Banksys Rettungsschiff von Italien festgesetzt

Das von Banksy unterstützte Seenotrettungsschiff wird von den italienischen Behörden für 20 Tage festgesetzt. Dies erklärte die Crew der „Louise Michel“. Die Besatzung hatte 180 Menschen im Mittelmeer gerettet und sie am Samstag auf die Insel Lampedusa gebracht. Italien begründet das Auslaufverbot mit Verweis auf die seit wenigen Monaten geltenden Regeln für Seenotretter.

Die Crew will weiter kämpfen

Die Besatzung kündigte an, gegen die Festsetzung zu kämpfen. „Das einzige Ziel des neuen Gesetzes ist es, Rettungsschiffe zu blockieren und damit billigend den Tod von Menschen in Kauf zu nehmen.“ Die 180 Geretteten waren bei drei Einsätzen an Bord genommen worden.

Nach Angaben der Küstenwache sollte durch die Anordnung verhindert werden, dass an Bord des Schiffs eine „so große Anzahl an Menschen gelangen könnte, dass diese die Sicherheit des Schiffs und der darauf befindlichen Menschen bedroht“. Die Besatzung habe jedoch gegen die Anordnung der Küstenwache verstoßen, „indem sie auf drei andere Migrantenboote zusteuerte“. 

Italinen erschwert die Arbeit der Retter

Die seit Oktober amtierende ultrarechte italienische Regierung unter Giorgia Meloni hatte im Dezember ein Dekret erlassen, das die Arbeit der Seenotretter einschränken soll. Es verpflichtet Seenotretter dazu, jeweils nur eine Rettungsaktion pro Einsatz auszuführen. Kritikern zufolge erhöht dies die Gefahr tödlicher Unglücke im zentralen Mittelmeer.

So müssen die Schiffe nach einer Rettungsaktion direkt einen vorgegebenen Hafen ansteuern, egal ob in der Nähe ein weiteres Boot in Seenot ist. Bereits mehrfach sind Rettungsschiffe festgesetzt und die Belegschaft mit einem Bußgeld bestraft worden, weil sie weitere Menschen gerettet hat. Zugleich werden den Schiffen meist weit entfernte Häfen zugewiesen, sodass die Präsenz von Rettungsorganisationen auf dem Mittelmeer deutlich verkürzt wird.

Das Mittelmeer – eine gefährliche Fluchtroute

Das Mittelmeer zählt zu den gefährlichsten Fluchtrouten weltweit. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) kamen seit Beginn des Jahres beim Versuch der Überfahrt 469 Menschen ums Leben oder werden vermisst. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Eine staatlich getragene Seenotrettungsmission gibt es nicht.

Brutale Räumung eines Flüchtlingscamps in Paris

Immer wieder werden in Frankreich illegale Flüchtlingslager geräumt – doch nicht immer sind die Aktionen so spektakulär wie in der Nacht auf Dienstag auf dem Place de la République in Paris. Die Runde machen wieder einmal unschöne Bilder von reichlich brutal vorgehenden Polizisten, die auch vor dem Einsatz von Tränengas nicht zurückschrecken.

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Aktivisten bauen ein Flüchtlingslager

Aktivisten hatten am Montag mehrere Hundert Zelte für Flüchtlinge auf dem zentralen Platz in Paris aufgebaut. Ausgangspunkt war die Räumung eines Flüchtlingscamps unter einem Autobahnzubringer im Vorort Saint-Denis. Hunderte Migranten sind seitdem ohne Unterkunft.

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Die Polizei wartet nicht lange

Die Polizei rückte etwa eine Stunde nach dem Aufbau des Camps auf der Place de la République an. Die Beamten trugen die Zelte weg, in denen sich teilweise noch Flüchtlinge befanden. Später setzten sie dann auch Tränengas gegen die Migranten und ihre Unterstützer ein.

Die Pariser Polizeiführung erklärte, das Lager sei geräumt worden, weil es illegal gewesen sei. Die Polizei habe die Migranten „eingeladen“, sich anderswo eine vom Staat oder Hilfsgruppen angebotene Unterkunft zu suchen. Hilfsorganisationen und Pariser Abgeordnete sagten, sie hätten die Zelte errichtet, um auf das Leid von Migranten aufmerksam zu machen, die vergangene Woche aus einem anderen Lager nahe dem Nationalstadion vertrieben worden seien. Mangels anderer Optionen hätten sie seither auf der Straße geschlafen.

Die meisten der Menschen stammen aus Afghanistan, Somalia und Eritrea. Bei manchen sei der Asylantrag abgelehnt worden, andere hätten ihn noch nicht gestellt und fielen damit durch die bürokratischen Raster, sagte Torre.

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Angriff auf Journslisten?

„Sie sind zu gewalttätig. Wir wollen nur ein Dach über dem Kopf“, sagte der afghanische Flüchtling Shahbuddin nach Medienberichten. Ein Journalist des Online-Mediums „Brut“ wirft einem Beamten vor, ihn drei Mal angegriffen zu haben. „Wir werden die Polizeipräfektur und das Innenministerium um Erklärungen bitten“, erklärte „Brut“.

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Der Innenminister reagiert „schockiert“

Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin nannte die Bilder von der Räumung des Lagers „schockierend“. Er forderte vom Polizeipräfekten einen Bericht an. Sobald dieser vorliege, werde er über weitere Schritte entscheiden, schrieb Darmanin im Onlinedienst Twitter.

Die Polizeipräfektur und die Präfektur der Region Ile-de-France erklärten in einer gemeinsamen Stellungnahme, der Aufbau nicht genehmigter Flüchtlingslager sei „nicht hinnehmbar“. Die Polizei sei eingeschritten, um die „illegale Besetzung des öffentlichen Raums“ zu beenden.

Zusammenhang mit neuem Gesetz?

Der Linkspolitiker Éric Coquerel, der selbst vor Ort war, bezeichnete das Verhalten der Polizei als „unverhältnismäßig“. Er sei von der Polizei herumgeschubst worden, sagte er dem Sender Franceinfo. Es sind nun vor allem Videos im Netz, die das Vorgehen der Polizei dokumentieren. Gleichzeitig wird im Parlament über das sogenannte globale Sicherheitsgesetz debattiert, das der Regierung zufolge die Polizei besser schützen soll.

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Ein umstrittener Paragraf sieht vor, dass die Veröffentlichung von Bildern von Sicherheitsbeamten im Einsatz bestraft werden kann, wenn sie das Ziel verfolgt, die körperliche oder seelische Unversehrtheit der Polizistinnen oder Polizisten zu verletzen. Medienschaffende sehen darin einen Angriff auf die Pressefreiheit und fürchten Repressionen bei Demonstrationen.
„Für mich liegt auf der Hand, dass, wenn sich die Polizei auf den Straßen von Paris so etwas erlaubt, es offensichtlich mit dem globalen Sicherheitsgesetz zusammenhängt“, sagt Linkspolitiker Coquerel.

Innenminister lässt prüfen

Innenminister Gérald Darmanin schaltete am Dienstag die Polizei-Aufsichtsbehörde ein, die als mächtige „Polizei der Polizei“ gilt.

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Gestrandet auf dem Weg in die erhoffte Freiheit

Viele Migranten wagen die Überfahrt von Calais in Richtung England – die Schlepperbanden agieren immer professioneller

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Im „Dschungel von Calais“ lebten viele Tausend Migranten unter unmenschlichen Bedingungen. Er wurde von der Polizei geräumt, doch viele Flüchtlinge sind noch immer in der Hafenstadt.

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Migranten hausen in Bretterbuden

Es ist kein guter Tag, die gefährliche Überfahrt zu wagen. Regen peitscht über den Strand und der Wind treibt über dem Meer die tiefhängenden Wolken in Böen vor sich her. Bei klarem Wetter kann man die weißen Klippen von Dover auf der anderen Seite des Ärmelkanals erahnen, doch nun verliert sich alles in einem dunkeln Grau. Viele Kilometer zieht sich der schmale Strandstreifen von Calais in Richtung Boulogne-sur-Mer, Touristen verirren sich keine in die Gegend, dafür patrouillieren auffallend viele Polizeifahrzeuge in regelmäßigen Abständen auf der Küstenstraße.

„Über 1000 Migranten hausen in den Dünen rund um Calais“, schätzt François Guennoc, Vizepräsident der Hilfsorganisation „Auberge des migrants“. Vor allem in Coquelles, etwas westlich der französischen Hafenstadt, legen immer wieder überfüllte Schlauchboote in Richtung des rund 33 Kilometer entfernen England ab. Zu sehen sind die Migranten nicht. Die Menschen, von denen sehr viele aus dem Iran stammen, leben versteckt in kleinen Zelten oder notdürftig zusammengezimmerten Behausungen aus Treibholz und Plastikplanen. Selbst François Guennoc, der seit vielen Jahren die Situation vor Ort beobachtet ist überrascht, wie viele Migranten in diesem Sommer die Überfahrt wagen. Die Zahl steige kontinuierlich. Wurden 2019 offiziell noch 586 Versuche gezählt, sind es in diesem Jahr bereits weit über 2000.

Die Zahl der Migranten in Calais steigt

Die zuständige Polizeibehörde in Calais macht dieselbe Beobachtung, allerdings aus einem anderen Blickwinkel. „Von Januar bis Juli 2020 wurden im Vergleich zum Vorjahr fünf Mal mehr Überfahrten verhindert“, heißt es in einer Mitteilung. Zudem seien vier Mal mehr Boote und Ausrüstung schon vor dem Ablegen in den Dünen entdeckt worden.

François Guennoc macht mehrere Faktoren für die Zunahme verantwortlich. Zum einen erreichten viele der Migranten, die bis zu 3000 Euro an die Schlepper bezahlen müssen, das britische Ufer des Ärmelkanals. In weit über der Hälfte der Fälle sei die Überfahrt erfolgreich, das ermutige andere. Grund sei aber auch der drohende Brexit. „Die Schleuser sagen den Leuten, dass sie sich beeilen müssen, bevor die Grenzen ganz dichtgemacht werden“, erklärt Guennoc. Auch wenn das nicht stimme, erhöhe es natürlich den Druck auf die verzweifelten Menschen. Zudem agieren die gut organisierten Schlepperbanden inzwischen wesentlich professioneller. Die Schlauchboote werden im Internet gekauft und sogar aus den Nachbarländern nach Calais transportiert.
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Die Polizei ist besser ausgerüstet

Allerdings wurden auch die französischen Sicherheitskräfte zu Land und auf dem Wasser zuletzt wesentlich besser ausgestattet, sagt Philippe Sabatier von der Staatsanwaltschaft in Boulogne-sur-Mer. Seit Januar seien vier Schleppernetzwerke aufgedeckt worden. Dennoch werde es immer schwieriger, den Organisationen das Handwerk zu legen. Das hänge auch damit zusammen, dass die Schleuser vor Ort ständig brutaler zu Werke gingen und immer häufiger die Migranten in völlig überfüllten, schlecht motorisierten Schlauchbooten aufs Meer schickten.

Calais ist seit vielen Jahren ein Sammelpunkt für Migranten aus der ganzen Welt auf ihrem Weg nach Großbritannien. Im Jahr 2016 löste die Polizei mit Gewalt ein Camp am Rand der Stadt auf. Im sogenannten „Dschungel von Calais“ hausten mehrere Tausend Menschen unter unwürdigen Bedingungen. Gleichzeitig wurde der Hafen, wo die Fährschiffe nach Dover ablegen, für viele Millionen Euro mit Zäunen und Stacheldraht abgeschirmt und zu einer Art Festung ausgebaut. .

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Hilfsorganisationen prangern die Härte der Polizei an

Gleichzeitig versuchen nun die französischen Behörden das Entstehen von neuen Elendslager zu verhindern. Immer wieder durchkämmen Einheiten die Strandabschnitte rund um Calais, zerstören provisorische Hütten, nehmen Migranten fest. Viele Gelände sind inzwischen mit hohen Stacheldrahtzäunen und Kameras gesichert. Den Beamten wird von den Hilfsorganisationen vorgeworfen, bei ihren regelmäßigen Razzien mit übergroßer Härte gegen die Migranten vorzugehen.

Claire Millot glaubt nicht, dass sich die Situation in Calais irgendwann ändern wird. So lange die Menschen aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen ihre Heimat verlassen müssten und sie ein Fünkchen Hoffnung auf ein besseres Leben haben, würden sie auch Todesgefahren auf sich nehmen, sagt die Generalsekretärin der Hilfsorganisation Salam. „Wir warnen immer wieder davor, sich auf den lebensgefährlichen Weg zu machen“, sagt sie, zumal viele nicht einmal schwimmen könnten. Aber wie groß müsse die Verzweiflung dieser Menschen sein, wenn sich manche sogar paddelnd auf Surfbrettern oder in kleinen Kanus auf das offene Meer wagen.

Kein Schiff wird kommen – Kapitän der Identitären Bewegung in Haft

Mitglieder der rechtsextremen Identitären Bewegung wollten mit einem Schiff Flüchtlinge an der Überfahrt über das Mittelmeer hindern. Die Mission hat nun offenbar ein Ende gefunden: der Kapitän soll auf Zypern festgenommen worden sein.

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Der Spott im Netz angesichts der Aktion ist groß.

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Famagusta – Ist diese Geschichte erfunden? Oder ist es Satire? Die Story ist fast zu gut, alle Teile passen perfekt zusammen und sie hat eine Pointe, die an Ironie kaum zu übertreffen ist. Gesichert ist: rechtsextreme Anit-Flüchtlings-Aktivisten haben ein Schiff gechartert, um die Migration über das Mittelmeer zu stoppen und Flüchtlinge wieder nach Libyen zurückzubringen. Nun meldet die Zeitung „Kibris Postasi“, der Kapitän der „C-Star“ sei in Hafen von Famagusta in der Türkischen Republik Nordzypern festgenommen worden. Der Mann sei festgenommen worden, weil er falsche Dokumente vorgelegt habe. Auf linken Internetseiten ist die Rede davon, dass der Kapitän sogar wegen Verdachts der Schlepperei festgenommen worden sein soll.

Tamilen beantragen Asyl

Hier ist Geschichte allerdings noch nicht zu Ende. Durch die sozialen Medien schwirrt eine Nachricht, die tamilische Besatzung des Schiffes, das unter mongolischer Flagge fahren soll, habe in Zypern Asyl beantragt. Die ursprüngliche Quelle dieser Angabe ist ein Blog-Eintrag des französisch-griechischen Filmemachers Yannis Youlountas. „DEFEND EUROPE, c‘est fini!“ schreibt er und bezieht sich auf den Namen den die Rechtsextremen ihrer eigenen Aktion gegeben haben. Zudem soll die tamilische Crew angegeben haben, dass sie für die Fahrt bezahlt haben. Ein offizielle Bestätigung für diese Berichte gibt es allerdings nicht. Der Spott in Internet kennt angesichts der Geschichte allerdings keine Grenzen.

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Vorwurf der Schlepperei

Laut dem österreichischen „Kurier“ erklärte die Identitäre Bewegung, der Vorwurf der Schlepperei sei „absurd“. Die Tamilen seien zu Trainingszwecken an Bord gewesen, um eine Kapitänsausbildung zu absolvieren. Das sei ein ganz normaler Vorgang, sie hätten natürlich auch dafür bezahlt. Als sie an Land kamen, um einen Crewwechsel durchzuführen, seien sie von NGOs „massiv gedrängt“ worden, einen Asylantrag zu stellen.

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Martin Sellner, Kopf der Identitären Bewegung Österreich, bestätigte gegenüber „Buzzfeed“, dass das Schiff in Zypern gestoppt wurde: „Es ist das gleiche wie im Suezkanal“, so der Aktivist. „Falsche Vorwürfe, die zu Repressalien führen, um uns Zeit zu stehlen. Das Unternehmen wird dagegen vor Gericht ziehen“.

Es ist offensichtlich nicht das erste Mal, dass das Schiff Probleme hat, seine Mission fortzusetzen. Die C-Star war bereits vergangene Woche im Suezkanal gestoppt worden, weil es dem Kapitän nicht gelungen war, eine zufriedenstellende Crew-List vorzulegen, berichtete der britische „Independent“.

Auf dem Twitter-Account „Defend Europe“ werden inzwischen die meisten der Angaben indirekt bestätigt. Natürlich sieht die Identititäre Bewegung dahinter eine Verschwörung und Intrigen von Menschenrechtsgruppen.

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Offensichtlich sitzen nun Mitglieder der Identitären Bewegung auf Sizilien fest. Sie wollten in Catania die C-Star besteigen und von dort aus in See stechen, um Flüchtlinge an der Überfahrt über das Mittelmeer zu hindern.

Hinter der Aktion der Gruppe „Defend Europe“ stehen deutsche, französische und italienische Mitglieder der Identitären Bewegung, die in Deutschland wegen ihrer völkischen Ideologie vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Die Rechtsextremisten hatten Mitte Mai eine Kampagne im Internet gestartet und 76 000 Euro für die Anmietung eines Schiffs eingesammelt.

Von Libyen aus brechen die meisten Menschen in seeuntüchtigen Booten auf. Auf dem Seeweg erreichten seit Jahresbeginn schon mehr als 112 000 Menschen die Küsten Europas. Die Aktion „Defend Europe“ richtet sich nicht nur gezielt gegen diese Migranten, sondern auch gegen Hilfsorganisationen, die die Menschen im Mittelmeer aus Seenot retten und an Land bringen.

Die „Identitäre Bewegung“ inszeniert sich jung und modern. Deutsche Verfassungsschützer haben sie seit 2016 im Visier. In Deutschland ist die Gruppierung mit französischen Wurzeln seit 2012 aktiv und macht immer wieder mit Aktionen von sich reden. Im vergangenen Sommer besetzte sie das Brandenburger Tor und enthüllte am Wahrzeichen der Hauptstadt Banner mit der Aufschrift: „Sichere Grenzen – Sichere Zukunft“. Im Mai wollten Aktivisten ins Bundesjustizministerium eindringen.

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Info: Wer ist die Identitäre Bewegung?

Die Identitäre Bewegung ist gegen „unkontrollierte Massenzuwanderung“. Der Verfassungsschutz erkennt bei der Gruppierung „Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“.

Die Wuzeln der Identitären Bewegung liegen in Frankreich, wo sie im Jahr 2004 als Teil des „Bloc identitaire“ entstand. Von dort aus hat sie sich in weiteren Ländern verbreitet. Experten sehen in der Gruppe eine Spielart des Rechtsextremismus. Die Bewegung wendet sich gegen „Multikulti-Wahn“, „unkontrollierte Massenzuwanderung“ und den „Verlust der eigenen Identität“. Sie fordert eine „Festung Europa“ und den Verbleib jeder Ethnie „auf ihrem geschichtlich gewachsenen Gebiet“. Dem Verfassungsschutz zufolge lassen die „Identitären“ „Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ erkennen. Im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise habe sich die Bewegung zunehmend radikalisiert.

In Deutschland soll die Bewegung rund 400 aktive Anhänger haben und ist 2012 aktiv. Nachzuweisen sind Kontakte zu anderen Gruppierungen am rechten Rand, etwa mit der Studentenverbindungen besonders des deutsch-österreichischen Dachverbandes Deutsche Burschenschaft. Eine Studie der Berliner Senatsverwaltung für Inneres kam 2015 zu dem Schluss, es gebe eine Aktionseinheit gegen Flüchtlinge von „Bürgerbewegung Pro Deutschland“, HoGeSa-Berlin, Identitärer Bewegung und Berliner NPD.

Die Identitäre Bewegung inszeniert sich jung und modern. Deutsche Verfassungsschützer haben sie seit 2016 im Visier. Zuletzt versuchte die Gruppe, mit verschiedenen Aktionen Aufmerksamkeit zu erregen. Im vergangenen Sommer besetzte sie das Brandenburger Tor und enthüllte am Wahrzeichen der Hauptstadt Banner mit der Aufschrift: „Sichere Grenzen – Sichere Zukunft“. Im Mai wollten Aktivisten ins Bundesjustizministerium eindringen.

Hinter der aktuellen Aktion der Gruppe „Defend Europe“ stehen deutsche, französische und italienische Mitglieder der Identitären Bewegung. Sie versuchen, mit einem eigenen Schiff, Migranten auf dem Mittelmeer zu stoppen.

Das Symbol der Identitären Bewegung Deutschlands ist das Lambda, der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets. Als sich spartanische Krieger um 480 vor Christus in der Schlacht bei den Thermopylen den anrückenden persischen Truppen entgegenstellten, sollen sie dieses Zeichen auf ihren Schilden getragen haben. In dieser Tradition sehen sich auch die Identitären.

Europa bleibt das Ziel der Flüchtlinge

Mehr als 260 000 Flüchtlinge und andere Migranten sind nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration bislang in diesem Jahr über das Mittelmeer nach Europa gelangt. Mehr als 3100 seien bei dem Versuch ums Leben gekommen, erklärte die IOM.

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Mehr als 3000 Ertrunkene

Zwischen dem 1. Januar und dem 7. August sind demnach 263 636 Menschen über das Meer angelangt. 160 888 seien in Griechenland angekommen, 100 244 in Italien. Im vergangenen Jahr waren es bis Ende August insgesamt 354 618 Menschen. Die Zahl der im Mittelmeer ums Leben Gekommenen oder Vermissten lag mit 3176 in der Zeit vom 1. Januar bis 7. August höher als in den ersten acht Monaten 2015, damals wurden 2754 Tote registriert. Mehr als 2700 dieser Fälle entfielen in diesem Jahr auf die gefährliche Route zwischen Nordafrika und Italien. Hier gibt es mehr Zahlen der IOM zur Migration.

Griechenland will mehr Wohnungen

Griechenland will die im Land festsitzenden Flüchtlinge verstärkt in Wohnungen unterbringen. Vizeverteidigungsminister Dimitris Vitsas erklärte am Dienstag, die Regierung wolle viele der staatlichen Flüchtlingslager auf dem Festland schließen oder die Lebensbedingungen dort verbessern. Weniger als 7000 der 57 000 Flüchtlinge in Griechenland leben derzeit in Wohnungen oder Hotels. Ursprünglich angestrebt war eine Zahl von 20 000. Vitsas, der eine Arbeitsgruppe zum Thema Migration leitet, kündigte auch Schritte gegen die Überbelegung in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln an. Wer die erste Phase seines Asylantrags abgeschlossen habe, könne aufs Festland umziehen, sagte er.

Deutschland west mehr Menschen ab

Gleichzeitig wurde bekannt, dass an Deutschlands Außengrenzen immer mehr Menschen abgewiesen werden. Auch die Zahl der Abschiebungen stieg im ersten Halbjahr 2016 deutlich an, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervorgeht. „In Deutschland etabliert sich immer mehr eine menschenverachtende Abschiebepraxis“, kritisierte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke. In den ersten sechs Monaten des Jahres wurde den Angaben zufolge 13.324 Menschen entweder an der Grenze oder an Flughäfen die Einreise in die Bundesrepublik verweigert. Im Gesamtjahr 2015 hatte es lediglich 8913 solcher Abweisungen gegeben, ein Jahr zuvor sogar nur 3612. Im September 2015 hatte die Bundesregierung auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise die Grenzkontrollen wieder eingeführt.

 

Hier geht es zur Seite Internationalen Organisation für Migration

Hier noch ein kurzer Video-Beitrag über die Arbeit des IOM.

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Rekordzahl an Binnenflüchtlingen

In der EU wird heftig über die Asylpolitik gestritten. Zäune werden hochgezogen, weil sich manche Länder nicht in der Lage sehen, ein paar Tausend Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Verdrängt wird dabei oft, dass sich nur ein Bruchteil der Vertriebenen auf den gefährlichen Weg in Richtung Europa macht.

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Ein Flüchtlingslager in der Nähe von  Aleppo/Syrien

Die meisten bleiben in der Heimat

Weitaus mehr Flüchtlinge suchen Schutz in den Nachbarländern, wo die Situation oft nicht wesentlich besser ist als in ihrer Heimat. Die allermeisten Menschen aber sind Binnenflüchtlinge. Das heißt, dass sie innerhalb des eigenen Landes Zuflucht vor Krieg und Gewalt suchen. Knapp 41 Millionen Menschen weltweit teilten einer neuen Untersuchung zufolge Ende 2015 dieses Schicksal. Eine höhere Zahl von Binnenflüchtlingen sei niemals zuvor registriert worden, teilte das Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) in London mit. Die vielen kriegerischen Auseinandersetzungen auf der Welt hätten die Entwicklung ausgelöst. Nach Angaben der Fachleute ist die Zahl der Binnenflüchtlinge damit in etwa doppelt so hoch wie die Zahl der gut 20 Millionen Flüchtlinge, die ihr Land verlassen.

Die Schuld des IS

Besonders die Bürgerkriege in Syrien, Jemen und Irak hätten im vergangenen Jahr viele Menschen zum Verlassen ihrer Heimatstätte gezwungen. Die Fachleute geben besonders Terrormilizen wie dem Islamischen Staat Schuld an den Vertreibungen. Der Islamische Staat kontrolliert viele Regionen im Irak und in Syrien und herrscht dort mit Terror und Gewalt.

Die Macher der Studie beklagen zu Recht, dass sich die Aufmerksamkeit der Welt auf den Flüchtlingsstrom aus der Region heraus gerichtet habe, während sich die weitaus größere Katastrophe innerhalb der Länder selbst abspielt.

Hier geht es zu einer Foto-Reportage über die Flucht aus Syrien

Chronologie – das Jahr der Flüchtlinge

Die Fluchtbewegung nach Europa hat das Jahr 2015 geprägt wie kein anderes Thema. Hier sind die Ereignisse der zurückliegenden zwölf Monate zusammengefasst.

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JANUAR

– Asylanträge: 25.042

– Ende Januar löst Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) einen Streit ums Kirchenasyl aus. Er wirft den Kirchen vor, sich über geltendes Recht hinwegzusetzen. Ende Februar einigen sich Staat und Kirche auf ein neues Verfahren mit engerer Kooperation zwischen Gemeinden und Behörden.

FEBRUAR

– Asylanträge: 26.083

– In der Nacht auf den 9. Februar birgt die italienische Küstenwache einen Kutter mit 105 Insassen, die über das Mittelmeer nach Europa flüchten wollten. Sieben Menschen sind bei der Überfahrt erfroren. Weitere 18 Menschen sterben beim Transport nach Lampedusa. In den Tagen darauf ertrinken wahrscheinlich mehr als 300 Menschen.

– In ihrem wöchentlichen Podcast dringt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 14. Februar auf eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in der EU.

MÄRZ

– Asylanträge: 32.054

– Am 11. März landet in Hannover der 50. Charterflug mit Flüchtlingen aus Syrien, die über ein 2013 aufgelegtes Kontingent in Deutschland aufgenommen werden. Die insgesamt 20.000 Plätze werden bis zum Sommer ausgeschöpft sein.

– Das Bundeskabinett beschließt am 13. März, den Ländern für 2015 und 2016 jeweils 500 Millionen Euro mehr für die Versorgung der Flüchtlinge zu geben. Ländervertreter fordern erstmals auch eine dauerhafte Beteiligung des Bundes an den Kosten.

APRIL

– Asylanträge: 27.178

– Am Osterwochenende wird auf die Asylunterkunft in Tröglitz (Sachsen-Anhalt) ein Brandanschlag verübt. Der Ort war bereits vorher in die Schlagzeilen geraten, weil der Bürgermeister Markus Nierth im März wegen rechtsradikaler Anfeindungen von seinem Amt zurückgetreten war.

– Mehr als 800 Flüchtlinge ertrinken nach einem Bootsunglück vor der libyschen Küste. Bei einem Krisentreffen am 20. April in Brüssel beschließen die EU-Innen- und Außenminister, die Seenotrettung im Mittelmeer auszubauen.

– Im Streit um eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Länder spricht sich Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am 29. April für eine Quote aus, die in vielen Ländern auf Ablehnung stößt.

MAI

– Asylanträge: 25.992

– Bei einem Treffen am 8. Mai verspricht Kanzlerin Merkel den Bundesländern ein Maßnahmenpaket zur Beschleunigung für Asylverfahren.

– Am 27. Mai stellt EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos Details des Quotenvorschlags zur Verteilung von Flüchtlingen vor. Zunächst sollen 60.000 Menschen aus Griechenland, Italien und Ländern des Nahen Ostens auf alle EU-Länder verteilt werden. Die Regierungen stimmen schließlich zu, bis Jahresende wird aber erst ein Bruchteil der Flüchtlinge tatsächlich verteilt sein.

JUNI

– Asylanträge: 35.449

– Die Internationale Organisation für Migration erklärt am 9. Juni, dass im Laufe des Jahres bereits mehr als 100.000 Flüchtlinge über den Seeweg nach Europa gekommen sind. Die Bundesregierung hebt ihre Prognose über die erwartete Zahl der Flüchtlinge an. Sie rechnet jetzt mit 450.000 Asylsuchenden bis Ende des Jahres.

– Im sächsischen Freital sorgen Proteste gegen eine Asylbewerberunterkunft bundesweit für Empörung. Bis Ende des Monats registrieren die Sicherheitsbehörden für das erste Halbjahr 150 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte – ein neuer Höchststand.

JULI

– Asylanträge: 37.531

– Laut UNHCR haben seit Jahresanfang 78.000 Flüchtlinge Griechenland erreicht – mehr als sechsmal so viele wie im Vorjahreszeitraum. Die Fluchtroute von Syrien über die Türkei und den Balkan gerät verstärkt in den Fokus.

AUGUST

– Asylanträge: 36.422

– Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verkündet am 19. August eine neue Prognose, wonach er bis zu 800.000 Flüchtlinge in diesem Jahr erwartet. Grundlage der Prognose sollen künftig nicht mehr die Asylantragszahlen sein, sondern die Zahl der über die Länder tatsächlich registrierten Flüchtlinge. Beide Zahlen waren aufgrund des Antragsstaus immer weiter auseinander geklafft.

– Am 25. August twittert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: „#Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt von uns weitestgehend faktisch nicht weiter verfolgt.“ Syrer, die über ein anderes EU-Land eingereist sind, können damit in Deutschland bleiben. In der Folge drängen noch mehr Flüchtlinge in die Bundesrepublik.

– Am 26. August besucht Bundespräsident Joachim Gauck eine Erstaufnahmeeinrichtung in Berlin. Kanzlerin Merkel ist am gleichen Tag in Heidenau, wo es zuvor heftige Ausschreitungen beim Protest gegen eine Asylunterkunft gegeben hatte. Merkel betont nach ihrem Gespräch mit Flüchtlingen, es gebe keine Toleranz gegenüber denen, die die Würde anderer Menschen infrage stellten. Entfernt stehende Heidenauer buhen sie aus.

SEPTEMBER

– Asylanträge: 43.071; registrierte Flüchtlinge: 164.000

– Kanzlerin Merkel entscheidet in einem Telefonat mit Ungarns Ministerpräsident Orbán, Flüchtlinge weiter nach Deutschland reisen zu lassen. Die Asylsuchenden hatten unter teils katastrophalen Umständen in Ungarn ausgeharrt. Die Entscheidung bringt ihr auch innerhalb der Union viel Kritik ein. Merkel bleibt bei ihrer Haltung. Das Asylrecht kenne keine Obergrenze, erklärt sie.

– Am 18. September übernimmt der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, die Leitung des unter Druck stehenden Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Nach wie vor gelingt es der Behörde nicht, Asylanträge schneller zu bearbeiten. Der Antragsstau wächst weiter.

– Bund und Länder einigen sich am 24. September auf eine Verteilung der Flüchtlingskosten. Der Bund zahlt ab 2016 eine Pauschale von 670 Euro pro Flüchtling bis zum Ende des Asylverfahrens. Im Gegenzug stimmen die Länder einer Reihe von Verschärfungen im Asylrecht zu, die wenig später vom Bundestag verabschiedet werden.

OKTOBER

– Asylanträge: 54.877, registrierte Flüchtlinge: 181.000

– Am 7. Oktober beschließt das Bundeskabinett eine Neuordnung seiner Flüchtlingspolitik. Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) wird zum Flüchtlingskoordinator ernannt.

– In der CSU stößt Merkels offene Haltung gegenüber den Flüchtlingen immer mehr auf Ablehnung. Forderungen werden laut, Schnellverfahren in sogenannten Transitzonen an der Grenze einzuführen, den Familiennachzug einzuschränken und eine Obergrenze für die Aufnahme zu definieren.

NOVEMBER

– Asylanträge: 57.816; registrierte Flüchtlinge: 206.000

Am 30. November beschließt der Bundestag den Haushalt 2016, der mehr als acht Milliarden Euro zusätzlich für die Versorgung und Integration von Flüchtlingen vorsieht. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erklärt, die Bewältigung der Flüchtlingszahlen habe Priorität.

DEZEMBER

– Anfang Dezember meldet Bayern, dass die Zahl der insgesamt in diesem Jahr registrierten Flüchtlinge die Grenze von einer Million überschritten hat.

– Auf ihren Parteitagen fordern SPD und CDU europäische Kontingente zur Aufnahme von Flüchtlingen. CDU-Parteichefin Merkel gelingt es, dass im Leitantrag der Christdemokraten die Forderung nach einer Obergrenze für die Aufnahme ausbleibt.

 

Zur Erinnerung für alle Pegida-Anhänger und Hasenherzen

Das ist eine kleine, sehr kurze Bilder-Geschichte Deutschlands. Sie braucht keine Worte. Es ist eine Geschichte gegen das Vergessen und für die Menschlichkeit. Die ersten beiden Bilder sind auch Mut-Macher – dass große Herausforderungen zu meistern sind, wenn alle anpacken. Vielleicht regen die Bilder den einen oder anderen Das-Boot-ist-voll-Redner, Pegida-Anhänger oder andere Rechtsausleger zum Nach- und Umdenken an.    

1945

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1989

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2015

Slowenien

Der 17-Punkte-Plan – Erste Ansätze zu einer Lösung

Im Flüchtlingsdrama auf dem Balkan wollen die EU und die Balkanländer die akuten Nöte der Menschen lindern. Auf der Route soll es etwa mehr Aufnahmeplätze geben. Die Staaten arbeiten auch beim Grenzschutz enger zusammen. Der in Brüssel beschlossene 17-Punkte-Plan liefert erste Ansätze – doch Europa kann das Flüchtlingsproblem als Ganzes nicht lösen.

Slowenien

Hier einige Kernaussagen des Planes:

AUFNAHMEPLÄTZE: Griechenland soll – auch mit Hilfe des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR – 50.000 Aufnahmeplätze für Flüchtlinge bereitstellen, davon bis Jahresende 30.000. Dabei eingerechnet sind 10.000 Plätze, die es laut EU-Kommission schon gibt. Entlang der Westbalkanroute sollen weitere 50.000 Plätze entstehen.

SICHERHEIT: Das vom Flüchtlingsandrang überforderte Slowenien soll binnen einer Woche Hilfe von 400 Polizisten aus anderen EU-Staaten bekommen. Außerdem soll die Grenzschutzagentur Frontex die EU-Außengrenzen besser absichern helfen, so an der Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei oder in der Ägäis vor Griechenland.

KOOPERATION: Innerhalb von 24 Stunden soll ein Netz von Ansprechpartnern zwischen den beteiligten Staaten entstehen, die Informationen zum Migrationsfluss schneller als bisher austauschen. Die Arbeiten daran liefen laut EU-Kommission am Montag bereits.

REGISTRIERUNG: Ankommende Menschen sollen beim Eintritt in die EU registriert werden, vor allem per Fingerabdruck. Menschen ohne Asylanspruch sollen zügig zurückgeschickt werden.

STRÖME VERLANGSAMEN: Die Staaten wollen Migranten „entmutigen“, einfach zum nächsten Land auf der Route nach Westeuropa weiterzuziehen. „Eine Politik des Durchwinkens von Flüchtlingen ohne die Nachbarstaaten zu informieren, ist nicht akzeptabel“, heißt es in der Abschlusserklärung.

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Nach der Sitzung in Brüssel bleiben allerdings noch viele Fragen offen. Hier der Versuch einiger Antworten.

Hat die „Politik des Durchwinkens“ damit ein Ende?

  • Nein, das ist nicht zu erwarten. Zwar heißt es in der Erklärung der Spitzenpolitiker, man werde Migranten entmutigen, zur Grenze eines anderes Landes der Region zu ziehen. Allerdings geht es recht vage weiter mit dem Satz „Eine Politik des Durchwinkens von Flüchtlingen ohne die Nachbarstaaten zu informieren, ist nicht akzeptabel.“ Für sich genommen könnte das genauso gut heißen: Wenn ein Land seine Nachbarn darüber informiert, ist alles in Ordnung. Eine klare Linie sieht anders aus.

Ist das jetzt der Durchbruch in der Flüchtlingskrise?

  • Nein. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) räumt ein, dass der Beschluss nur „ein Baustein“ sei: „Nicht lösen können wir das Flüchtlingsproblem insgesamt.“ Neben den Balkanländern ist vor allem die Türkei als wichtigstes Transitland nach Europa entscheidend – die Türkei war bei dem Treffen aber gar nicht dabei. Die EU arbeitet bereits an einem umfassenden Abkommen mit der Türkei.

Wie ist das Verhältnis der Staaten entlang der Balkanroute?

  • Nach wie vor angespannt. Als Erfolg kann man immerhin werten, dass zehn EU-Länder mit Mazedonien, Serbien und Albanien an einem Tisch saßen und miteinander sprachen. Doch die gegenseitigen Schuldzuweisungen gehen weiter. Die Türkei weist dem Westen die Schuld dafür zu, dass der Konflikt in Syrien ungelöst ist. Griechenland wirft der Türkei vor, die Flüchtlinge einfach weiterzuschicken. Und die Balkanländer werfen Griechenland vor, seine Grenze, die eine EU-Außengrenze ist, nicht zu schützen. „Das muss aufhören“, sagte ein Diplomat.

Ist die Flüchtlingskrise eine Gefahr für den Bestand der EU?

  • Ja, warnte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Wenn Europa nur Zäune oder Mauern baue, dann sei Europa „auf einer Schleife, wo es dann in kurzer Zeit in sich zusammenbricht.“ Seit Monaten streiten die Staaten kontrovers über das Flüchtlingsproblem. Es mangelt an Solidarität: Die beschlossene Verteilung von 160 000 Flüchtlingen innerhalb Europas kommt nur schleppend in Gang, auch wegen des Widerstands der ostmitteleuropäischen Staaten wie Ungarn, Tschechien, Polen und der Slowakei. Die Bundeskanzlerin spricht von „einer der größten Bewährungsproben, denen sich Europa ausgesetzt sieht.“

Wie wird es weitergehen?

  • Es wird in nächster Zeit noch eine Reihe an Minister- und Gipfeltreffen in der EU zur Flüchtlingskrise geben. Schon am 9. November werden die EU-Innenminister wieder zu einem Sondertreffen zusammenkommen, um über weitere Schritte zu beraten. Am 11. und 12. November wollen die EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Flüchtlingsgipfel in Malta mit den Herkunftsländern in Afrika beraten.

Ist das die neue Völkerwanderung?

Über eine Million Flüchtlinge werden in diesem Jahr nach Deutschland kommen.  Das hat Folgen für die Gesellschaft. Wer die Geschichte Europas kennt,  sieht diese Entwicklung als Chance für das Land.

15.09.04-flucht-budapest Flüchtlinge warten auf ihre Registrierung

Vom Wohl der Vielfalt

Ist Stuttgart eine deutsche Stadt? Der Blick ins örtliche Telefonbuch könnte Zweifel aufkommen lassen: Rakezic, Kim, Selvaggio, Arslan, Lopez, Koslowski. Und doch wird jeder die Frage ohne zu zögern mit „Ja“ beantworten: Stuttgart ist eine deutsche Stadt! Seit Jahrzehnten ziehen Ausländer nach Baden-Württemberg und sind im Laufe der Zeit – politisch korrekt ausgedrückt – Einwohner mit Migrationshintergrund geworden. Rund 40 Prozent ist ihr Anteil in der Landeshauptstadt, bei den Kindern ist es weit über die Hälfte.

Diese Menschen haben Stuttgart verändert, ebenso wie sie Deutschland, ja ganz Europa verändert haben. Und dennoch liegt die Idee fern, in diesem Fall von einer Völkerwanderung zu reden – obwohl viele Millionen Menschen gekommen sind, aus Italien, Portugal, Spanien, der Türkei oder den Staaten des ehemaligen Ostblocks. Die meisten von ihnen haben in Deutschland Arbeit und vielleicht auch ein besseres Leben gefunden.

Kein neues Phänomen

Die Wanderbewegung in Europa ist aber kein neues Phänomen. Der 30jährige Krieg setzte im 17. Jahrhundert nicht nur Heere in Bewegung, sondern auch die Zivilbevölkerung. Katharina die Große lockte schwäbische Handwerker in Richtung Osten. Und im 19. Jahrhundert verließen Millionen Menschen die alte Welt in Richtung Amerika. Nicht zu vergessen die Flüchtlingstrecks durch ganz Europa, ausgelöst durch die Kriege im vergangenen Jahrhundert.

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Deutschland, das Land in der Mitte des Kontinents, kennt sich sehr gut  aus mit Einwanderung und Flüchtlingsströmen. Doch was in diesen Monaten auf das Land zukommt, hat eine neue Dimension. Aus der ganzen Welt scheinen die Menschen nach Europa zu drängen, in immer schnellerem Rhythmus müssen die Zahlen nach oben korrigiert werden. Und in dieser Stimmung zwischen Angst, Zweifel, Chaos und Hilfsbereitschaft fällt immer wieder das Wort Völkerwanderung.

Die Völkerwanderung war das Ende Roms

Es ist eine Bezeichnung, die nichts Gutes verheißt, denn die Epoche der Völkerwanderung bedeutete einst das Ende Roms. Der modernste und leistungsfähigste Staatsapparat seiner Zeit hielt damals dem Ansturm der „Barbaren“ nicht stand. 1600 Jahre ist das her, doch scheint diese Geschichte so aktuell wie nie zuvor. Die bange Frage lautet: Wird Europa unter dem aktuellen Strom von Millionen Menschen zusammenbrechen?

Es lohnt ein Blick in die Historie, zumal die grundsätzlichen Parallelen zur Völkerwanderung bisweilen tatsächlich verblüffend sind. Denn damals wie heute waren die Auslöser der Wanderung verheerende Kriege und die Hoffnung  auf ein besseres Leben. Aus der zentralasiatischen Steppe drangen im 4. Jahrhundert nach Christus die Hunnen nach Westen vor und trieben dabei die Goten vor sich her. Die Westgoten flohen aus ihren Siedlungsgebieten,  und es folgte eine Art Dominoeffekt. Kelten, Germanen und Slawen wurden von der Wanderungsbewegung erfasst und drangen in fremde Landstriche vor – manchmal friedlich, oft aber auch brandschatzend und plündernd.

Kampf bis aufs Blut

Was in den folgenden Jahrzehnten ablief, war ein kompliziertes Spiel aus Allianzen mit und gegen Rom, Eroberungsfeldzügen und friedlichen Übernahmen durch die Besiedelung verlassener Landstriche. Bisweilen wurden die eindringenden Völker im Imperium willkommen geheißen, andere wurden von den römischen Söldnern bis aufs Blut bekämpft. Nicht immer war die Haltung Roms gegenüber den „Barbaren“ wirklich konsistent. Zumindest entfernt erinnert das an die wankelmütig anmutende aktuelle Politik der Europäischen Union – etwa das Drängen der Balkanstaaten auf der einen Seite, das Lavieren in Brüssel auf der anderen. Die Parallelen aber enden, wenn die aktuellen Flüchtlingsströme mit jenen der Völkerwanderung verglichen werden. Heute sind die Flüchtlinge Individualisten. Eine Familie in Somalia oder Eritrea schickt ihren Sohn auf den Weg, der es nach Europa schaffen soll, um von dort für das Überleben der Sippe zu sorgen. Andere fliehen, weil sie wegen ihrer Religion verfolgt werden wie in Syrien von Assads Geheimdienst. Wieder andere machen sich auf den Weg, weil sie es satt haben,  jung und hoffnungslos in einem Flüchtlingslager im Libanon, der Türkei oder in Jordanien vor sich hin zu vegetieren. Nicht nur die Gründe der Flucht sind vielfältig, auch scheinen die Menschen in ihrer ganz individuellen Not aus allen Winkeln der Erde auf uns zuzustreben. Es ist gerade dieses scheinbar Entgrenzte, was Angst machen kann.

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Die Flüchtlinge werden aber nicht nur getrieben durch Krieg oder Armut, sie werden auch gelockt von den Verheißungen Europas. In der modernen, globalisierten Welt zirkulieren nicht nur die Waren, sondern auch vage Informationen, bunte Bilder und verlockende Illusionen. Smartphones werden zum Schaufenster in eine vermeintlich bessere Welt – und damit auch zur letzten Hoffnung für Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben.

Das ist keine Völkerwanderung

Was wir im Moment erleben ist keine Völkerwanderung, es ist etwas Neues, noch nie Dagewesenes. Aber ähnlich wie die Völkerwanderung auf Rom wird der Zustrom der Hilfesuchenden nach Europa Auswirkungen auf unser tägliches Leben haben, die noch nicht abzusehen sind. Aus unserer jüngsten deutschen Geschichte – von der Aufnahme der Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen  nach dem Zweiten Weltkrieg, über die Zuwanderung der „Gastarbeiter“ bis hin zur Ankunft der Flüchtlinge während der Balkankriege –  wissen wir, dass die Integration nicht reibungslos verläuft, dass es von allen Seiten Zeit und Kraft erfordert. Wir wissen aber auch, dass das Zusammenleben vieler Nationen gelingen kann. Das Telefonbuch von Stuttgart ist der beste Beweis, dass Europa nicht untergehen wird. Aber das Zusammenleben wird in Zukunft anders, vielfältiger werden – das allerdings muss nicht unbedingt zu Europas Nachteil  sein.