Die Ergebnisse des EU-Türkei-Gipfels

Auf dem ersten EU-Türkei-Gipfel seit elf Jahren haben beide Seiten einen gemeinsamen Aktionsplan zur Flüchtlingskrise in Kraft gesetzt. Dieser fordert die Türkei zu einem verstärkten Grenz- und Küstenschutz sowie zum Kampf gegen Schlepper auf, um die ungesteuerte Einwanderung in die EU zu stoppen. In der Erklärung des Gipfels wurden der Türkei eine Reihe von Zugeständnissen gemacht.

Ein Überblick:

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 Hier der Link zu den Gipfelergebnissen als pdf

Neues Beitrittskapitel

In den seit 2005 laufenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wurden bisher 14 von 35 sogenannter Verhandlungskapitel eröffnet, in denen die EU-Standards für eine Mitgliedschaft nach Themenbereichen festgelegt sind. Der Gipfel beschloss, zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder einen neuen Bereich anzugehen: Kapitel 17 über die Wirtschafts- und Währungspolitik soll am 14. Dezember eröffnet werden. Zur Kenntnis nehmen EU und Türkei, dass die EU-Kommission im ersten Quartal 2016 die Vorarbeiten zur Eröffnung „einer Reihe“ von weiteren Kapiteln abschließen will. Eine Vorentscheidung stelle dies aber nicht dar.

 Visa-Liberalisierung für Flüchtlingsrücknahme

Ein bereits vereinbartes Rückübernahme-Abkommen für Flüchtlinge soll im Juni 2016 vollständig in Kraft gesetzt werden. Damit könnte die EU Flüchtlinge aus Drittstaaten in die Türkei abschieben. Die EU-Kommission soll im Gegenzug im Herbst einen Fortschrittsbericht zur Visa-Liberalisierung vorlegen. Seien alle Voraussetzungen erfüllt, solle „spätestens im Oktober 2016“ im Schengen-Gebiet die Visumspflicht für türkische Bürger aufgehoben werden.

 Unterstützung für Flüchtlinge in der Türkei

Um rund 2,2 Millionen in der Türkei lebenden Flüchtlingen aus Syrien bessere Lebensperspektiven zu geben, wollen die Europäer „einen ersten Betrag von drei Milliarden Euro“ bereitstellen. Das Geld soll in konkrete Projekte wie den Bau von Schulen fließen. Offen ist die Finanzierung. Der Plan, dass die Mitgliedstaaten 2,5 Milliarden Euro aus ihren nationalen Kassen beisteuern, stößt weiter bei mehreren EU-Regierungen auf Widerstand. Mit der Frage sollen sich nun die EU-Finanzminister bei ihrem Treffen Anfang kommender Woche befassen.

 Umsiedlung von Flüchtlingen von der Türkei in die EU

Bei der möglichen Umsiedlung von Flüchtlingen aus der Türkei in die EU wird nur auf die „bestehenden Regelungen und Programme“ verwiesen – in der EU gibt es aus dem Sommer eine Vereinbarung zur Aufnahme von gut 20.000 Menschen insbesondere aus Nachbarstaaten Syriens. Vor dem Gipfel kam Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aber mit Kollegen mehrerer EU-Länder zusammen, um auch über einen Ausbau der legalen Migration zu sprechen. Um konkrete Aufnahmekontingente ging es Merkel zufolge noch nicht. Die EU-Kommission soll demnach bis zum EU-Gipfel am 17. Dezember Vorschläge unterbreiten.

Regelmäßige Gipfel

Beide Seiten einigen sich darauf, „dass regelmäßig – zweimal im Jahr – Gipfeltreffen“ stattfinden. Auch Dialog und Zusammenarbeit zu Außen- und Sicherheitspolitik sowie das Vorgehen gegen Terrorismus sollten verbessert werden. Hierzu soll es regelmäßig Treffen auf Ministerebene und mit der EU-Kommission geben. Ende 2016 sollen zudem Gespräche über einen Ausbau der Zollunion aufgenommen werden.

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 ERGÄNZUNG:

Die EU-Kommission wird Anfang kommenden Jahres fünf Verhandlungskapitel für die Beitrittsgespräche mit der Türkei vorbereiten. Das sicherte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu nach dem EU-Türkei-Sondergipfel schriftlich zu.Am 14. Dezember soll – wie bereits vereinbart –  das Verhandlungskapitel 17 über Wirtschaft und Finanzen geöffnet werden.
Juncker sicherte nun zu, dass die Verhandlungsabschnitte 15 über Energie, 23 über Justiz, Grundrechte und Rechtstaatlichkeit, 24 über Justiz, Freiheit und Sicherheit, 26 über Ausbildung und Kultur und 31 über Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik vorbereitet werden.
Das Verhandlungsprogramm mit dem EU-Kandidatenland ist in 35 Abschnitte eingeteilt – erst ein Kapitel wurde vorläufig geschlossen.

Ein „Diktator“ in Riga

Manchmal sind es die kleinen Gesten, die sehr tief blicken lassen. Beim Gipfeltreffen in Riga war das ein Geplänkel zwischen Jean-Claude Juncker und Viktor Orban. Der Punktsieg ging ganz eindeutig an den EU-Chef.

15.05.24-Orban

EU-Kommissionspräsident Juncker schien viel Spaß beim Begrüßen der Gäste zu haben. Oder ist das schon die Verzweiflung über einige europäische Partner, die sich in Sarkasmus die Bahn bricht? Ziel seines Spotts war vor allem der immer autoritärer auftretende Victor Orban.

„Hallo Diktator!“

Als sich der ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban zum Handschlag näherte, raunte Juncker auf Englisch die Worte „Der Diktator kommt“ in das Foyer der lettischen Nationalbibliothek. Ziemlich verdutzt beobachtete Lettlands Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma das kleine Geplänkel. Doch Juncker setzte nach und wiederholte das Wort „Diktator“ noch einmal – beim Handschlag. Danach bekam Orban dann noch eine freundschaftliche Ohrfeige des EU-Chefs und stand vor den Augen der Welt da wie ein kleiner, abgewatschter Schuljunge.

Es war alles ganz anders

Aber natürlich war alles ganz anders, das zumindest wird aus den Kreisen des ungarischen Regierungschefs verkündet. Orban antwortete nach Angaben seines Sprechers: „Hallo Großherzog“ – eine Anspielung auf Junckers Heimat Luxemburg, eines der kleinsten Länder der Welt. Orbans Sprecher Bertalan Havasi sagte, beiden Männern habe das Wortgeplänkel gefallen. „Orban begrüßt Juncker in der Regel so. Das ist schon seit Jahren so.“

Diese ironische Art Junckers ist wohl der richtige Weg mit Politikern wie Orban umzugehen, die versuchen, zu Hause jede Kritik im Keim zu ersticken.

Orbans politischer Irrlauf 

Orbán hat die EU in den vergangenen Jahren mehrfach provoziert. Er sorgte zuletzt bei einer Debatte im Europaparlament für Wirbel, als er ein Quotensystem für die Verteilung von Flüchtlingen als „Wahnsinn“ kritisierte. Er beharrte zugleich darauf, in Ungarn eine Debatte über die Wiedereinführung der Todes führen zu dürfen. Dies brachte ihm harsche Kritik aus allen Fraktionen ein.

Nicht der erste verbale Angriff

Der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit hatte Orbán einst im EU-Parlament vorgeworfen, er sei auf dem besten Weg, ein „europäischer Hugo Chavez“ zu werden.

Der republikanische US-Senator John McCain hatte Orban im vergangenen Dezember als „neofaschistischen Diktator“ bezeichnet, „der sich mit (dem russischen Präsidenten) Wladimir Putin ins Bett legt“. Diese verbale Attacke fand Orban allerdings weniger nett. Er ließ das ungarische Außenministerium den obersten diplomatischen US-Vertreter im Land einbestellen.

Hier der Link zum Video auf Facebook mit dem Auftritt von Juncker und Orban