Wieder Randale gegen Flüchtlingsheim

Die Übergriffe auf geplante Flüchtlingsheime nehmen kein Ende. Vor allem in Ostdeutschland sind die Gebäude immer wieder Ziel von Randalierern.

15.09.26-niderau Dsa Stadtwappen von Niederau

Vor einer noch leeren Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Niederau bei Meißen hat es in der Nacht zum Samstag Randale gegeben. Laut Polizei versuchten rund 20 teils betrunkene Demonstranten, den Bauzaun um den früheren Supermarkt umzustoßen. Dies sei aber nicht gelungen. Schon seit dem Abend hatten sich etwa 200 Gegner des Heims, darunter auch offenkundig Rechtsradikale, eingefunden. Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks, die in der Halle Feldbetten aufbauten, wurden beschimpft und angegriffen, eine Zufahrt zu dem Gelände zwischenzeitlich mit Autos blockiert. In dem ehemaligen Supermarkt sollen rund 500 Flüchtlinge unterkommen. Die ersten 200 wurden noch am Wochenende erwartet.

Wie die zuständige Polizeidirektion Dresden weiter mitteilte, war um den früheren Supermarkt bereits am Freitagnachmittag ein so genannter Kontrollbereich eingerichtet worden. Damit darf die Polizei dort anlasslos Personen kontrollieren und durchsuchen. Solche Kontrollbereiche hatte es bereits nach fremdenfeindlichen Krawallen in Heidenau und zuletzt in Bischofswerda gegeben.

Der Bürgermeister von Niederau, Steffen Sang (parteilos), hatte bereits vor Tagen Befürchtungen geäußert, dass es in dem 1800-Einwohner-Ort zu rechten Krawallen wie Ende August in Heidenau kommen könnte. Niederau sei eingekesselt von fremdenfeindlichen Gruppen wie etwa dem Meißener «Heimatschutz».

Hier der Link zu einer Erklärung des Bürgermeisters

Europas Schande

Ungarn schickt Hunderte Flüchtlinge im Zug in Richtung Westen. Die europäische Flüchtlingspolitik versinkt im Chaos. Immer mehr Staaten verschließen ihre Grenzen, doch diese Herausforderung kann nur von ganz Europa gelöst werden.

Ein Kommentar: 

IMG_6713  Flüchtlingslager in Calais. Dort warten rund 3000 Menschen auf die Weiterreise nach Großbritannien.

Es dominiert der staatliche Egoismus

In Europas Flüchtlingspolitik herrscht blankes Chaos. Jede Regierung macht, was sie will – oder was sie glaubt, angesichts des Zustroms von hilfesuchenden Menschen machen zu müssen. Dabei dominiert bei fast allen Aktionen der staatliche Egoismus. Frei nach dem Motto: das Problem meines Nachb arn ist nicht mein Problem. Ungarn liefert für diesen desolaten Zustand europäischer Politik im Moment das beste Beispiel. Auf der einen Seite wird in aller Eile ein Grenzzaun hochgezogen, um die Menschen mit demonstrativer Härte am Betreten des Landes zu hindern. Auf der anderen Seite kapitulieren die Behörden in Budapest angesichts der schieren Menge an Asylsuchenden und setzten sie einfach in Züge in Richtung Westen. Ungarn bricht nicht nur ziemlich alle Regeln europäischer Grenzpolitik sondern missachtet auch die Gebote der Menschlichkeit. Das ist eine Schande, doch wer will Budapest einen Vorwurf machen?

Festung Großbritannien

Frankreichs Außenminister Laurent Fabius hat Ungarn wegen des Grenzzauns hart kritisiert – lässt aber unerwähnt, dass in Calais zur gleichen Zeit ebenfalls mit Stacheldraht bewehrte Zäune aufgebaut worden sind. Dort patrouillieren martialisch ausgerüstete französische Polizisten Nacht für Nacht im gleißenden Scheinwerferlicht, um Flüchtlinge daran zu hindern durch den Kanaltunnel nach Großbritannien zu gelangen. Ganz zu schweigen von den unwürdigen Umständen, unter denen die Menschen am Stadtrand von Calais auf ihre Chance zur Weiterreise warten. Deutsche Politiker halten sich angesichts der fremdenfeindlichen Randale im eigenen Land zu Recht mit allzu harscher Kritik an der Behandlung der Flüchtlinge in anderen Staaten zurück.

Die Augen fest verschlossen

Die Mehrheit der Länder in Europa hat die Augen gegenüber einer Entwicklung verschlossen, die sich schon vor Jahren angedeutet hat. Die tausende Toten an den Küsten von Italien oder Spanien waren aus Sicht  der Länder im Norden des Kontinents vor allem ein Problem der Verantwortlichen in Rom und Madrid. Viele Regierungen in der EU sperren sich heute noch mit einer Das-Boot-ist-voll-Mentalität gegen eine einheitliche Flüchtlingspolitik. Länder, die in den vergangenen Jahrzehnten nach dem Fall der Mauer beim Aufbau überdurchschnittlich von der EU profitiert haben müssen endlich erkennen, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist.

Eine Aufgabe für Europa

Die menschenwürdige Aufnahme der Flüchtlinge ist nicht das Problem einzelner Staaten, es ist eine unglaubliche Herausforderung für ganz Europa. Angesichts des Lamentos aus manchen Hauptstädten lohnt es sich, eine Tatsache immer wieder ins Gedächtnis zu rufen: Leidtragende in dieser Situation sind nicht die reichen europäischen Staaten, Leidtragende sind die Flüchtlinge, die ihre Heimat verloren haben.

Heidenau ist überall – auch im Westen

„Bei uns gibt es so etwas nicht!“ Mit diesem Worten kommentierte in diesen Tagen ein älterer Mann aus Stuttgart während eines idyllischen Waldspazierganges die fremdenfeindlichen Krawalle in Heidenau. Hat er Recht? Gibt es so etwas bei uns wirklich nicht? Sind wir die Besser-Wessis?

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Anschläge auch im Westen

Ein Blick auf die Liste der Aufmärsche und Anschläge beweist das Gegenteil. Auch im reichen Bayern und im ebenso wohlhabenden Baden-Württemberg kam es zu Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte. Die Regierungschefs von Brandenburg (Dietmar Woidke), Thüringen (Bodo Ramelow) und Sachsen (Stanislaw Tillich) haben Recht, wenn sie davor warnen, Fremdenhass als vornehmlich ostdeutsches Problem einzustufen. „Wir reden von einem gesamtdeutschen Problem, das wir gesamtdeutsch bekämpfen müssen“, forderte Ramelow in der „Welt am Sonntag“.

Zu einfach gemacht

Wie so oft in den vergangenen Jahren machen es sich viele Menschen im Westen zu einfach und zeigen mit dem Finger in Richtung Osten. Offensichtlich ist aber, dass dort die Konflikte schneller ausbrechen, die auch im Westen der Republik unter der Oberfläche gären.

Mit der Haltung „Bei uns gibt es so etwas nicht!“ verschließt man aber die Augen vor dieser Entwicklung. Was es braucht ist ein gesamtdeutsches Bündnis von Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik – ein Bündnis, das weit über bloße Verbalbekundungen hinausgeht.

Großes Integrationskonzept

Politik und Verbände müssen neue, groß angelegte Integrationskonzepte entwickeln. Unterstützt von Staat und Politik müssen sich die Bürger ermutigt fühlen, sich für die Flüchtlinge einzusetzen.

Das muss zügig und mutig angegangen werden, denn das „Problem Flüchtlinge“ wird sich nicht von alleine lösen. Die Menschen sind hier und die meisten werden hier bleiben. Und auch die Probleme in den Herkunftsländern werden weiter anhalten.

Bessere Rechtsverfahren

Ein Anfang wäre, dass den Flüchtlingen anständige Rechtsverfahren geboten werden. Was spricht dagegen, Menschen aus Syrien, die angesichts des Krieges in ihrer Heimat sowieso nicht abgeschoben werden können, aus dem Asylverfahren herauszunehmen? Sie müssen so schnell wie möglich eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie ihren Asylantrag zunehmen. Dieser Schritt würde ihnen auch den Weg zu geregelten Arbeitsplätzen ermöglichen.

Am einfachsten wird die Integration den Kindern der Flüchtlinge gelingen. Sie müssen so schnell wie möglich zur Schule gehen. Dort lernen sie nicht nur die Sprache, sondern können auch auf ihr Leben in der neuen Heimat Deutschland vorbereitet werden.

Die Aufnahme der Flüchtlinge ist eine gewaltige Herausforderung, sie kann nur von der gesamten Gesellschaft gemeistert werden. Eines aber ist klar: diese Menschen zu integrieren ist kein Gutmenschentum, das gebietet uns die Vernunft.

Heidenau – Testfall für die Demokratie

Es ist das Ende eines unwürdigen Tauziehens: das Bundesverfassungsgericht hat das Demonstrationsverbot in Heidenau endgültig gekippt. Damit dürfen angemeldete Versammlungen stattfinden.

Ein Kommentar:

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Die Vorgeschichte: Am Freitag hatte zunächst der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ein Versammlungsverbot verhängt, das vom Verwaltungsgericht Dresden in einer Eilentscheidung aufgehoben worden war. Am Freitagsabend entschied dann das Oberverwaltungsgericht in Bautzen, dass das Versammlungsverbot teilweise bestehen bleibt. Nur das Willkommensfest des Bündnisses „Dresden Nazifrei“ für Flüchtlinge durfte am Freitag stattfinden. Geplante neue Aufmärsche von rechten Gruppen am Wochenende blieben demnach verboten. Die Richter entschieden, dass der „polizeiliche Notstand“, mit dem der Landkreis das Verbot begründet hatte, nicht hinreichend belegt worden sei.

Der zentrale Punkt der Begründung: Aufgrund der Geschehnisse der jüngeren Zeit und der aktuellen Medienberichterstattung kommt der Stadt Heidenau für das derzeit politisch intensiv diskutierte Thema des Umgangs mit Flüchtlingen in Deutschland und Europa besondere Bedeutung zu. Das für viele Bürgerinnen und Bürger von Erwerbstätigkeit freie Wochenende ist oftmals die einzige Möglichkeit, sich am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung durch ein „Sich-Versammeln“ zu beteiligen und im Wortsinne „Stellung zu beziehen. Hier der Link zur Urteilsbegründung

Politischer Schaden

Die Richter haben am Ende also sehr deutlich entschieden. Aber die Demokratie und auch die Rechtssprechung haben in den vergangenen Stunden angesichts des Durcheinanders um das Versammlungsverbot schweren Schaden genommen. Die Verantwortlichen in Heidenau müssen sich fragen lassen, ob sie wirklich durchdacht haben, welches politische und gesellschaftliche Signal ein von ihnen ausgesprochenes Versammlungsverbot darstellt – ausgerechnet, wenn demokratische Bürger dem rechten Mob mit einem Willkommensfest entgegentreten wollen. Das konnte nur als Kniefall vor den Krawallmachern gewertet werden.

Ein hohes Gut

Die Juristen am Oberverwaltungsgericht in Bautzen scheinen das irgendwie geahnt zu haben, als sie das Verbot wieder teilweise aufhoben – aber wieso nur teilweise? Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtssprechung der vergangenen Jahre immer wieder klar gemacht, dass das Recht auf Versammlung ein sehr hohes Gut ist. Genau das haben die Richter in Karlsruhe nun wieder klar gemacht. Es ist liegt jetzt an den demokratischen Bürgern und Politikern dem braunen Mob zu zeigen, dass er nicht willkommen ist.

Wehrhafte Demokratie

Die Verantwortlichen in Sachsen müssen sich nun eine Frage stellen: Weshalb haben sie die rechten Umtriebe so lange toleriert? So lange, bis deren Gedankengut offenbar bis in die immer wieder zitierte Mitte der Gesellschaft durchsickern konnte. Den rechten Ideen ist jedenfalls nicht mit Verboten beizukommen. Gefordert ist ein überzeugendes und wehrhaftes Auftreten aller Demokraten.

Die Demokratie muss sich wehren!

Ein Kommentar zu den Vorgängen in Heidenau:

Ist in diesem Land schon einmal ein Fußballspiel abgesagt worden, weil es zu wenige Polizisten gab, um die Fans vor Ausschreitungen durch Hooligans zu schützen? Nein! Was in dieser Republik jedes Wochenende im Sport funktioniert, muss nun auch in Heidenau möglich sein. Dort hat das Landratsamt eine Willkommensfeier und alle weiteren öffentlichen Veranstaltungen bis Montag untersagt. Der Grund: es gebe nicht genügend Polizisten, um das Fest zu schützen.

Das ist eine absurde Ausrede! Es ist auch ein Kniefall vor dem rechten Mob, der seit Tagen die Stadt terrorisiert und vor dem Flüchtlingsheim randaliert. Diese „Patrioten“ haben es geschafft, dass das kleine ostsächsische Städtchen auf die internationale Landkarte gekommen ist und Deutschland sein hässliches Gesicht zeigt. Diese „Patrioten“ haben die demokratisch gewählte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch des Flüchtlingslagers aufs Übelste beschimpft und ihr Eier hinterher geworfen. Die „normalen Bürger“ von Heidenau – die noch immer in der überwältigenden Überzahl sind – wollen angesichts dieser unhaltbaren Vorgänge mit dem Fest beweisen, dass es auch ein anderes, ein freundliches und offenes Heidenau gibt.

In Heidenau ist längst ein Kräftemessen zwischen Demokraten und Anti-Demokraten im Gange. Der Staat muss die zuletzt immer wieder angekündigte Härte zeigen und den rechten Pöbel in die Schranken weisen. Das kann nicht daran scheitern, dass eben dieser Staat nicht in der Lage sein soll, dem Mob genügend Polizisten entgegenzustellen.

Kleiner Nachtrag:

Und was meint die CDU in Sachsen dazu? Das verdeutlicht dieser Eintrag auf Twitter:

“+++ In den kommenden zwei Wochen wird es wegen meines Jahresurlaubs hier auf #Twitter etwas ruhiger werden. +++“
Zweiter Nachtrag: 
Das vom Landratsamt Pirna erlassene Versammlungsverbot für das Wochenende in Heidenau ist „offensichtlich rechtswidrig“. Das teilte das Verwaltungsgericht Dresden nach einer Eilentscheidung am Freitagmittag mit (Az. 6 L 815/15).

Kräftemessen mit dem rechten Mob

In Heidenau kommt es zum Kräftemessen zwischen der Demokratie und dem rechten Mob. Eigentlich sollte in der sächsischen Stadt an diesem Wochenende ein Zeichen gegen Rassismus gesetzt werden. Für Freitagnachmittag war ein Willkommensfest für Flüchtlinge geplant. Doch auch Rechte meldeten eine Demonstration an – gegen die Flüchtlingsunterkunft. Die Polizei verfügte daraufhin ein Versammlungsverbot. Begründet wurde das mit einem polizeilichen Notstand.

 Das Bild zeigt Cem Özdemir im Nordirak während seines Besuchs bei einer Flüchtlingsfamilie.

Özdemir ignoriert das Verbot

Davon will sich der Grünen-Chef Cem Özdemir nicht abhalten lassen. Er wolle das Versammlungsverbot ignorieren und in Heidenau auf die Straße gehen, sagte er im ARD-„Morgenmagazin“. „Ich kann nicht akzeptieren, dass es rechtsfreie Räume in der Bundesrepublik Deutschland geben kann: da, wo der Freistaat Sachsen zurückweicht vor dem Druck der Rechtsradikalen“, sagte Özdemir. Die politischen Gegner Özdemirs werden ihm nun vorwerfen, dass er sich auf Kosten der Flüchtlinge profilieren möchte. Doch dieser Vorwurf geht daneben. Özdemir sorgt sich schon lange um das Schicksal der Menschen, die ihre Heimat verlassen musste. So reiste er durch den Nordirak, um dort die Flüchtlingslager zu besuchen und setzte sich in seiner Partei gegen großen Widerstand dafür ein, die Kurden im Kampf gegen den Islamischen Staat zu bewaffnen.

Nicht genug Polizisten?

Das Versammlungsverbot in Heidenau gilt von Freitagmittag bis Montagmorgen. „Es ist doch nicht akzeptabel, dass die sächsische Staatsregierung sagt: ‚Wir haben nicht genug Polizisten’“, sagte Özdemir. Andere Bundesländer würden sicher helfen. Es gehe nicht, dass man vier Tage lang die Demokratie außer Kraft setze. „Ich fahre dahin“, sagte der Bundestagsabgeordnete. Er forderte andere auf mitzukommen. „Wir werden zeigen: Dieser Rechtsstaat ist nicht wehrlos.“

Kleine Anmerkung: Die Polizei arbeitet beim Kampf gegen den Rechten Mob in Heidenau sicherlich am Rande der Belastung. Aber kann es sein, dass jedes Wochenende Tausende Polizisten zum Schutz bei Bundesligaspielen abgestellt werden und der Schutz der Demokratie weniger wiegt?

Nachtrag:

Das vom Landratsamt Pirna erlassene Versammlungsverbot für das Wochenende in Heidenau ist „offensichtlich rechtswidrig“. Das teilte das Verwaltungsgericht Dresden nach einer Eilentscheidung am Freitagmittag mit (Az. 6 L 815/15).