In Polen fällt die Pressefreiheit

Das ist der Beweis: in Polen steht die Pressefreiheit vor dem Aus. Der polnische private Nachrichtensender TVN24 hat über Proteste der Opposition berichtet. Nun soll er 350.000 Euro Strafe zahlen – wegen „unrechtmäßiger“ Berichterstattung.

.

17.12.12-polen

.

Aufruf zur „Teilnahme an illegalen Protesten“?

Verhängt wurde die Strafe in Höhe von 1,5 Millionen Złoty (350.000 Euro)  von der polnischen Medienaufsicht KRRiT. Zur Begründung heißt es von einer Sprecherin, der Sender habe es versäumt, die Zuschauer darüber zu informieren, dass die Proteste „unrechtmäßig“ gewesen seien. Zudem habe er die Zuschauer zur „Teilnahme an illegalen Protesten“ aufgerufen. Der Sender befindet sich in US-Besitz und ist einer der beiden größten Nachrichtensender Polens.

Der national-konservativen Regierung sind die seit Dezember anhaltenden  Demonstrationen ein Dorn im Auge. Auf die Straße gehen die Menschen unter anderem weil die Regierungspartei PiS den Zugang von Journalisten zum Plenarsaal erschweren wollte. Nach Massenprotesten lenkte die Regierung aber ein und setzte das Vorhaben aus. Doch die Berichterstattung des Senders über diese Proteste rief die Medienaufsicht auf den Plan.

.

.

„Mehrere Beschwerden“ gegen den Sender

Die Sprecherin der Medienaufsichtsbehörde KRRiT, Teresa Brykczyńska, sagte, es habe „mehrere Beschwerden“ gegen die Berichterstattung des Senders gegeben. Dieser habe „ein Klima der Spannung“ erzeugt und das Gebot der Meinungspluralität missachtet.

Der Sender kündigte Berufung gegen die Entscheidung an. Die Anschuldigungen der Behörde würden auf Angaben beruhen, denen es an „Objektivität und Genauigkeit“ mangele, erklärte TNV24.

.

.

Inzwischen hat sich sogar die US-Regierung voller Sorge zu Wort gemeldet. In einer Erklärung heißt es:

.

„The United States is concerned by Poland’s decision to fine the private TV broadcaster TVN for alleged biased reporting of demonstrations outside Parliament last December. This decision appears to undermine media freedom in Poland, a close ally and fellow democracy. Free and independent media are essential to a strong democracy. As Secretary Tillerson has said, “Societies built on good governance, strong civil society, and an open and free media are more prosperous, stable, and secure. We remain confident in the strength and ability of Poland’s democracy to ensure Poland’s democratic institutions are fully functioning and respected.“

Bad News aus Polen

Was ist nur in Polen los? Zwei Meldungen machen in diesen Tagen  die Runde – und beides sind keine guten Nachrichten für Europa.

.

17.12.10-polen

.

Mateusz Morawiecki löste Beata Szydlo ab

Die erste Neuigkeit: das Land hat einen neuen Ministerpräsidenten. Mateusz Morawiecki löste Beata Szydlo ab. Die ist im Volk zwar beliebt und hat im Bereich soziales einiges angestoßen. Sie initialisierte ein Sozialprogramm namens „Familie 500+“, das jeder Familie ab dem zweiten Kind 500 Zloty, umgerechnet rund 120 Euro, pro Monat auszahlt. Doch das war dem PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski offensichtlich nicht mehr genug. Er will nun Reformen in anderen Bereichen.

.

.

Morawiecki ist Kaczynski treu ergeben

Dass auch Mateusz Morawiecki dem Strippenzieher treu ergeben ist, machte er schon in seiner ersten Aussage deutlich. Er will in der Flüchtlingsfrage weiter auf Konfrontationskurs mit der Europäischen Union bleiben. Wenige Stunden nach seiner Ernennung durch Staatspräsident Andrzej Duda sagte Morawiecki in einem Interview des regierungsfreundlichen Fernsehsenders „TV Trwam“: „Die Polen sind ein stolzes, wichtiges, großes Volk. Wir lassen nicht zu, dass man uns erpresst.“ Zuvor war er vom Moderator gefragt worden, was er von Drohungen vonseiten der EU halte, Polen die Mittel zu kürzen, falls das Land keine Flüchtlinge aufnehme. Der Politiker gilt als möglicher Nachfolger von Kaczynski.

.

.

Steile Karriere von Morawiecki

Morawiecki stand bereits als Superminister für ein finanziell unabhängigeres Polen, strebt innovativere Eigenproduktionen und mehr nationale Ersparnisse an. Er unterstützt Start-Ups, möchte die Infrastruktur Polens ausbauen. Dabei wirbt der 49-Jährige insbesondere für einen neuen Flughafen, der Polen zu einem zentral-europäischen Umschlagplatz verhelfen soll.

Sejm verabschiedet umstrittene Gesetze

Auch die zweite Nachricht muss der EU zu denken geben. Das Unterhaus des polnischen Parlaments, der Sejm, hat zwei umstrittene Gesetze verabschiedet. Das erste gibt dem Parlament die Vollmacht, die Besetzung des Obersten Gerichtshofs zu beeinflussen. Das zweite ermächtigt die Abgeordneten unter anderem, die meisten Mitglieder des Landesjustizrats zu bestimmen. Dieses Gremium schlägt in Polen wiederum die Richter vor.
.

.

Strittig an den Gesetzen ist etwa die Herabsetzung des Rentenalters für die Richter am Obersten Gericht von 70 auf 65. Iustitia, dem größten Richterbund Polens, zufolge, erlaube es der PiS, zahlreiche Richter gegen eigene Kandidaten auszutauschen. Außerdem kritisierte die Opposition die Einrichtung einer Disziplinarkammer für Richter an dem Gericht. Diese könne dazu missbraucht werden, unliebsame Richter einzuschüchtern.

Polen! Macht es wie die Karnickel!

In Polen werden zu wenige Kinder geboren. Die konservative polnische Regierung setzt auf kuriose Methoden, um die niedrige Geburtenrate im Land zu bekämpfen.

.

.

Interessanter TV-Werbespot

In diesen Tagen sorgt in Polen ein TV-Werbespot für hitzige Diskussionen. Zu sehen ist eine stattliche Menge großer und kleiner Kaninchen, die genüsslich auf Salat und Karotten herumkauen. Ein Leben wie im Paradies.

Der Kommentar dazu: „Wir Kaninchen wissen, wie man zahlreiche Nachkommen produziert. Willst du unser Geheimnis wissen?”, heißt es in dem Video. Und das ist: Bewegung, gesunde Ernährung, wenig Stress….. Der Rat aus Warschau also: Macht es wie die Kaninchen!

Romantik darf nicht fehlen

Etwas Romantik sollte freilich auch dabei, so der Subtext. Zwischen all den Kaninchen wird auch kurz ein verliebtes Pärchen beim Picknick gezeigt. Alkohol sollte man freilich nicht zu viel trinken – oder was wollen die Macher des Spots mit dem umgedrehten Weinglas andeuten?

Polen zählt zu den Ländern mit der geringsten Geburtenrate in Europa: Eine polnische Frau bekommt durchschnittlich gerade einmal 1,32 Kinder.

 

Kaczynskis Feldzug

Kaum zu glauben, was in Polen passiert. Die Regierung demontiert die Demokratie, die Mehrheit des Volkes sieht zu. Allerdings gehen auch Zehntausende auf die Straße, um sich gegen die Justizreform zu wehren.

.

15.11.26-Kaczynski

Kaczynski hat eine Mission, die er nun rücksichtslos umsetzt.

.

Ein umstrittenes Gesetz

Das von der rechtskonservativen PiS kontrollierte Unterhaus hatte ein Gesetz gebilligt, das der Regierung die Kontrolle über das Oberste Gericht überträgt. 235 Abgeordnete stimmten dafür, 192 dagegen, 23 enthielten sich.

Zehntausende Polen versammelten sich nun vor dem Warschauer Präsidentenpalast und forderten, dass der polnische Präsident Andrzej Duda sein Veto gegen die Reform einlegt. Sie sehen die Unabhängigkeit der polnischen Justiz bedroht und forderten unter anderem ein „freies europäisches Polen“. Auch in Krakau und Posen gab es Proteste, zu denen Bürgerinitiativen und Oppositionsparteien aufgerufen hatten. „Es ist ein schwarzer Tag in der Geschichte Polens“, sagte Grzegorz Schetyna, Vorsitzender der Oppositionspartei PO.

.

.

Die Reaktion der EU

Die Europäische Union hatte bereits vor der Abstimmung im Parlament mit Sanktionen gedroht. „Wir schließen mittlerweile auch nicht mehr ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags aus“, sagte Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission. Damit wäre die EU befugt, Polen die Stimmrechte als EU-Mitglied zu entziehen. Laut der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gebe ihre Justizreform den Bürgern die Kontrolle über die Gerichte zurück und sorge für eine bessere Rechtsprechung.

Kaczynskis verbaler Ausfall

Während der Debatte um das Gesetz spielte sich eine vielsagende Szene ab. Der Chef der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jarosław Kaczyński, stürmte in der nächtlichen Sitzung ans Rednerpult und nannte Oppositionspolitiker „Kanaillen“ und „Verräter“. Es gab Tumulte. Mit seinem Auftritt reagierte Kaczyński auf Vorwürfe, er untergrabe die Gewaltenteilung und handele daher gegen den Willen seines verstorbenen Bruders, dem Ex-Präsidenten Lech Kaczyński. „Nehmt den Namen meines verstorbenen Bruders nicht in eure verräterischen Mäuler, ihr habt ihn zerstört und ermordet“, sagte Kaczyński. In Polen gibt es Gerüchte, der Flugzeugabsturz des Staatsoberhaupts 2010 bei Smolensk sei ein Anschlag gewesen. Das wurde aber nie bewiesen.
.

.

Der Feldzug des PiS-Chefs

Es wird deutlich, dass Kaczynski eine Art Feldzug führt – ein Feldzug, den er nach seiner ersten Wahl zum Premier offensichtlich nicht mit der nötigen Härte und Konsequenz führte. Das will er nun offensichtlich nachholen – offensichtlich hat er gelernt. Doch warum folgen ihm so viele Polen? Es gelingt Kaczynski ein Wir-Gefühl hervorzurufen. Es geht gegen die Feinde Polens, die überall zu finden sind – vor allem in Deutschland und natürlich bei der Europäischen Union. Das führte zuletzt zu der skurrilen Situation, dass Polen das einzige Land war, das gegen die Ernennung des Polen Donald Tusk zum EU-Ratsvorsitzenden war.

Die Schwäche der Opposition in Polen

Die Aufregung war groß. Hunderte Regierungskritiker versperrten vor Weihnachten die Ausgänge des Parlaments, Politiker saßen stundenlang fest. Abgeordnete der Opposition besetzen seit Wochen das Rednerpult. Als Auslöser der Proteste galten PiS-Pläne, Journalisten den Zugang zum polnischen Parlament zu beschränken. Nun tagt der Sejm zum ersten Mal nach der Parlamentskrise – und es wird offensichtlich: der demokratische Widerstand hat das sehr symbolbeladene Ringen um die Macht verloren.

17-01-11-kod

Risse im Widerstand

Die nationalkonservative Regierungspartei PiS brauchte nur abzuwarten. Mit jedem Tag wurden die Risse in der Fraktion der Widerständler immer deutlicher. Sie konnten sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen und es zeigte sich, dass der größte Feind der Opposition die Opposition selbst ist. In dieser Situation konnten auch die Tweets aus dem Parlamentsgebäude unter dem Motto „Zjednoczona opozycja“ (Vereinte Opposition) nicht helfen. Immer wieder sorgten Negativschlagzeilen für neuen Streit. So wurde ein Kurztrip über Silvester des Protestanführers Ryszard Petru, Chef der liberalen Nowoczesna, von den Gegnern der Besetzung genüsslich ausgeschlachtet. Petru wurde in Portugal gesichtet.
.

.

Glaubwürdigkeit eingebüßt

An Glaubwürdigkeit büßte auch das oppositionelle „Komitee zum Schutz der Demokratie“ (KOD) ein, das Regierungskritiker vor dem Sejm versammelt hatte. Entgegen bisheriger Behauptungen habe KOD-Leiter Mateusz Kijowski von der Bürgerbewegung Geld kassiert, warfen Medien ihm vor. Rechnungen über rund 20 000 Euro an Kijowskis Computerfirma dienten ihnen als Beweis. Gegen den KOD-Leiter wurden Rücktrittsforderungen laut.
.

.

Fallende Umfragewerte

Hatten die Parlamentsbesetzer anfangs noch die Sympathie bei vielen Polen, beurteilen inzwischen viele die Aktion negativ. Das hat wohl auch damit zu tun, dass die PiS einer der zentralen Forderungen der Protestierenden nachgab: Medien dürfen wie bisher aus dem Sejm berichten.

Tagen im Nebensaal

Gestritten wird noch über die Haushaltsabstimmung im Sejm. Sie fand wegen des Protests in einem Nebensaal statt. Die Protestierenden halten das für nicht rechtens und fordern deswegen eine Wiederholung. Die PiS weigert sich, hat aber angekündigt, über einen Kompromiss verhandeln zu wollen – und hat dem Protest damit weiter Wind aus den Segeln genommen.

Schwäche der Opposition

Wieder einmal zeigt sich, dass die Stärke der nationalkonservativen Regierung in Polen vor allem die Schwäche der Opposition ist. Die agiert zu diffus, bisweilen unglaublich dilettantisch und uneinig. Klar ist, die Regierung wird das neue Jahr mit einer Versammlung beginnen. Sie hat für die erste Sitzung auf jeden Fall schon einmal den Nebensaal vorbereitet.

Nachtrag:

Die Abgeordneten der polnischen Opposition haben am Donnerstag (12.01.2017) die vor vier Wochen begonnene Besetzung des Plenarsaals im Warschauer Parlament vorerst beendet. Die Protestaktion gegen eine Einschränkung der Parlamentsberichterstattung und das Zustandekommen des Haushaltsgesetzes werde „ausgesetzt“, sagte der Parteivorsitzende der liberalen Bürgerplattform (PO), Grzegorz Schetyna. Mit der Rücknahme von Reformplänen zur Parlamentsberichterstattung ist nach Schetynas Einschätzung ein wesentliches Ziel erreicht worden.

Dennoch sei die Sache nicht ausgestanden, erklärt er.
.

 

Polen radikalisiert sich

Alle sind sich einig: solche Szenen hat es seit den Proteste im Jahr 1989 nicht mehr gegeben. In Polen protestieren tausende Menschen vor dem Verfassungsgericht in Warschau gegen die Verfassungsreform der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS). Die Ereignisse drohen zu eskalieren. Das Ergebnis: eine Blockade der Zufahrten zum Parlament durch Demonstranten und die „Besetzung“ des Plenarsaals durch oppositionelle Abgeordnete.

.

15.12.20-KOD-Schild

Demonstration in Polen gegen die Regierung

.

Auslöser: Streit ums Verfassunsgericht

Die Demonstranten unterstützen mit ihren Protesten den Präsidenten des Gerichts Andrzej Rzepliński, dessen Legislaturperiode endet. Rzepliński stellt sich offen gegen die Reform der Regierung. Nach der Meinung der Opposition wolle die Partei von Jarosław Kaczyński das Verfassungsgericht unter eigene Kontrolle stellen. Noch in dieser Woche soll die kürzlich ernannte Verfassungsrichterin Julia Przylebska zur neuen Präsidentin gewählt werden. Nach Dokumenten, die der liberalen „Gazeta Wyborcza“ vorliegen, wurde Przylebska in ihrer früheren Karriere als Richterin wegen angeblicher sachlicher Fehler und überdurchschnittlich hoher Fehlzeiten mehrfach kritisiert.

Angriff auf die Pressefreiheit

Nun ist die rechtsnationale Regierung bei ihrem Ausbau der eigenen Macht auf einem anderen Feld noch einen kleinen Schritt weiter gegangen: die Rechte der Medien im Sejm sollen eingeschränkt werden. Das allerdings ist ein direkter Angriff auf die Pressefreiheit – und damit auch auf die Demokratie. Die Medien haben die Aufgaben, Öffentlichkeit und Transparenz herzustellen, auf diese Weise kontrollieren sie die Machthabenden.

 Perfider Plan der Regierung

Das alles folgt einem perfiden Plan, den die PiS-Regierung vorantreibt. Die Exekutive blockiert seit Monaten das Verfassungsgericht und hat auf diese Weise die Judikative unter ihre Kontrolle gebracht. Mit der Kontrolle der Medien wäre auch die Legislative im Würgegriff der PiS. Das wollen die Demonstranten verhindern.

.

.

Auch im Sejm selbst wird der Widerstand gegen das scheinbar willkürliche Schalten und Walten der Machthaber immer heftiger. Als ein Abgeordneter gegen die Restriktionen gegenüber den Medien in einer Rede protestierte, eskalierte die Situation. Nach einem verbalen Schlagabtausch zog am Freitag die Fraktion der PiS aus dem Plenarsaal aus und kam in einem anderen Saal, dem Säulensaal, zusammen. Zunächst schien es, die Partei wolle eine Art Fraktionssitzung abhalten – doch plötzlich hieß es, es finde dort eine Plenarsitzung statt. Verabschiedet wurde der Staatshaushalt 2017 – nicht wie üblich elektronisch, sondern durch Handzeichen. Die Opposition und einige Juristen kritisieren bereits, dass nicht mehr nachzuprüfen sei, ob die Kammer überhaupt beschlussfähig war.
.

.

Radikalsierung der Proteste

Festzustellen ist inzwischen eine Radikalisierung der Proteste. Seit einem Jahr laufen die Demonstrationen friedlich ab und die Organisatoren versuchten, allzu große Provokationen zu vermeiden. Das außerparlamentarische „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“ (KOD) rief immer wieder zu Zurückhaltung auf. Doch die Unzufriedenheit unter den Demonstranten wird größer. Sie sehen, dass ihre Aktionen praktisch keine Wirkung haben, dass die PiS-Regierung unbeirrt ihren Weg der Machtkonzentration geht. Längst machen Parolen die Runde, das Volk müsse zum „zivilen Ungehorsam“ übergehen – wie Ende der 80er Jahre, als das kommunistische Regime gestürzt worden war.

Nachtrag:

Journalisten dürfen doch weiter aus dem Parlament berichten. Die polnische Regierung zieht die umstrittene Regelung zurück. Präsident Andrzej Duda sagte im Staatsfernsehen, dass die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) auf die umstrittenen Regelungen verzichte. Die Diskussion sei vom Tisch. Zuvor hatte Duda Krisengespräche mit den Chefs aller Parteien im Parlament geführt.

Duda forderte die Opposition zu einer „Geste des guten Willens“ auf. Jetzt, wo die Regierung auf ihr Reformvorhaben verzichtet habe, solle die Opposition ihre Proteste beenden. „Außerdem stehen die Weihnachtsferien bevor“, sagte Duda, und die Polen seien besorgt. Er wolle, dass das Problem gelöst sei.

.

Wer sich einen Eindruck der Demonstrationen verschaffen will: hier sind noch beeindruckende Aufnahmen des Fotografen Jacek Taran, der die Proteste als Fotojournalist von Beginn an verfolgt.

Polens Parlament lehnt Abtreibungsverbot ab

Polens Parlament hat mit großer Mehrheit eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes abgelehnt. 352 Abgeordnete stimmten in zweiter Lesung gegen das von einer Bürgerinitiative beantragte fast totale Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen, 58 dafür. 18 enthielten sich. Damit ist der Gesetzentwurf der Volksinitiative „Stoppt die Abtreibung“ endgültig vom Tisch.

16-10-06-schwazer-protest

Protestplakat gegen das Abtreibungsverbot

Besorgniserregenden Entwicklung in Europa

Der Versucht, das Abtreibungsrecht einzuschränken, ist Teil einer  besorgniserregenden Entwicklung in Europa. Es gibt natürlich nationale Unterschiede, zu beobachten aber ist, dass liberale Werte an Boden verlieren. Im Gegenzug steigt die Angst um die eigene Sicherheit, vor Terror und Einwanderung. Während die Politik in Westeuropa sich in eine EU-skeptische Richtung bewegt hat, ist der Richtungswechsel in Osteuropa von einem stärkeren Fokus auf traditionelle Familienwerte geprägt. Das sind Länder, die mit ihrer kommunistischen Vergangenheit besonders anfällig für antidemokratische Kräfte sind.

Zusammengefasst hat diese die ungarische Zeitung „Nepszabadsag“ in einem kurzen Kommentar zum Abtreibungsrecht in Polen:

„Auf dem Spiel steht das Selbstbestimmungsrecht der Frauen, ihr Recht, dass sie als erwachsene Menschen selbst über ihren Körper verfügen können. (…) Der national eingefärbte Pseudo-Konservativismus, mit dem (Ungarns Ministerpräsident Viktor) Orban und (Polens starker Mann Jaroslaw) Kaczynski auf dem Jahrmarkt der Irrmeinungen hausieren, hasst Freiheitsrechte dieser Art. Er hasst die Frauenrechte, verachtet die Minderheiten- und Menschenrechte. Die Bürgerrechtler und jene Kulturen, in denen das Individuum und die Minderheiten Respekt genießen, sind ihm Feinde.“

PiS hat die Initiative begrüßt

In Polen hatte die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die Volksinitiative anfangs begrüßt und deren Entwurf zur Beratung an den Rechtsausschuss des Sejm überwiesen. Bei der abschließenden Abstimmung stellte sich nun jedoch auch eine Mehrheit der PiS-Abgeordneten gegen den Gesetzentwurf. Er sah bei einem Schwangerschaftsabbruch für die betroffene Frau und den ausführenden Arzt eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren vor. Nur bei Gefahr für das Leben der Schwangeren sollten Abtreibungen nicht bestraft werden.

Kurswechsel der Regierung

Mit ihrem Kurswechsel reagierte die mit absoluter Mehrheit regierende PiS auf eine Protestwelle gegen ein Abtreibungsverbot. Fast 100.000 Menschen waren nach Polizeiangaben am Montag landesweit gegen die Gesetzesinitiative auf die Straße gegangen. Medienberichten zufolge drängte der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski daraufhin auf eine Ablehnung des fast totalen Abtreibungsverbots. Damit stellt sich Kaczynski auch gegen die katholische Kirche. Noch am Vorabend der Abstimmung hatten die Bischöfe zum Abschluss ihrer Vollversammlung in Warschau erneut für den Schutz von ungeborenen Kindern eingesetzt. Sie zitierten die Worte von Papst Johannes Paul II. (1978-2005): eine „vorsätzliche Abtreibung“ sei „Mord“.

Der Stand der Dinge

Wie bislang sind in Polen weiterhin Schwangerschaftsabbrüche in drei Ausnahmefällen erlaubt: wenn die Gesundheit der Frau gefährdet ist, wenn sie vergewaltigt wurde oder wenn eine irreversible schwere Schädigung des Fötus festgestellt wurde. Regierungsangaben zufolge wurden in Polen zuletzt rund 1.000 Abtreibungen pro Jahr registriert. In den meisten Fällen sei als Grund eine diagnostizierte schwere Behinderung oder eine schwere Krankheit des Fötus angegeben worden. Nach Schätzungen von Frauenrechtlerinnen treiben jedes Jahr rund 100.000 Polinnen illegal ab, viele von ihnen im Ausland.

Protest in Polen gegen die Regierung

Die Veranstalter in Warschau hatten mit rund 100.000 Menschen gerechnet. Doch dass so viele kommen würden, hat alle überrascht. Weit über 200.000 Polen haben nach Angaben der Stadt in der Hauptstadt gegen die Politik der national-konservativen Regierung protestiert.

16.05.07-polen-protest

Ein langer Weg

Der ehemalige Außenminister Grzegorz Schetyna, der auch Chef der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) ist, sprach von der größten Demonstration seit 1989. „Wir sind heute zusammen hier, um zu sagen, dass wir den Albtraum einer autoritären Regierung nicht zulassen“, betonte Schetyna. Er weiß aber auch, dass das keine einfache Aufgabe wird. „Wir stehen am Anfang eines langen Marsches“, sagte Schetyna.

Die Demonstranten versammelten sich vor dem Regierungssitz, viele trugen polnische oder EU-Flaggen und Transparente mit proeuropäischen Sprüchen. Ihr Motto: „Wir sind und bleiben in Europa.“

Verteidigung der Demokratie

Zu Beginn des Marsches, der bis zum Präsidentenpalast führen sollte, sang die Menge die Nationalhymne und rief: „Wir verteidigen Demokratie und Verfassung“. Unter den Teilnehmern war auch Ex-Präsident Bronislaw Komorowski: „Wir sind hier, weil wir für die Freiheit in Polen und die Demokratie kämpfen wollen“, sagte er.

 

Zu dem Protest hatte das oppositionelle Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) aufgerufen, das seit Monaten Massenproteste gegen die Regierung organisiert. Das Bündnis hatte sich Anfang Mai offiziell gegründet. Ihm gehören mit der neoliberalen Partei Nowoczesna und der Bauernpartei PSL auch zwei im Parlament vertretene Parteien an.

Auch in den USA haben Exil-Polen gegen die Selbstherrlichkeit der Regierung in Warschau demonstriert. 

.

.

PiS stellt sich gegen die EU

Die mit absoluter Mehrheit regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sorgte in den vergangenen Monaten mit umstrittenen Gesetzesreformen für Kontroversen zwischen Warschau und Brüssel. Die EU-Kommission eröffnete ein Prüfverfahren zur Rechtsstaatlichkeit in Polen. Zuvor schränkten neue Gesetze die Arbeit des Verfassungsgerichts ein. Ein neues Mediengesetz ermöglicht der Regierung die Besetzung von Führungsposten in öffentlich-rechtlichen Medien.

Zur gleichen Zeit kam es in Warschau zu einem Protest gegen die Annährung des Landes an die EU. Ihr Slogan: „Mut, Polen“. Dem Aufruf der nationalistischen und rechtskatholischen Gruppen waren 2500 Menschen gefolgt.

Hier noch ein Bericht über die aktuellen Proteste:

Atemlos in Polen – 100 Tage PiS-Regierung

100 Tage ist die polnische Regierung nun im Amt. In anderen Ländern brauchen die Politiker diese Zeit, um sich in ihrer neuen Funktion einzufinden – und genießen aus diesem Grund eine gewisse Schonfrist. Nicht so in Warschau.

 

Die Frontfrau und ihr Schattenmann: Jaroslaw Kaczynski und Beata Szydlo

Atemberaubendes Reformtempo

Die neuen Machthaber legen ein atemberaubendes Reformtempo vor. Dazu gehören nächtliche Debatten, Gesetze im Eilverfahren, die Gewaltenteilung und Medienlandschaft aus den Angeln zu heben drohen und ein mächtiger Schattenmann hinter den Kulissen. In nur drei Monaten, in denen die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die absolute Mehrheit im Parlament und die Rückendeckung von Präsident Andrzej Duda hat, hat sich Polen verändert.

Beata Szydlo, die neue Regierungschefin, hat aus ihren Ambitionen allerdings nie einen Hehl gemacht. Bereits im Wahlkampf betonte immer wieder, dass sie vor habe, das Land umzubauen – und brachte mit diesem Tatendrang gegenüber der verkrusteten alten Garde der Bürgerplattform frischen Wind in den Politikbetrieb. In der Fernsehdebatte zückte sie einen blauen Aktenordner mit vorbereiteten wichtigen Gesetzesinitiativen. „Sie müssen nur noch im Parlament eingebracht und verabschiedet werden“, versprach Szydlo. Doch was nach der Vereidigung von Szydlos Regierung Mitte November kam, überraschte selbst Experten. Kritiker sagen, sie habe zum Frontalangriff auf demokratische Einrichtungen geblasen.

Hyperaktivitäten der Regierung

Doch nicht nur die Hyperaktivitäten der Regierung lassen viele Polen aufhorchen. Vermutet wird, dass nicht die offiziellen Vertreter der PiS das Sagen haben, sondern dass ein ganz anderer das Ruder führt: PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski, der zwar kein Regierungsamt hat, dessen Einfluss aber allgegenwärtig ist. Inzwischen sind die wildesten Dinge über die graue Eminenz der polnischen Politik zu hören. Unter Berufung auf Parteikreise berichten polnische Medien, Kaczynski rufe Minister in die Parteizentrale, um Rechenschaft zu fordern – und ihnen Instruktionen zu erteilen.

Als erstes kam im Dezember die Reform des Verfassungsgerichts, die auch in Brüssel die Alarmglocken schrillen ließ. Es gab nicht nur Streit um Richter, die noch in der alten Legislaturperiode vor dem absehbaren Machtwechsel ernannt worden waren, sondern auch um zusätzliche Richter, die erst nach dem Machtwechsel ins Amt kamen und als Kandidaten der PiS gelten. Zudem müssen nun Urteile des Verfassungsgerichts, um bindend zu sein, mindestens eine Zweidrittelmehrheit haben – zuvor reichte dafür die einfache Mehrheit aus. Außerdem dürfen die Richter nicht entscheiden, welche Fälle besonders dringend sind, sondern sollen sie nach Eingang abarbeiten. Umstrittene Gesetze der Nationalkonservativen können danach womöglich erst in Jahren zur Verhandlung kommen. Das Gesetz über das ihr eigenes Tribunal allerdings wird die Verfassungsrichter bereits im März beschäftigen.

Journalisten bangen um ihre Zukunft

Umstritten ist auch eine Medienreform. Bis buchstäblich zum letzten Tag des Jahres 2015 peitschte die Regierung Szydlo den ersten Teil des Umbaus durch Parlament und Senat. Über die Besetzung der Spitzenposten in den öffentlich-rechtlichen Medien entscheidet nun die Regierung. Der neue Fernsehchef Jacek Kurski ist ein PiS-Politiker. Viele Journalisten bangen um ihre Zukunft, andere haben von sich aus gekündigt.

Auch die Zusammenlegung von Justizministerium und Generalstaatsanwaltschaft, ein Polizeigesetz mit neuen Vollmachten für Überwachung und Zugriff auf Telefon- und Internetdaten teilweise ohne Gerichtsbeschluss haben Fragen nach dem Stand der Rechtsstaatlichkeit in Polen aufgeworfen. Die EU-Kommission leitete ein Prüfverfahren gegen Polen ein, und Szydlo musste vor dem Europaparlament in Straßburg zu den umstrittenen Reformen Stellung nehmen.

15.12.20-KOD-Schild

Viele Polen wehren sich

Viele Polen wollen den Umbau ihres Staates aber nicht einfach hinnehmen. Immer wieder gehen Menschen auf die Straße, um gegen die Regierung zu protestieren. Sie befürchten, dass in ihrem Land bald „ungarische Zustände“ herrschen werden. Der ehemalige Staatschef Lech Walesa wirft der Regierung wegen ihrer Gesetzesänderungen im Justiz- und Medienbereich vor, „das Land zu ruinieren“. Organisiert werden die Proteste zu meist vom Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD), das sich unmittelbar nach der Parlamentswahl gebildet hat. „Mehrheit bedeutet nicht Diktatur“, sagte der Komitee-Gründer Mateusz Kijowski, den nach eigenen Aussagen die Angst um die Demokratie in Polen antreibt.

 

 

Polens Kampf für die Demokratie

Unter dem Motto „Zur Verteidigung Deiner Freiheit“ sind Zehntausende Polen gegen die Politik der nationalkonservativen Regierung auf die Straße gegangen. Das „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“ (KOD), das seit Wochen landesweite Proteste organisiert, hatte zu Kundgebungen in 36 Städten aufgerufen.

.

.

Die Demokratie bewahren

„Wir sind keine Revolutionäre“, betonte KOD-Gründer Mateusz Kijowski auf der Demonstration vor der Warschauer Regierungskanzlei. „Revolutionäre wollen zerstören, wir wollen die Demokratie und die Freiheit in Polen bewahren.“

Ein Vertreter der ungarischen Oppositionsbewegung forderte die Demonstranten zum Kampf gegen ein „zweites Budapest in Warschau“ auf. Sechs Jahre der nationalkonservativen Regierung von Viktor Orban hätten seinem Land Abbau der Demokratie, steigende Armut und Schrumpfung der Mittelklasse gebracht.

Nach einer Reform des Verfassungsgerichts, einem Mediengesetz, das der Regierung die Entscheidung über Führungspositionen in den öffentlichen Medien gibt und angesichts der geplanten Zusammenführung der Ämter des Justizministers und Generalstaatsanwalts fürchten Regierungsgegner eine Aushöhlung des Rechtsstaates und der Gewaltenteilung. Die Nationalkonservativen regieren seit Mitte November mit absoluter Mehrheit im Warschauer Parlament.

 

 

Gegen das neue Polizeigesetz

Während der Proteste am Samstag stand vor allem das neue Polizeigesetz im Mittelpunkt, das weitgehende Möglichkeiten der Datenerfassung gibt. „Nein zum Überwachungsstaat“ hieß es auf Transparenten. „Achtung: Der kleine Bruder beobachtet“, stand auf anderen mit dem Bild des nationalkonservativen Parteichefs Jaroslaw Kaczynski. Regierungschefin Beata Szydlo wurde nach ihrem Auftritt bei der Polen-Debatte im Europaparlament als „Beata die Lügnerin“ dargestellt.

In mehreren Städten organisierten Anhänger der Nationalkonservativen Gegenkundgebungen oder posteten in sozialen Medien Bilder, auf denen die KOD-Demonstranten als Marionetten der EU dargestellt wurden. Unterstützung für KOD gab es dagegen in mehreren europäischen Städten. Auch im australischen Melbourne und in den USA war zu Kundgebungen aufgerufen worden.