Im Stadtzentrum von Paris gibt es fünf Weinberge. Im Herbst werden dort von Freiwilligen die Beeren gelesen. Viel Wein gibt es nicht, der wenige Rebensaft aber hat aber einen stolzen Preis.
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Wein aus Paris – die Ernte 2019 ist wegen des heißen Sommers vorzüglich
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Jean Taiel freut sich das ganze Jahr auf diesen einen Tag im Herbst. Am frühen Morgen schnürt er seine festen Schuhe, zieht sich eine wasserdichte Jacke über und geht den kurzen Weg von seiner Wohnung im 19. Pariser Arrondissement durch den Park von Belleville zum Weinberg. Wobei die Bezeichnung Weinberg die Sache nicht ganz trifft. Ungefähr 500 Quadratmeter misst die Fläche. Es sei eher ein „mikro-vignoble“ – ein Mikro-Weinberg, rückt Jean Taiel die Relationen zurecht.
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Jean Taiel freut sich das ganze Jahr auf die Weinlese
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Im richtigen Leben ist der Endfünfziger Controler bei einer Softwarefirma, doch nun darf er sich für kurze Zeit als Weinbauer fühlen. Zusammen mit rund einem Dutzend anderer Erntehelfer, die alle aus der Nachbarschaft des Parks von Belleville stammen, macht er sich an die Lese der Beeren. Jeder bekommt eine Gartenschere und eine kleine Plastikwanne in die Hand gedrückt. Viel Arbeit wartet allerdings nicht. Nach knapp einer Stunde sind die Reben leer und die Behälter voll. „Es ist aber jedes Mal ein schönes Erlebnis“, sagt Jean Taiel, „wir arbeiten hier zusammen, reden miteinander und man fühlt sich wie in der freien Natur – es hat etwas Archaisches.“
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Zusammen den Wein zu lesen bringt den Menschen die Natur näher – und sorgt für eine gute Nachbarschaft
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Fünf dieser „Mikro-Weinberge“ gibt es in der Innenstadt von Paris, auf denen über zwei Dutzend verschiedene Rebsorten kultiviert werden, vor allem Gamay und Pinot Noir. Der berühmteste und mit 1800 Reben auch der größte befindet sich direkt am Montmartre, wenige Schritte unterhalb der Basilika Sacré-Coeur. Der Weinbau ist eng mit der Geschichte des Ortes verbunden. Es heißt, dass schon die Äbtissinnen von Montmartre im Mittelalter dort Wein gekeltert hätten. Damals seien die meisten Bewohner in Rebbergen tätig gewesen. Weil die Einfuhr von Wein nach Paris damals strengen Auflagen unterlag, entwickelte sich der Weinort Montmartre vor den Toren der Stadt zum Ausgehdorf. Überaus lustig soll es dort zugegangen sein, bevor der Hügel 1860 Teil der ausufernden Metropole wurde. Später zog das kleine Städtchen auf dem Montmartre zahlreiche Künstler an, um deren ausufernden Weingenuss sich natürlich bis heute allerlei Mythen ranken.
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Die Ausbeute vom Weinberg im Parc de Belleville
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Hubert Jossinet scheint ein bisschen neidisch auf die schönen Geschichten, die sich rund um den Wein am Montmartre erzählt werden. Seit 2007 ist er im Auftrag der Stadt zuständig für den Park von Belleville und damit auch für den kleinen Weinberg, der sich zwischen alten Bäumen und schmalen Wegen sachte an den Hang schmiegt.
An diesem Morgen hat sich auch zwei Gruppen aus deinem nahen Kindergarten eingefunden, um den eifrigen Großstädtern bei der Weinlese zuzusehen. Die müssen immer wieder ihre Arbeit unterbrechen, um die Fragen des neugierigen Nachwuchses beantworten. „Wir bringen den Kindern damit auch ein Stück Natur nahe, das in der Großstadt ansonsten völlig verloren geht“, umschreibt Hubert Jossinet auch den pädagogischen Auftrag, den die Stadt mit dem Anbau des Weines erfüllten will.
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Mitarbeiter der Stadt Paris geben den Erntehelfern Anweisungen – und natürlich darf danach gekostet werden
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Einer der Erntehelfer fragt den Chef der Gärtner, ob er den Kindern die Trauben zum Essen geben könne. Hubert Jossinet nickt und erklärt, dass in allen fünf Pariser Weinbergen bei der Bekämpfung von Schädlingen keine chemischen Keulen zum Einsatz kämen. Alle Pflanzen würden gegen Mehltau und Pilze nur mit natürlichen Substanzen wie Kupfer und Schwefel behandelt.
„Bei uns hier wird an dieser Stelle schon seit gallo-römischen Zeit Wein angebaut“, sagt Hubert Jossinet dann noch. Der Boden sei dazu geradezu ideal, was der Qualität des Weines zugutekomme. Im Gegensatz dazu gilt der Rebensaft vom Montmartre als überaus saurer Tropfen. Allerdings geht der Gärtner davon aus, dass die Qualität des Weines in diesem Jahr in allen fünf Pariser Weinbergen überdurchschnittlich sein dürfte. „Nach diesem Hitzesommer mit bis zu über 40 Grad in Paris, sind die Trauben nun fleischig, prall und optimal reif,“ urteilt Jossinet.
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Die Reben im Parc de Belleville sind durch einen langen Zaun geschützt
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Die eher schwankende Qualität des Rebensaftes tut zumindest dem Preis des Montmartre-Weins keinen Abbruch. Rund 1500 Flaschen werden dort jedes Jahr produziert, versehen mit kunstvollen Etiketten, die bei Sammlern und Touristen sehr beliebt sind. Rund 40 Euro muss man für die Halbliterflasche „Clos de Montmartre“ auf den Tisch blättern – bei Versteigerungen auch deutlich mehr. Das Geld ist allerdings sehr gut angelegt. Der Verkaufserlös aller fünf Weinberge kommt sozialen Projekten in der Stadt zugute.