Sarkozy stolpert über einen „Freundschaftsdienst“

Ein Pariser Strafgericht hat den früheren französischen Präsidenten in einem Korruptionsprozess zu drei Jahren Haft verurteilt. Das ist ein schwerer Schlag für Sarkozy – und auch für die Konservativen in Frankreich.

.

Carla Bruni steht zu ihrem nun verurteilten Mann.

.

Fußfessel statt Gefängnis?

Die allergrößte Demütigung bleibt Nicolas Sarkozy erspart. Der ehemalige Präsident muss wohl nicht ins Gefängnis. Die Richterin Christine Mée betonte, dass die Strafe auch zuhause mit einer elektronischen Fußfessel abgeleistet werden könne. Das Urteil hat Sarkozy allerdings sichtlich erschüttert. Das Strafgericht in Paris hat den 66-Jährigen wegen Bestechung und unerlaubter Einflussnahme zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. Davon werden zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Als wahrscheinlich gilt, dass die Verteidiger Berufung einlegen werden. Sie hatten für ihren Mandanten einen Freispruch gefordert.

Gebeugt und fast im Laufschritt verließ der Verurteilte den Gerichtssaal. In den Wochen zuvor hatte Sarkozy auf dem Weg zu den Verhandlungen noch demonstrativ zuversichtlich in die Kameras gewunken. Sarkozy hatte immer wieder deutlich gemacht, dass er überhaupt nicht verstanden hat, wie er für einen „kleinen Freundschaftsdienst“ vor Gericht landen konnte. Was der Ex-Präsidenten beharrlich als Lappalie darstellte, war in den Augen der Ermittler allerdings ein veritabler Versuch der Bestechung. In Frankreich wurde der Fall als „Abhör-Affäre“ bekannt. Denn um Sarkozy auf die Schliche zu kommen, ließ die Justiz Telefongespräche zwischen dem früheren Präsidenten und seinem Anwalt Thierry Herzog abhören. 

.

.

Ein schöner Job im Fürstentum Monaco

Konkret ging es darum, dass Sarkozy dem Richter Gilbert Azibert Hilfe versprochen haben soll, um seinen Wunsch-Posten im Fürstentum Monaco zu bekommen; im Gegenzug soll der hohe Staatsbeamte geheime Informationen über Ermittlungen gegen Sarkozy beschafft und versucht haben, seine Kollegen zu beeinflussen. Im Kern habe dieses Verhalten die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet, argumentierte die Anklage. Neben Sarkozy verurteilen die Richter deshalb auch dessen langjährigen Anwalt Thierry Herzog und den Juristen Gilbert Azibert zu Haftstrafen von jeweils drei Jahren, ebenfalls mit zwei Jahren auf Bewährung.

Der Prozess selbst galt in Frankreich als beispiellos. Es war das erste Mal in der 1958 gegründeten Fünften Republik, dass für einen früheren Präsidenten Haft gefordert wurde. Sarkozys Vorgänger Jacques Chirac wurde zwar 2011 wegen Veruntreuung und Vertrauensbruch in seiner Zeit als Pariser Bürgermeister zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt – die Anklage hatte damals aber auf Freispruch plädiert.

.

.

Das Ende der Pläne von Sarkozy

Für Nicolas Sarkozy, der sich gerne im Rampenlicht sonnt, kommt diese Art von unrühmlicher Aufmerksamkeit allerdings zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Denn viele seine konservativen Anhänger hoffen, dass der umtriebige Politiker in Zukunft wieder eine größere Rolle in der französischen Politik spielen könnte. Manche trauen ihm sogar eine überraschende Kandidatur bei der Präsidentenwahl im kommenden Jahr zu.

Im Hintergrund zieht Sarkozy schon seit vielen Monaten die Fäden. Und in der aktuellen Krisensituation setzt selbst der aktuelle Präsident Emmanuel Macron ganz offen auf den Ratschlag des kampferprobten Politikers. Das reicht offensichtlich bis zu zentralen Personalentscheidungen bei der Besetzung des Kabinetts. Weggefährten und Freunde des ehemaligen Präsidenten sitzen in der ersten Reihe der französischen Regierung. So war etwa der amtierende französischen Premierminister Jean Castex im Jahr 2010 zuerst Berater Sarkozys für Soziales, später fungierte er sogar als stellvertretender Generalsekretär des Präsidenten. Auch der nicht ganz unumstrittene Innenminister Gérald Darmanins ist ein politischer Zögling Nicolas Sarkozys. Der 37-Jährige gilt inzwischen als eine der Hoffnungen der Konservativen in Frankreich. Und der sehr unkonventionell auftretende neue Justizminister Éric Dupont-Moretti ist ein enger Freund von Thierry Herzog, dem vielbeschäftigen Anwalt von Nicolas Sarkozy. Éric Dupont-Moretti saß vor einigen Jahren als einer von ganz wenigen handverlesenen Gästen bei einem Konzert von Carla Bruni-Sarkozy, der Frau des ehemaligen Präsidenten. Die Sängerin postete gestern nach dem Urteil auf Instagram ein Foto von sich und ihrem Mann und schrieb dazu: „Die Schlacht geht weiter, die Wahrheit wird ans Licht kommen.“

Keine Mauer des Verschweigens mehr

Das Privatleben von Politikern galt in Frankreich lange als tabu. Doch nun muss ein Politiker wegen der Enthüllung eines Sex-Videos im Internet zurücktreten.   

.

20.02.17-Grivaux

.

Intime Enthüllung im Internet

Die Kaste der Politiker in Frankreich erlebt ein Erdbeben. Auch das Wort von einem Dammbruch macht die Runde, andere sprechen sogar von einer Kulturrevolution. Der Rücktritt von Benjamin Griveaux wirkt wie ein Schock auf den elitären Pariser Politikbetrieb. Zum ersten Mal muss ein hoher Politiker wegen privater, intimer Enthüllungen zurücktreten.

Gestolpert ist der Wunschkandidat von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für die Pariser Bürgermeisterwahl über ein kurzes Sex-Video mit ihm als Hauptdarsteller. Das Filmchen, dessen Echtheit nicht ganz geklärt ist, machte in den sozialen Netzwerken die Runde. Benjamin Griveaux reagiert prompt und zieht einen Monat vor der Wahl seine Bewerbung zurück. Als Urheber des schlüpfrigen Machwerks meldet sich der russischen Aktionskünstler Piotr Pawlensky zu Wort, der in Frankreich im Exil lebt. Er habe Griveauxs „Scheinheiligkeit“ zur Schau stellen wollen, der immer wieder vom großen Wert der Familie spreche. Die Aufnahme habe er von einer Person erhalten, die eine „einvernehmliche Beziehung“ mit Griveaux gehabt habe.

.

.

Politiker verurteilen den Tabubruch

Über alle Parteigrenzen hinweg wird die Veröffentlichung als Tabubruch verurteilt, denn in Frankreich wurde bisher immer eisern zwischen privatem und offiziellem Leben der Politiker getrennt. So einfach ist die Sache allerdings nicht, denn die Politiker – und vor allem die Präsidenten – haben zuletzt selbst dafür gesorgt, dass diese sorgsam bewachte Mauer des Verschweigens im Laufe der Zeit langsam zu bröckeln begann.

.

 

.

Sehnsucht nach der Ära Mitterand

Fast mit Sehnsucht erinnern viele Kommentatoren an die Ära von Francois Mitterand. Der Präsident führte während seiner Amtszeit über viele Jahre ein veritables Doppelleben mit zwei Familien. Jeder in Frankreich kannte dieses „Geheimnis“, doch niemand sprach offiziell darüber. Erst lange nach Mitterands Tod trat seine uneheliche Tochter an die Öffentlichkeit. Auch sein Nachfolger Jacques Chirac konnte angesichts seiner nicht wenigen Affären noch mit der wissenden Nachsicht der Öffentlichkeit rechnen. Selbst nach dessen Tod vor wenigen Monaten, wurden dessen außerehelichen Geschichten in den Nachrufen nur sehr verklausuliert umschrieben. Chirac sei eben ein großer Charmeur gewesen, heißt es da.

.

.

Mit Nicolas Sarcozy hat sich das Verhältnis Präsident/Öffentlichkeit fast dramatisch verändert. Manch ein Kommentator glaubt sogar, dass er die Büchse der Pandora geöffnet habe. Spielten die Frauen der französischen Staatschefs bis zu jenem Zeitpunkt allenfalls eine Nebenrolle, suchten Sarkozy und seine singende und schauspielende Gattin Carla Bruni immer wieder gemeinsam das Rampenlicht. Als Glamourpaar füllten sie die Spalten der Hochglanzmagazine, für die Franzosen eine völlig neue Erfahrung.

Sarkozy ebnet den Weg für die Klatschpresse

Sarkozy hatte die Trennung von Öffentlichem und Privatem aufgehoben – ausbaden musste es aber sein Nachfolger Francois Hollande. Er konnte nun nicht mehr auf die Nachsicht der Journalisten hoffen, denn die Brandmauer existierte nicht mehr. Seine außerehelichen Aktivitäten fanden ihren Weg ungebremst in die Klatschpresse. Legendär sind Fotos seiner nächtlichen Fahrt zur Geliebten durch die Straßen von Paris auf einem Motorroller – fein säuberlich dokumentiert von Reportern, die den Präsidenten in flagranti ertappten.

.

.

Furch vor einer Renaissance der Lynchjustiz

Im Fall von Benjamin Griveaux ist allerdings eine neue Qualität erreicht. Möglich machen dies die sozialen Netzwerke. Die Veröffentlichung des Sex-Videos auf einer einzigen Plattform genügte, um es Millionenfach zu verbreiten. Verändert haben sich auch die Akteure. Der russische Aktionskünstler Piotr Pawlensky ist offensichtlich ein Mensch, der keine Regeln und Gesetze akzeptiert und auch keine Skrupel kennt. Die Frage ist, wie die Politik mit diesen neuen Bedingungen umgeht. Der französische Essayist Maxime Tandonnet glaubt, dass die aktuelle Enthüllung nicht nur Benjamin Griveaux, sondern vor allem der gesamten französischen Demokratie schaden. In düsteren Worten prophezeit er eine Art Renaissance der Lynchjustiz.

Im Internet verbreiten sich Lugen und Hass

Der Harvard Professor Yascha Mounk sieht die Bedrohung der Demokratie Frankreichs durch die sozialen Medien allerdings nicht wegen solcher einzelner Enthüllungen in Gefahr. Das eigentliche Problem erkennt der Kommunikationsforscher in der sehr einfachen und effektiven Möglichkeit, via Internet ungezügelt Lügen zu verbreiten und Hass in der Welt zu sähen. Das sei der wirkliche Kampf, den die Politik und auch die Gesellschaft in Zukunft führe müsse. Das aber sei kein spezifisch französisches Thema, sondern eine globale Herausforderung.