Das Ende der modernen Türkei

Der Proteststurm ließ nicht lange auf sich warten. Auf Twitter reagierten viele Türken mit Entsetzen auf die Forderung von Parlamentspräsident Ismail Kahraman, der eine islamische Verfassung für die Türkei fordert.

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Kahraman fordert eine islamische Verfassung

„Die Türkei braucht eine religiöse Verfassung“

„Wir sind ein muslimisches Land. Als Konsequenz müssen wir eine religiöse Verfassung haben“, sagte das Mitglied der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Anadolu am Montag bei einer Konferenz in Istanbul. Also fordert er das Ende der Trennung zwischen Staat und Religion – und damit eine Verfassungsänderung, die das Staatsverständnis der Türkei in seinem Fundament erschüttern würde.

Es wäre der Bruch mit dem Erbe des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk. Der hat die Türkei nicht nur wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch modernisiert, er hat das Land auch zu einer säkularen Republik gemacht. Doch Kahraman will offensichtlich die Uhren zurückdrehen und verlangt: „Der Begriff des Säkularismus sollte nicht in der neuen Verfassung sein.“ Noch heißt es dort in der Präambel: „Heilige religiöse Gefühle dürfen absolut keine Rolle in staatlichen Angelegenheiten und der Politik spielen, wie es das Prinzip des Säkularismus vorsieht.“

Diese Aussage wurde von vielen laizistischen Türken mit großem Entsetzen vernommen. Sie stemmen sich gegen den verstärkten Einfluss der Religion im alltäglichen Leben und auch in der Politik. Auch der Vorsitzende der Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, konnte seinen Zorn kaum bremsen.

 

 

Der vom Staatsgründer der modernen Türkei Mustafa Kemal Atatürk eingeführte Säkularismus sei wichtig, damit jeder frei seine Religion ausüben könne, teilte Kilicdaroglu weiter über Twitter weiter mit.

Schnell formierte sich der Widerstand gegen Ismail Kahraman. Im Internet wurde sogar eine Petition ins Leben gerufen, in der die Entlassung des Parlamentspräsidenten gefordert wird.

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Hier geht es zu Petition gegen den Parlamentspräsidenten

Auch Erdogan will eine neue Verfassung

Seit Jahren steht der Vorwurf im Raum, dass Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan die Türkei islamisieren wolle. Auf sein Betreiben bemüht sich die islamisch-konservative AKP seit Jahren um eine neue Verfassung, mit der auch ein Präsidialsystem eingeführt werden soll. Für ein Referendum über eine neue Verfassung benötigt die Partei eine 60-Prozent-Mehrheit von 330 der 550 Abgeordneten im Parlament in Ankara. Dafür fehlen der AKP 13 Stimmen. Befürchtet wird nun nach den Worten von Kahraman, dass bei einer Verfassungsänderung dann in einem Aufwasch auch die Trennung von Staat und Religion beendet werden könnte. Die Türkei wäre danach nicht mehr wieder zu erkennen.

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Nachtrag:

Erdogan geht auf Distanz

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hat sich von der Forderung von Parlamentspräsident Ismail Kahraman nach einer islamischen Verfassung distanziert. Kahraman habe nur seine „persönliche Meinung“ geäußert, sagte Erdogan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Dienstagabend bei einem Besuch in Zagreb. Der türkische Staat halte die gleiche Distanz zu allen Religionen. „Das ist Säkularismus.“
Auch die islamisch-konservative Regierungspartei AKP grenzte sich von der Forderung ihres Mitglieds Kahraman ab. Das Prinzip des Säkularismus solle nach den Vorstellungen der AKP auch Eingang in die neue Verfassung finden, sagte Parteisprecher Ömer Celik laut Anadolu. Die AKP sei aber für einen „libertären Säkularismus“, nicht für eine „militante“ Trennung von Staat und Religion.