Einen solchen Protestmarsch hat Warschau schon lange nicht mehr gesehen. In der polnischen Hauptstadt gingen rund 50.000 Menschen gegen eine „Schleifung der Demokratie“ durch die neue Regierung der konservativen Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) auf die Straße.
„Freiheit, Gleichheit, Demokratie“
Die Demonstranten halten es für nicht legitim, dass die seit November regierende PiS mit ihrem Parteichef Jaroslaw Kaczynski ihre Macht nutzt, um etwa ihr genehme Verfassungsrichter einzusetzen. Der Warschauer Protestzug, der unter dem Schlagwort „Freiheit, Gleichheit, Demokratie“ stattfand, startete am Sitz des Verfassungsgerichts, um von dort zum Parlament und zum Präsidialamt weiterzuziehen. Die Demonstranten schwenkten polnische Flaggen und Fahnen der Europäischen Union.
Der Streit um die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts wird immer erbitterter geführt. Das Büro von Ministerpräsidentin Beata Szydlo blockiert einen Versuch des Gerichts, drei von der Vorgängerregierung benannte Richter im Amt zu halten.
Polen ist ein wichtiges Land
Fakt ist: Polen ist in Europa ein wichtiges Land. Deshalb darf die EU Warschau gegenüber nicht den gleichen Fehler wiederholen wie seinerzeit Ungarn und seinem Präsidenten Victor Orban gegenüber: Glauben, dass die Probleme sich schon von selbst regeln werden, weil man unter Europäern ist. Wenn ein EU-Mitgliedsland gegen Regeln des Rechtsstaates verstößt, muss es entschieden zur Ordnung gerufen werden. Täte man dies nicht, entstünde die Gefahr, dass der gesamte frühere kommunistische Teil der EU in Zentraleuropa sich darin gefällt, eine seltsame Praxis der Demokratie zu entwickeln.
Schon seit Jahren steht die Kaczynskis Drohung im Raum, den „ungarischen Weg“ einzuschlagen. „Der Tag wird kommen, an dem wir es schaffen, wir werden Budapest in Warschau haben.“ Das sagte der konservative Politiker nach der Niederlage seiner Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) bei der Parlamentswahl 2011. Nun – nach dem Erdrutschsieg der PiS – treibt er das Projekt scheinbar unbeirrbar voran. Dazu versucht er die Einflussnahme auf die Schaltstellen der Macht zu vergrößern.
Keine Zeit verloren
Die neue polnische Regierung verlor keine Zeit: Kaum im Amt, entließ sie die Chefs von vier der fünf Geheimdienste. Der fünfte, der Leiter des Anti-Korruptions-Büros CBA, trat wenige Tage später freiwillig zurück. Duda begnadigte den zu drei Jahren Haft verurteilten einstigen CBA-Chef Mariusz Kaminski – den die neue Regierung umgehend zum neuen Geheimdienstkoordinator ernannte. Auch das Verfassungsgericht besetzte die Regierung Anfang Dezember mit Vertrauensleuten. Duda widersetzte sich einer gerichtlichen Anordnung, drei Verfassungsrichter zu vereidigen, die noch unter der Vorgängerregierung vom Parlament ernannt worden waren, und setzte vier genehme Richter ein. Der Streit darum dauert an.
Doch damit nicht genug: auch die Medien sollen von der Einflussnahme der populistischen katholischen PiS nicht verschont bleiben. Die Partei will die Nachrichtenagentur PAP und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die derzeit Aktienunternehmen in Staatsbesitz sind, in nationale Kultureinrichtungen ähnlich der Oper oder der Nationalmuseen umwandeln. Der neue Kulturminister Piotr Glinski hatte angekündigt, die staatlichen Medien sollten „wirklich staatlich“ werden, „mit einer Mission“.
Keine EU-Flagge mehr
Bei den privaten Medien sollen die zurzeit marktbeherrschenden ausländischen Verlage zurückgedrängt werden, indem der Staat deren Anteile zurückkauft. Besonders deutsche Medienkonzerne sind in Polen präsent. Die Reform soll im ersten Halbjahr des kommenden Jahres umgesetzt werden. Der praktizierte Nationalismus der PiS spiegelt sich auch in Details wider: Aus dem Pressesaal der Regierung wurde die Europafahne entfernt. Ministerpräsidentin Szydlo sagte, Polen stehe weiter zu seiner EU-Mitgliedschaft. Aber die Regierung wolle daraus „den größtmöglichen Nutzen für die polnischen Bürger, die polnische Wirtschaft und unser Vaterland ziehen“.