Polen – zwischen Entsetzen und Euphorie

Polen hat gewählt. Die Reaktionen auf den Sieg der Nationalkonservativen um den ehemaligen Premier Jaroslaw Kaczynski schwanken zwischen Jubel und blankem Entsetzen.

15.10.26-polenwahl Screenshot onet.pl

Europa muss sich warm anziehen

Manche Kommentatoren, die den Sieg der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) kritisch sehen, versuchen sich Mut zu machen. Sie betonen, dass die neuen Regierung etwa in der Wirtschafts- und Steuerpolitik schnell an die Realitäten erinnert werde. Die Umsetzung angekündigter sozialer Wohltaten ohne Rücksicht auf Staatshaushalt und Konkurrenzfähigkeit Polens würde zu einer Destabilisierung führen, die den wirtschaftlichen Aufstieg Polens in den letzten Jahren stark gefährden würde, so die Argumentation. Einig sind sich allerdings alle: es wird nun schwerer werden in Europa einen politischen Konsens zu finden.

Stimmengewinn der Populisten

Kopfzerbrechen bereitet allerdings nicht nur der deutliche Sieg der national-konservativen PiS. Vor allem der Protest der jungen Polen ist überraschend. Viele haben sich bei ihrer Stimmabgabe für die rechten Rattenfängern entschieden. Sie votierten für dem offen rechtsradikalen Rocker Pawel Kukiz oder dem neofaschistischen Provokateur Janusz Korwin-Mikke. Zur Erinnerung: Janusz Korwin-Mikke ist für die Einführung der Todesstrafe und der Prügelstrafe bei geringeren Vergehen. Er sagt auch, dass Frauen weniger intelligent seinen als Männer. Das aktive Wahlrecht für Frauen lehnt er ab, weil sie sich sowieso nicht für Politik interessieren würden.  Auch zur Geschichte hat sich Janusz Korwin-Mikke geäußert. Er behauptet, dass die Vernichtung der europäischen Juden nicht das Ziel Hitlers gewesen sei. Und es gebe keine Beweise, dass dieser vom Holocaust gewusst habe.

15.10.26-polen-sondage

Auch die Kommentatoren in Polen sind gespalten:

Gazeta Wyborcza“: „Wir haben ein „Budapest in Warschau“ … jetzt ist die Zeit für die soziale Mobilisierung gekommen, für das Bewusstsein des Ernstes der Lage. Ein Bündnis aller Kräfte ist nötig, die die liberale Demokratie vor der parlamentarischen Mehrheit schützen: Eine Gesellschaft der Bürger, unabhängigen Medien und Parteien, die sich dem Autoritarismus widersetzen.“ Hier der Link zu Gazeta Wyborcza

Newsweek Polska“: „Warum haben so viele Polen beschlossen, so viel zu riskieren, damit jemand ein so riskantes, genauer ein so verrücktes Projekt realisieren kann? Warum sind so viele von uns vereinfachendem Populismus, unreflektiertem Radikalismus und dumpfem Nationalismus gefolgt? Warum investierten so viele Menschen ihre Hoffnung in einen Mann, der bereits bewiesen hat, dass er zumindest gefährlich ist?“ Hier der Link zu Newsweek Polska

Fronda.pl“: „Gott sei Dank! Endlich kann Polen (wieder) Polen sein. Verehrte Herrschaften, heute wurde die Dritte Republik (= das seit 1989 bestehende Polen) begraben – nach 26 Jahren ist das endlich das Ende!“ Hier der Link zu fronda.pl

Wpolityce.pl“: „Die Attacke der westlichen Medien auf die Wahl der Polen zeigt, dass es nicht leicht sein wird. Und dass die Mechanismen, die der Berliner Regierung unterliegen, weiter funktionieren. Man kann erwarten, dass die medialen und finanziellen deutschen Ressourcen in Polen zur Zerstörung der neuen Regierung eingebracht werden. Die einzige mögliche Antwort ist, ihre Begrenzung zu erwägen.“ Hier der Link zu wpolityce.pl

Kalter Krieg oder nicht Kalter Krieg?

Die USA verlegen schwere Waffen in Richtung Osteuropa. Die Reaktionen auf diesen Schritt könnten im Westen bei den Natopartner unterschiedlicher nicht sein.

15.06.24-Siemioniak Polens Verteidiungsminister Tomasz Siemoniak, hier mit seiner Kollegin Ursula von der Leyen begrüßt das US-Engagement in Polen.

Polen freut sich über die US-Entscheidung

In wie vielen Welten leben wir? Die Berichterstattung über die Entscheidung der USA, schwere Waffen nach Osteuropa zu verlegen, legt den Schluss nahe, dass die Sicht auf die Dinge in den verschiedenen Ländern weit auseinander gehen kann. So berichtet die polnische Zeitung Gazeta Wyborcza Gazeta Wyborcza auf ihrer Titelseite über die Reaktion der Nato auf die russische Aggression in der Ukraine. Der polnische Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak habe diesen Schritt begrüßt und mitgeteilt, Verhandlungen über einen möglichen Standort in Polen würden laufen. Diese Entscheidung, so Siemoniak nach Angaben von Gazeta Wyborcza, sei eine wichtige Entscheidung für Polens Sicherheit. In Polens Interesse sei eine größtmögliche Präsenz der USA in Polen und in Europa.

Deutschland beschwichtigt

Während Polen also die Alarmglocke läutet, sieht Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) keine Gefahr eines neuen Kalten Krieges zwischen der Nato und Russland. „Es wird keine Rückkehr zum Kalten Krieg geben“, sagte sie am Mittwoch (24.06.2015) vor Beginn des Nato-Verteidigungsministertreffens in Brüssel. „Der Kalte Krieg hat eine völlig andere Welt vor Augen gehabt, nämlich zwei große Blöcke, die sich gegenüberstanden.“ In der heutigen globalisierten Welt seien die ökonomischen Verflechtungen so stark, dass es keine Wiederholung dieser Situation geben könne.

Berlins militärisches Engagement

Was die Minissterin allerdings nicht sagte: Auch Deutschland ist bei den Manövern und der Verlegung von Militärgerät Richtung Osten maßgeblich daran beteiligt. Hier ein kleiner Überblick:

– Vier deutsche Kampfflugzeuge vom Typ „Eurofighter“ haben sich im vergangenen Jahr vier Monate lang an der Luftraumüberwachung über dem Baltikum beteiligt – und werden es ab September wieder tun.

– 4400 deutsche Soldaten nehmen im laufenden Jahr an 17 Übungen in den östlichen Nato-Mitgliedstaaten teil.

– Insgesamt 600 Soldaten werden zu Ausbildungszwecken für jeweils drei Monate nach Litauen, Lettland und Polen geschickt.

– Beim Aufbau der neuen schnellen Nato-Eingreiftruppe, die „Speerspitze“ genannt wird, nimmt Deutschland eine maßgebliche Rolle ein; an der bestehenden Krisenreaktionstruppe NRF (Nato Response Force) ist die Bundeswehr derzeit mit rund 4000 Soldaten beteiligt.

– Zusammen mit Dänemark und Polen baut Deutschland das „Multinationale Korps Nord-Ost“, ein schnell verlegbares Hauptquartier, im polnischen Stettin aus.

– Die Bundeswehr liefert zwölf ihrer schwersten Artilleriegeschütze, sogenannte Panzerhaubitzen, an die litauischen Streitkräfte.

– Deutschland stellt 18 Soldaten für die neuen Nato-Stützpunkte in Estland, Lettland, Litauen sowie Polen, Rumänien und Bulgarien ab. Die Standorte sollen als Logistik- und Koordinierungszentren für die neue schnelle Eingreiftruppe dienen.

Die neue Angst vor Russland

Polen will angesichts des Ukraine-Konflikts seine rund 200 Kilometer lange Grenze zur russischen Exklave Kaliningrad verstärken – mit neuen Wachtürmen.

15.04.09-wachturm

Politiker in Ost und West warnen wegen der Ukraine-Krise seit Monaten  vor einem neuen Kalten Krieg. An der polnischen Ostgrenze werden die Folgen der Spannungen  nun sichtbar.  Polen will  seine rund 200 Kilometer lange Grenze zur russischen Exklave Kaliningrad verstärken. Nach Angaben des polnischen Grenzschutzes sollen sechs Beobachtungstürme errichtet werden, um die Außengrenze rund um die Uhr von dort aus zu überwachen. Kaliningrad liegt an der Ostsee, umgeben von Polen und Litauen. Derzeit werde die technische Ausstattung der 35 bis 50 Meter hohen Türme getestet, sagte Miroslawa Aleksandrowicz von der Grenzschutzstelle Masuren in Ketrzyn der polnischen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“.

Atomwaffenfähige Iskander-Raketen stationiert

Die Baukosten betragen den Angaben zufolge rund 14 Millionen Zloty (etwa 3,5 Millionen Euro). Das Geld  muss das Land allerdings nicht alleine aufbringen, denn die Summe wird zu drei Vierteln aus einem EU-Fonds für die Sicherung der Außengrenzen der Europäischen Union finanziert. Die Regierung in Warschau hatte bereits vor Monaten angedeutet, wegen der Ukraine-Krise die Militärstandorte in Ostpolen verstärken zu wollen. Aber nicht nur  die polnischen Politiker  beobachten die Entwicklung in Kaliningrad mit großem Misstrauen.  Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite hatte bereits im März erklärt, Russland habe in der Exklave atomwaffenfähige Iskander-Raketen stationiert, die „sogar Berlin erreichen“ könnten. Auch in russischen Medien hatte es entsprechende Berichte gegeben. Der Verdacht, dass Moskau in der Region heimlich aufrüste, war schon vor zwei Jahren immer wieder geäußert worden. Entsprechende Berichte wurden von Russland damals aber dementiert.

Kleiner Grenzverkehr

Die zwischenstaatlichen Streitigkeiten hatten bisher keinen Einfluss auf das Leben der  Menschen vor Ort.  Zwischen den Grenzregionen Polens und Kaliningrad besteht ein „kleiner Grenzverkehr“, der eine visumfreie Einreise ermöglicht und vielen Familien auf beiden Seiten ein gutes Einkommen gesichert hat. Im vergangenen Jahr reisten rund 3,2 Millionen Polen und 3,3 Millionen Russen in die Nachbarregion. Das könnte nun mit der Verstärkung der Grenze ein Ende haben.