land schweigt.

Ein Kommentar:

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16.07.21-Türkei

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Protestnoten in Richtung Ankara

Es schlägt wieder einmal die Stunde der Realpolitiker. In der Türkei wütet der Präsident und Europa nimmt es hin. Zugegeben: es werden Protestnoten in Richtung Ankara geschickt, Österreich hat den türkischen Botschafter einbestellt und manch ein Regierungschef wagt sogar den Finger zu heben und zu kritisieren, dass Recep Tayyip Erdogan die Demokratie mit Füßen tritt. Der große Aufschrei aber bleibt aus. Irgendwie ist das verständlich, denn schließlich hält die Türkei den Europäern einige Probleme vom Hals. Da ist etwa der Flüchtlingsdeal. Die Angst in Brüssel ist, dass Millionen Menschen den Kontinent fluten könnten – würde Erdogan die Verzweifelten nicht zurückhalten. Dass Europa zu den Vorgängen in der Türkei schweigt ist Realpolitik. Diese Art der kühlen, sachlichen Verhandlungsführung –  ohne Schaum vor dem Mund und ohne ideologische Verblendung –  ist wichtig und richtig. Demokratien müssen bisweilen auch mit Autokraten und Diktatoren verhandeln, die Welt würde sonst in Chaos und wohl auch Krieg versinken.

Opportunismus und Duckmäusertum

Die zentrale Frage aber ist, wann Realpolitik aufhört und wann Opportunismus und Duckmäusertum anfangen. Es gereicht nicht immer zum eigenen Vorteil, gegenüber einem starken Verhandlungspartner für seine Werte einzustehen. Aber es gibt Momente, da gibt es keine andere Möglichkeit.  Im Fall der Türkei ist ein solcher Moment gekommen. Erdogan hat auf den Putsch der Militärs mit einem Gegenputsch geantwortet. Er beseitigt jetzt die letzten Reste von Demokratie, die in seinem Land noch existiert haben. Dem muss Einhalt geboten werden. Aber wie?
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Europa wundert sich, dass  der  Präsident  nicht auf die Protestnoten aus  Brüssel, Berlin oder Paris reagiert. Tatsache ist:  Erdogan geht es schon lange nicht mehr um den Beitritt zur Europäischen Union. Der Machterhalt im eigenen Land hat für ihn oberste Priorität.  Für den Autokraten vom Bosporus ist das eine existenzielle Frage. Wird in einer funktionierenden Demokratie ein Präsident oder ein Regierungschef abgewählt, geht er in die Opposition oder auf sein Altenteil. Für Erdogan gibt es diese Option nicht. Verlöre er die Macht, würde er von seinen siegreichen Gegnern zerrissen werden – und das nicht nur im politischen Sinne. Erdogan ist ein Getriebener.

Erschreckend wenig Einfluss

Für  Europa hat das fatale Konsequenzen: die Einflussmöglichkeiten sind erschreckend gering. Das kann aber nicht heißen, zu kapitulieren und sich an die Hoffnung zu klammern, dass  Erdogan – wenn er sich schon nicht an Recht und Gesetz im eigenen Land hält – wenigstens die internationalen Verträge wie das Flüchtlingsabkommen einhält. Europa kann der Türkei helfen, aus der Sackgasse zu gelangen, in die sie Erdogan manövriert hat. Wichtig ist, dass beide Seiten endlich  ehrlich sind. Es kann nicht laufen wie bei den verlogenen Verhandlungen  zum EU-Beitritt. Brüssel muss klar sagen, was erwartet wird und Ankara muss ebenso klar erklären, was man zu liefern bereit ist. Europa darf dabei nicht müde werden daran zu erinnern, welche Werte nicht verhandelbar sind, weil sie den Kontinent stark und friedlich gemacht haben: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und freie Marktwirtschaft. Ein erster Schritt in Richtung dieser neuen Ehrlichkeit wäre, die aktuellen EU-Beitrittsverhandlungen auf Eis zu legen.
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Deutschland kommt in diesem Spiel der wertegeleiteten Realpolitik eine Schlüsselrolle zu. Hier leben Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln, die die Vorteile eines demokratischen Rechtsstaates genießen. Diese Kanäle gilt es zu nutzen – im Guten, wie im Schlechten. Denn sollten Nationalisten, Erdogan-Anhänger, Kurden oder wer auch immer versuchen, die Konflikte aus der Türkei nach Deutschland zu tragen, dann muss die Demokratie zeigen, dass sie nicht nur viele Freiheiten bietet, sondern auch sehr wehrhaft ist.

Hier ein Link zu einem Hintergrund über Übergriffe in Deutschland auf Gülen-Anhänger

Der Kampf hat Deutschland erreicht

Der türkische Präsident Erdogan beschuldigt die Gülen-Bewegung, hinter dem Putschversuch in der Türkei zu stecken. Das nehmen viele seiner Anhänger  in Deutschland, die Anhänger des Predigers anzugreifen. 

16.07.20-Karakoyun

 

Übergriffe von Erdogan-Anhängern

Ercan Karakoyun spricht von einer regelrechten Hexenjagd. Nach dem Putschversuch in der Türkei kommt es auch in Deutschland immer wieder zu Übergriffen auf Gülen-Anhänger oder Einrichtungen, die dem Prediger nahe stehen. „Die Situation ist beängstigend“, sagt Karakyoun, Chef der Stiftung Dialog und Bildung, die Fethullah Gülen nahesteht. Dabei kritisiert auch er ausdrücklich den Umsturzversuch in der Türkei. „Die schlechteste Demokratie ist besser als jeder Putsch“, unterstreicht er.

 Doch die Stimmung ist aufgeheizt. „Ich bekomme inzwischen Morddrohungen“, sagt Karakoyun und zählt im selben Atemzug Angriffe auf mehrere Einrichtungen auf. So belagerten in Gelsenkirchen rund 150 Erdogan-Anhänger einen Jugendtreff der Organisation Hizmet, der der Gülen-Bewegung nahesteht. „Die Randalierer schlugen mit Pflastersteinen die Scheiben ein.“ Auch in vielen anderen Städten sei es zu Übergriffen gekommen. Inzwischen werde vielen Gülen-Anhängern auch der Zutritt zu Moscheen verwehrt, erzählt Karakoyun, den die Situation sichtlich schwer belastet. In den sozialen Netzwerken kursieren zudem Aufrufe, Gülen-Anhänger öffentlich zu machen und unter einer Telefonnummer in der Türkei zu melden. Auch Boykottaufrufe gegen Hizmet-nahe Unternehmer sind in Umlauf.  „Der Kampf ist längst in Deutschland angekommen“, konstatiert Karakoyun.

Ein großes Konfliktpotenzial

Wie groß das Konfliktpotenzial ist, lässt sich an den starken Wahlergebnissen für Erdogan unter den türkischstämmigen Menschen in Deutschland ablesen. Auf 59,7 Prozent kam die islamistische Regierungspartei AKP bei der Parlamentswahl im November hierzulande.

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Lange waren der Prediger Fethullah Gülen und der jetzige türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan enge Weggefährten gewesen, aber Ende 2013 kam es zum Zerwürfnis. Damals hatten türkische Staatsanwälte begonnen – angeblich Gülen-Sympathisanten – wegen Korruption gegen hochrangige Regierungsvertreter zu ermitteln. Darunter vier Minister. Im Gegenzug entließ Erdogan viele Tausend Richter und Staatsanwälte. Er kündigte an, die Gülen-Anhänger auf der ganzen Welt „wie Ratten aus ihren Löchern“ zu jagen und ihnen die „die Hände zu brechen“.

Erdogan liefert keine Beweise

Nun beschuldigt die türkische Regierung die Anhänger des seit 17 Jahren in den USA lebenden islamischen Predigers, hinter dem Umsturzversuch zu stecken. Dieser wies die Anschuldigung umgehend zurück. „Erdogan soll handfeste Beweise für seien Behauptungen vorlegen“, verlangt Karakoyun. Völlig absurd sei es auch zu behaupten, dass die vielen Tausend Festgenommenen in der Türkei alle Anhänger Fethullah Gülens seien. „Erdogan nutzt die Situation aus, um alle Kritiker mundtot zu machen“, ist Karakoyun überzeugt.

Klare Signale aus Berlin gefordert

Karakyoun warnt: „Es ist gefährlich, wie sich die Stimmung hochschaukelt und mit Gerüchten und Verschwörungstheorien auch in Deutschland gegen die Gülen-Bewegung gehetzt wird.“ Dieses Vorgehen zeige auch das mangelnde demokratische Verständnis der Erdogan-Anhänger.

Von der Bundesregierung in Berlin und auch von der Europäischen Union erwartet Karakoyun in dieser Situation „sehr klare Signale“ in Richtung Ankara. „Es muss Erdogan unmissverständlich deutlich gemacht werden, dass auch nach dem Putschversuch noch immer das Recht zu gelten hat.“

Hier noch der Link zu einem früheren Interview mit Ercan Karakoyun. Darin fordert er die Trennung von Staat und Religion.

Die Verfassung als Beute Erdogans

Recep Tayyip Erdogan will mehr Macht. Deshalb versucht er seit Jahren, die Verfassung zu seinen Gunsten zu ändern.  Nach dem Putsch wird er einen neuen Anlauf nehmen. Wer soll ihn jetzt noch bremsen? 

15.04.08-Erdogan

Mehr Macht als Atatürk

Seit dem Tod des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk hat kein türkischer Präsident die Politik des Landes so stark geprägt wie Recep Tayyip Erdogan. Die Verfassung gibt ihm nur repräsentative Befugnisse. Aber seit seiner Wahl zum Staatsoberhaupt im August 2014 hat der machtbewusste Erdogan immer mehr Kompetenzen an sich gezogen. Immer wieder hat er seine Pläne, die Verfassung zu ändern und ein Präsidialsystem einzuführen, weiter vorangetrieben. Kritiker befürchten, dass Erdogan den Putsch zum Anlass nimmt, auch in diesem Bereich das System endgültig nach seinem Willen umzubauen.

Dass die Türkei eine neue Verfassung braucht, hat selbst die Oppositionsparteien nicht bestritten. Das Grundgesetz stammt von 1982, aus der Zeit der Militärdiktatur. Mehrere Versuche der Parteien, gemeinsam eine neue Verfassung auszuarbeiten, schlugen fehl.

Noch fehlt die Mehrheit

Für eine Verfassungsänderung ist eine Zweidrittelmehrheit von 367 der 550 Abgeordneten nötig. Nicht zuletzt in der Hoffnung auf eine Zweidrittelmehrheit hatte Erdogan die Neuwahlen im vergangenen November herbeigeführt, doch Erdogan verfehlte die erhoffte Mehrheit deutlich. Doch das Parlament kann eine Verfassungsänderung auch mit einer Dreifünftelmehrheit von 330 Stimmen auf den Weg bringen. Die neue Verfassung müsste dann allerdings zusätzlich in einer Volksabstimmung gebilligt werden. Wie eine Volksabstimmung nach dem Putsch ausfiele, ist kaum zu sagen.

Erdogan begründet seinen Plan für ein Präsidialsystem damit, die Türkei brauche eine starke Führung – gerade jetzt, angesichts der Bedrohungen durch die Bürgerkriege in den Nachbarländern, der Terrorgefahr, des aufgeflammten Kurdenkonflikts – der Putsch ist Wasser auf seine Mühlen. Der Machtzuwachs des Präsidenten ginge jedoch auf Kosten des Parlaments, des Kabinetts und wohl auch der Unabhängigkeit der Justiz. Die gefährdete Gewaltenteilung würde damit weiter untergraben.

Mit dem Gericht auf Kriegsfuß

Ohnehin steht Erdogan mit der Gerichtsbarkeit auf Kriegsfuß. Er sieht sich selbst über dem Gesetz. Als das türkische Verfassungsgericht jüngst die Freilassung von zwei Journalisten anordnete, die Erdogan persönlich wegen einer regierungskritischen Veröffentlichung angezeigt hatte, reagierte der Präsident mit einem Wutausbruch: Er werde das Urteil weder respektieren noch umsetzen, sagte Erdogan. Die Richter hätten gegen das Land und das Volk geurteilt.