#àcausedemacron – Die Choreografie zum Streik

Die Streiks in Frankreich gehen weiter – und oft auch brutaler. Allerdings gibt es auch Gruppen, die sich inzwischen sehr kreativ gegen die Rentenreform und den Präsidenten Emmanuel Macron stemmen. So gibt es nun einen Titelsong. „À cause de Macron“. Das Lied wird von Demonstrantinnen seit einiger Zeit als Flashmob während der Proteste aufgeführt.

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Frauen – die Verliererinnen der Reform

Dabei tragen sie blaue Overalls, gelbe Haushaltshandschuhe und ein rotes Tuch im Haar und singen sinngemäß „Wegen Macron werden wir die großen Verliererinnen sei.“ Bei dem eingängigen Song handelt es sich um eine Art Parodie des Hits „À cause des garçons“ aus dem Jahr 1987. Damals wurde er von dem Duo Laurence Heller and Hélène Bérard gesungen.

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Die Globalisierungskritiker von Attac und feministische Organisationen wollen mit dem Song anprangern, dass Frauen die großen Verliererinnen der Rentenreform von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seien. „Wegen Macron stehen Mädchen stärker unter Druck als Jungen. Wegen Macron schreien wir RÉ-VO-LU-TION…“, heißt es etwa im Text.

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Die Outfits der singenden Demonstrantinnen sind angelehnt an die Kunstfigur „Rosie the Riveter“, die in den 1940er in den USA Frauen für kriegswichtige Betriebe anheuern sollte. Die meisten kennen „Rosie“ wohl von den berühmten „We can do it!“-Werbeplakaten. Die Interpretinnen von „À cause de Macron“ nennen sich Rosies und treten mittlerweile bei zahlreichen Demos gegen die Reformpläne auf. Für die Choreographie (zum Beispiel Fäuste nach vorne, dann rechts und links mit den Füßen in die Luft treten) gibt es im Netz ein Erklärvideo.

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Das derzeitige Rentensystem wirkt sich nachteilig für Frauen aus. Künftig soll die Berechnung der Rente anders erfolgen – jeder eingezahlte Euro soll zählen statt nur die besten 25 Jahre. Die Regierung hatte versprochen, dass Frauen die Gewinner des neuen Systems seien werden. Ob sich die neue Berechnung nachteilig auf Frauen auswirken wird, lässt sich derzeit noch schwer sagen – Experten sind sich uneins.

Streikaktion vor dem Louvre erzürnt Touristen

Eine Streikaktion vor dem Pariser Louvre hat zahlreiche Touristen erzürnt: Dutzende Mitglieder der französischen Gewerkschaft CGT blockierten am Freitag den Haupteingang zu dem Museum an der Louvre-Pyramide und hinderten Besucher am Eintritt. Mit der Aktion protestierten sie gegen die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron.

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Buh-Rufe für die Protestierer

Während einige französische Passanten applaudierten, reagierten viele Touristen mit Buh-Rufen. Ein Besucher aus Brüssel sagte, er sei mit dem Zug trotz der Bahn-Streiks in Frankreich extra für die große Sonderausstellung zum 500. Todestag von Leonardo da Vinci angereist.

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„Ich liebe Frankreich, aber das geht wirklich zu weit“, sagte eine Spanierin. „Ich verstehe nicht, warum die Polizei die Aktion nicht beendet.“ Ein Besucher aus China nannte den Protest „egoistisch“. Ein französischer Tourist rief wutentbrannt dazu auf, den Louvre zu stürmen. Der Appell verhallte jedoch. Allerdings waren einige der erbosten Besucher kurz davor, handgreiflich zu werden.

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„Den Louvre zu besuchen ist nicht lebenswichtig“, entgegnete einer der Demonstranten. „Wir verteidigen unsere Rechte , das ist viel wichtiger.“ Der Ort für die Protestaktion war kein Zufall: Vor der berühmten Louvre-Pyramide des US-chinesischen Architekten Ieoh Ming Pei hatte Präsident Macron 2017 seinen Triumph bei der Präsidentschaftswahl gefeiert.

Emmanuel Macrons großes Versagen

Frankreichs Präsident hat die Stimmung im Volk völlig falsch eingeschätzt. Seine Reform wird zum Reförmchen und die Quittung für sein Versagen wird es bald bekommen. 

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Demonstration in Paris gegen die Rentenreform von Emmanuel Macron

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Ein Volk aus vielen Helden

Der Streik in Frankreich kennt einen großen Helden: das Volk. Mit bewundernswerter Gelassenheit lassen die Franzosen dieses nicht enden wollende Elend über sich ergehen. Der seit Wochen bestreikte Nahverkehr stürzt die Pendler in Paris und anderen Städten jeden Tag von neuem ins Chaos, Fernzüge fahren nur sporadisch, viele vor allem kleine Unternehmen im Land leiden inzwischen unter den wirtschaftlichen Einbußen. Das Ende der Blockade ist auch jetzt noch nicht abzusehen.

Der Streik in Frankreich kennt aber auch einen großen Verlierer: Emmanuel Macron. Den Plan, das Rentensystem in Frankreich gerechter und vor allem auch finanzierbar zu machen, kann der Präsident längst nicht mehr halten. Am Schluss der Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften wird von dem versprochen großen Wurf nur ein Reförmchen übrigbleiben. Unter dem Druck des Streiks zeigt sich die Regierung längst zu allerlei Ausnahmen bereit. Selbst das Renteneintrittsalter mit 64, so etwas wie der Heilige Gral dieser Reform, steht plötzlich zur Disposition. Denn Emmanuel Macron hat die Rechnung ohne die kampfbereiten Gewerkschaften gemacht. Zwar haben einige gemäßigte Organisationen bereits ihren Einigungswillen signalisiert, doch der harte Kern zeigt sich unnachgiebig und fordert noch immer, dass die gesamte Reform zurückgenommen wird. Noch ist nicht abzusehen, wie diese Kraftprobe ausgehen wird.

Die Renaissance der Gewerkschaften

Den Gewerkschaften hat der Arbeitskampf zu einer wahren Renaissance verholfen. Sie scheinen erleichtert, endlich wieder als Kämpfer für die Rechte der Arbeitnehmer öffentlich wahrgenommen zu werden und genießen die Auftritte vor den Fernsehkameras. Während der Proteste der Gelbwesten waren sie noch völlig abgemeldet. Das hatte allerdings zur Folge, dass sich die vielen, untereinander konkurrierenden Gewerkschaften beim aktuellen Streik in eine Art Überbieterwettkampf begeben haben – jede Organisation ging mit immer radikaleren Forderungen für ihre Klientel in die Verhandlungen.

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Unverständlich ist, wie Emmanuel Macron diese Gesamtsituation und vor allem die tiefe Unzufriedenheit seines Volkes unterschätzen konnte. Eigentlich hätte er durch die monatelangen sozialen Proteste der Gelbwesten gewarnt sein müssen. Offensichtlich glaubte der kühle Taktierer in Paris aber, dass die Streiklust der Menschen im Land inzwischen erschöpft sei und er es sich erlauben könne, mit der Brechstange soziale Veränderungen durchzusetzen, die tief in das Leben der Franzosen eingreifen. Der Präsident hat sich getäuscht.

Macron provoziert eine „convergence des luttes“

Was Macron provoziert hat, ist eine „convergence des luttes“, der Zusammenschluss verschiedener sozialer Kämpfe. Bei den Massenprotesten in Paris und anderen Städten gehen nicht nur gewerkschaftlich organisierte Eisenbahner auf die Straße. Auch das Krankenhauspersonal, Anwälte, Lehrer, Studenten oder Feuerwehrleute machen ihrer Frustration über die bisweilen unhaltbaren Arbeitszustände Luft.

Die inhaltlichen Unterschiede in der Protestfront werden dabei von der Wut der Streikenden auf Emmanuel Macron übertüncht. Diese bisweilen eher verwirrende Kakophonie in den Demonstrationszügen macht deutlich, dass die Reform des Rentensystems nur eines von sehr vielen fundamentalen Problemen ist, die es in Frankreich in den nächsten Jahren zu lösen gilt.

Der Protest erreicht alle Berufsgruppen

Eine solche Welle des Protestes über alle Berufsgruppen hinweg gab es zuletzt 1995, als der damalige Premierminister Alain Juppé im Auftrag des Präsidenten Jacques Chirac eine Rentenreform durchziehen sollte. 23 Tage dauerte damals der Streik, der das Land lähmte. Am Ende wurde die Reform abgeblasen und der Regierungschef musste seinen Hut nehmen.

Der aktuelle Streik in Frankreich dauert inzwischen fast doppelt so lange und es gilt als sicher, dass Emmanuel Macron auf die Quittung für sein Versagen nicht lange wird warten müssen. Im März finden in Frankreich Kommunalwahlen statt, sie gelten als entscheidender Test für die Präsidentenwahl in zwei Jahren.

Der Streik in Frankreich wird zum Weihnachtshit

Eine junge Sängerin besingt das Chaos durch die Proteste und spricht mit ihrer Parodie von „All I want for Christmas is you“ sehr vielen aus dem Herzen. Aber auch die Tänzerinnen der Pariser Oper sind kreativ – wenn auch in einem anderen Sinne. 

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Der Protest gegen die Rentenreform legt seit Wochen den Verkehr in Paris lahm – nun zeigt der Streik erste, eher unerwartete Früchte. 

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Eine Parodie auf den Hit von Mariah Carey

Der Streik gegen die Rentenreform in Frankreich geht den Menschen langsam auf die Nerven. Vor allem in Paris, wo die Metro wegen der Proteste seit fast drei Wochen lahmgelegt ist, versuchen die Einwohner trotz aller Widrigkeiten ihren Alltag zu organisieren. Manche nehmen das Chaos allerdings auch mit französischer Gelassenheit – oder sie machen es wie die Sängerin Montéa. Die junge Frau hat eine Parodie des Liedes von Mariah Carey „All I want for Christmas is you“ aufgenommen. In dem verballhornten Stück schmachtet Montéa allerdings nicht ihre große Liebe an, sondern sie singt davon, wie schön es wäre, wenn die Métros in Paris wieder fahren würden.

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„Gebt mir irgendeine Métro. Linie 4 oder Linie 13 wären super“, heißt es da. Sie besingt, die täglichen Sorgen der Einwohner der Millionenmetropole, am Morgen zur Arbeit zu kommen. „Ein Zug von dreien, kein Nahverkehr“, singt sie. „Ich könnte Uber nehmen, aber die Straßen sind verstopft.“ Aufgenommen hat die Sängerin den Clip mit ihrem Smartphone. Innerhalb weniger Stunden wurde das Lied in Frankreich zum Internet-Hit und ist inzwischen rund 60.000 Mal abgerufen worden.

Auch andere Künstler werden kreativ

Montéa ist allerdings nicht die einzige Künstlerin, die sich vom Streik inspirieren lässt. Vor dem Palais Garnier in Paris zeigten an Weihnachten die Tänzerinnen der Pariser Oper auf einer provisorischen Bühne vor dem Gebäude in der Kälte kurze Stücke aus Schwanensee. Sie protestieren damit allerdings nicht gegen den Streik, sondern zeigten sich solidarisch mit dem Protest. Denn durch die Rentenreform würden auch die Angestellten der Oper viele ihrer Privilegien verlieren. So gilt für sie noch eine Rentenkasse, die im Jahr 1698 von König Louis XIV. eingerichtet wurde.

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Eines der großen Probleme: es gibt in dieser Spezialkasse der Oper heute rund 1900 Einzahler und 1800 Rentner. Das Eintrittsalter variiert stark und beträgt bei den Tänzern des Balletts 40 Jahre, zwischen 50 und 57 Jahren bei den Chormitgliedern und 60 Jahre bei den Musikern. Das Rentenregime kostet rund 27 Millionen Euro pro Jahr, das etwa zur Hälfte vom Staat finanziert werden muss.

Eine explosive Mischung

In Frankreich wird seit zwei Wochen gestreikt. Der geplante Rentenreform ist nur ein Grund für die Wut der Franzosen. 

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Die Proteste gegen die Rentenreform nehmen kein Ende. Nun drohen die Gewerkschaften damit, auch an Weihnachten den Zugverkehr lahmzulegen.

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Franzosen gelten als geradezu streikfreudig

Frankreich wird seinem Ruf wieder einmal gerecht. Die Franzosen gelten als geradezu streikwütiges Volk, das seinen Zorn gegen die „die da oben“ schnell auf die Straße trägt. Auch jetzt wieder sind viele Bereiche des öffentlichen Lebens seit zwei Wochen lahmgelegt. Doch mit dem Widerstand gegen die Rentenreform ist die bisweilen gewalttätige Vehemenz der Proteste nur ungenügend erklärt. Es ist ein explosives Gemisch aus mehreren Faktoren, das die Menschen auf die Barrikaden treibt. So entlädt sich die Frustration der Lehrer, Feuerwehrleute oder des Krankenhauspersonals wegen der immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen, über die sie seit Jahren vergeblich klagen. An den Protesten beteiligt sind auch viele Anhänger der Gilets Jaunes, die mehr soziale Gerechtigkeit in Frankreich einfordern – und natürlich den Sturz des Präsidenten Emmanuel Macron.

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Die Renaissance der Gewerkschaften

Und dann sind da natürlich die Gewerkschaften, die froh scheinen, endlich wieder als Kämpfer für die Rechte der Arbeitnehmer öffentlich wahrgenommen zu werden. Während der Proteste der Gelbwesten waren sie völlig abgemeldet. Das hat allerdings zur Folge, dass sich die vielen, untereinander konkurrierenden Gewerkschaften nun in eine Art Überbieterwettkampf begeben haben – jede Organisation geht mit immer radikaleren Forderungen für ihre Klientel in die Verhandlungen. Und natürlich ist der Streit um die Rentenreform auch in den Augen mancher Parteien eine Art Glückfall. Präsident Macron hat mit seiner Politik vor allem das linke Spektrum marginalisiert. Sie sehen nun die Chance, jenem Mann zu schaden, den sie für ihren Niedergang verantwortlich machen.

Macron ist die Zielscheibe der Proteste

Deutlich wird: Emmanuel Macron ist der gemeinsame Gegner, auf den sich die Wut aller Streikenden konzentriert. Das überdeckt sämtliche inhaltlichen Unterschiede in der Protestfront. Diese verwirrende Kakophonie in den Demonstrationszügen macht deutlich, dass die Reform des Rentensystems nur eines von sehr vielen fundamentalen Problemen ist, die es in Frankreich in den nächsten Jahren zu lösen gilt.

Das Ende einer französischen Tradition

Die Wut vieler Franzosen angesichts der geplanten Rentenreform ist riesig. Ein Grund ist, dass sich einzelne Berufsgruppen auf zum Teil Jahrhundertealte Privilegien berufen können. Hier einige Beispiele – von den Seeleuten bis zur Oper von Paris:

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Die Oper von Paris – die Bediensteten erfreuen sich allerlei Vergünstigungen.

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Seeleute:

Das Sozialsystem der Seeleute wurde im Jahr 1673 eingeführt – und damit das älteste Rentenregime in Frankreich. Unterstützt werden sollten Seeleute, die sich bei ihrer schweren und gefährlichen Arbeit verletzt hatten und nicht mehr zur See fahren konnten. Heute sind Berufsfischer, Meeresforscher oder aber auch Angestellte bei Charterunternehmen in diesem System und profitieren von manchen Privilegien. Das Problem: knapp 40.000 Aktive müssen über 110.000 Rentner bezahlen. Das bedeutet, dass der Staat fast 80 Prozent des strukturellen Defizits übernimmt.

Bank von Frankreich:

Napoleon Bonaparte hat im Jahr 1800 die Banque de France eingerichtet und acht Jahre später die dazugehörige Rentenkasse. Lange galt dieses System als das weitaus großzügigste, da den Angestellten sehr viele Zulagen gewährt wurden. Auch hier gibt es aktuell mehr Rentner (rund 16.000) als Einzahler (knapp 12.000). Seit 2007 sind die allergrößten Vergünstigungen allerdings abgeschmolzen worden. So wurde etwa das Rentenalter auf 62 angehoben, dennoch gelten für viele Angestellte noch die alten Regeln.

Opéra de Paris:

Eingerichtet wurde diese Rentenkasse im Jahr 1698 von König Louis XIV. und zählt heute rund 1900 Einzahler und 1800 Rentner. Das Eintrittsalter variiert stark und beträgt bei den Tänzern des Balletts 40 Jahre, zwischen 50 und 57 Jahren bei den Chormitgliedern und 60 Jahre bei den Musikern. Das Rentenregime kostet rund 27 Millionen Euro pro Jahr, das etwa zur Hälfte vom Staat finanziert werden muss.

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Minenarbeiter:

Die Arbeit in Minen hat in Frankreich eine lange Tradition, die Rentenkasse wurde in seiner jetzigen Form aber erst 1946 eingeführt. Allerdings werden seit 2010 keine neuen Mitglieder mehr aufgenommen. Das heißt, dass heute auf die rund 4000 Einzahler über 310.000 Rentner kommen. Das System basiert folglich vor allem auf Transferzahlungen des Staates. Das Renteneintrittsalte beträgt in der Regel 55 Jahre, kann aber auf 50 Jahre reduziert werden – unter der Voraussetzung, dass man 30 Jahre gearbeitet hat.

Hafen von Straßburg:

Eingerichtet im Jahr 1873 ist das Rentenregime im „Port autonome de Strasbourg“ das weitaus kleinste. Es zählt 165 Einzahler und 203 Begünstigte. Auch ansonsten ist diese Rentenkasse sehr speziell. So beträgt etwa der Arbeitgeberanteil an der Renten 33 Prozent, das ist vier Mal mehr als im Durchschnitt. Die Minimal- und Maximalrenten werden über sehr komplexe Rechenmethoden ermittelt. Das Eintrittsalter beträgt in Straßburg 60 Jahre.

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Angestellte bei Notaren:

Eingerichtet im Jahr 1937 zählt dieses Rentenregime heute rund 48.000 Einzahler und 70.000 Rentner. Lange durften Frauen schon mit 55 in Rente, wenn sie 25 Jahre gearbeitet hatten. Inzwischen wird das Eintrittsalter allerdings langsam angehoben. Die Rente beträgt 75 Prozent der zehn Monate, in denen man am besten verdient hat.

Das Ende mancher Rentenkassen:

Manche sehr speziellen Rentenkassen sind bereits eingestellt worden oder ihr Ende ist nahe. So ist der letzte Rentenbezieher der Kasse der Nationalen Druckerei Ende 2013 gestorben. Auch die Rentenkasse der französisch-äthiopischen Eisenbahner wird es nicht mehr lange geben, ebenso jene der Eisenbahner der französischen Überseegebiete. ENDE-ENDE

Protest in Russland gegen die Rentenreform

Zehntausende Russen haben gegen eine umstrittene Erhöhung des Rentenalters demonstriert und den Rücktritt von Regierungschef Dmitri Medwedew gefordert. Gewerkschaften, die Kommunistische Partei und linke Gruppen mobilisierten ihre Anhänger in Dutzenden russischen Städten, darunter St. Petersburg, Jekaterinburg, Nowosibirsk und Wladiwostok. 

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Frauen sollen acht Jahre länger arbeiten

Die Regierung will das Rentenalter bis 2034 schrittweise anheben. Männer sollen statt wie bisher mit 60 künftig mit 65 Jahren in Rente gehen, Frauen sollen 8 Jahre länger arbeiten – bis 63.

Stand Januar 2018 leben in Russland rund 46 Millionen Rentner, das entspricht etwa 32 Prozent der Bevölkerung. Die Durchschnittsrente beträgt umgerechnet rund 200 Euro. „Man kann von der Rente leben, wenn man das Geld nur für Essen und die Wohnung ausgibt und einmal im halben Jahr etwas zum Anziehen kauft. Für mehr reicht es nicht“, sagte die Rentnerin Nadeschda (59) bei der Kundgebung in Moskau.

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Ein Schock für die Russen

Die Pläne hatten landesweit einen Schock ausgelöst. Viele hatten auf eine Rentenerhöhung gehofft, nun sollen sie länger arbeiten. Den unabhängigen Meinungsforschern vom Lewada-Zentrum zufolge lehnen rund 90 Prozent der Russen die Reform ab. Unmut hatte auch der Zeitpunkt gebracht: Die Regierung hatte die Pläne am 14. Juni im Schatten der Eröffnung der Fußball-Weltmeisterschaft mitgeteilt, als das ganze Land in Vorfreude auf das Turnier schwelgte. Kritiker sahen darin eine „Respektlosigkeit des Staates gegenüber dem Volk“.

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Gewerkschaftler brachten eine Online-Petition auf den Weg, die rund 2,9 Millionen Menschen (Stand Sonntag) unterzeichnet haben. Darin argumentieren sie, dass in Dutzenden Gebieten Russlands die Lebenserwartung für Männer unter 65 Jahren liege.

Niedrige Lebenserwartung in Russland

Im russischen Durchschnitt beträgt die Lebenserwartung für Männer etwa 67 und für Frauen rund 77 Jahre. In Deutschland, wo die Rente ab 2031 mit 67 Jahren beginnen soll, liegt die Lebenserwartung für Männer bei rund 78 und für Frauen bei rund 83 Jahren. Auch in Deutschland wird teils heftig über die Rente diskutiert, denn auf immer weniger Einzahler in die Rentenversicherung kommen immer mehr Rentner.

Welch soziale Sprengkraft das Projekt in Russland birgt, zeigen auch Auseinandersetzungen im Parlament. Während die Regierungspartei Geeintes Russland das Gesetz in erster Lesung fast geschlossen durchwinkte, formierte sich in der eigentlich als systemnah geltenden Opposition Widerstand. „Es ist schwierig, sich andere Entscheidungen der Staatsmacht vorzustellen, die eine derart einhellige Ablehnung auslösen“, kommentierte der Soziologe Denis Wolkow von Lewada.

Putin hält sich zurück

Nur einer hielt sich lange bedeckt zu dem unpopulären Projekt: Gut einen Monat dauerte es, bis sich Präsident Wladimir Putin äußerte. Ihm gefalle die Erhöhung des Eintrittsalters nicht, doch sie sei notwendig, sagte er. 1970 seien auf einen Rentner noch 3,7 Arbeiter gekommen, heute kämen „auf 5 Pensionäre 6 Arbeitnehmer, und deren Zahl wird sinken“, sagte Putin. „Dann wird das System platzen.“

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So stellte sich Putin demonstrativ hinter seine Regierung. Änderungen wurden zwar angekündigt, um die Sorgen der Bürger zu berücksichtigen. Reformgegner befürchten etwa, dass sie im Alter kaum einen Job finden oder aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten können.

Die Reform geht an Realität vorbei

Experten verweisen indes darauf, dass das Pensionsalter inzwischen ohnehin für viele nur Theorie ist. Nach Angaben der Statistikbehörde Rosstat arbeiten rund 40 Prozent der Männer zwischen 60 und 65 sowie der Frauen zwischen 55 und 63 Jahren trotz ihrer Pension weiter. So sei die Rente für Geringverdiener ein zweites Einkommen für einen würdigen Lebensstil, kommentiert die Zeitung „Wedomosti“.

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Für den Herbst, wenn weitere Abstimmungen über die Reform in der Duma anstehen, erwarten Experten neue Proteste. Doch nur wenige trauen dem Thema bei aller Brisanz zu, langfristig Massen zu mobilisieren. Der Soziologe Wolkow sagte, die schärfsten Kritiker kämen aus der alten Garde der Opposition. Und der vertrauten viele Russen nicht.