Kaczynskis Feldzug

Kaum zu glauben, was in Polen passiert. Die Regierung demontiert die Demokratie, die Mehrheit des Volkes sieht zu. Allerdings gehen auch Zehntausende auf die Straße, um sich gegen die Justizreform zu wehren.

.

15.11.26-Kaczynski

Kaczynski hat eine Mission, die er nun rücksichtslos umsetzt.

.

Ein umstrittenes Gesetz

Das von der rechtskonservativen PiS kontrollierte Unterhaus hatte ein Gesetz gebilligt, das der Regierung die Kontrolle über das Oberste Gericht überträgt. 235 Abgeordnete stimmten dafür, 192 dagegen, 23 enthielten sich.

Zehntausende Polen versammelten sich nun vor dem Warschauer Präsidentenpalast und forderten, dass der polnische Präsident Andrzej Duda sein Veto gegen die Reform einlegt. Sie sehen die Unabhängigkeit der polnischen Justiz bedroht und forderten unter anderem ein „freies europäisches Polen“. Auch in Krakau und Posen gab es Proteste, zu denen Bürgerinitiativen und Oppositionsparteien aufgerufen hatten. „Es ist ein schwarzer Tag in der Geschichte Polens“, sagte Grzegorz Schetyna, Vorsitzender der Oppositionspartei PO.

.

.

Die Reaktion der EU

Die Europäische Union hatte bereits vor der Abstimmung im Parlament mit Sanktionen gedroht. „Wir schließen mittlerweile auch nicht mehr ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags aus“, sagte Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission. Damit wäre die EU befugt, Polen die Stimmrechte als EU-Mitglied zu entziehen. Laut der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gebe ihre Justizreform den Bürgern die Kontrolle über die Gerichte zurück und sorge für eine bessere Rechtsprechung.

Kaczynskis verbaler Ausfall

Während der Debatte um das Gesetz spielte sich eine vielsagende Szene ab. Der Chef der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jarosław Kaczyński, stürmte in der nächtlichen Sitzung ans Rednerpult und nannte Oppositionspolitiker „Kanaillen“ und „Verräter“. Es gab Tumulte. Mit seinem Auftritt reagierte Kaczyński auf Vorwürfe, er untergrabe die Gewaltenteilung und handele daher gegen den Willen seines verstorbenen Bruders, dem Ex-Präsidenten Lech Kaczyński. „Nehmt den Namen meines verstorbenen Bruders nicht in eure verräterischen Mäuler, ihr habt ihn zerstört und ermordet“, sagte Kaczyński. In Polen gibt es Gerüchte, der Flugzeugabsturz des Staatsoberhaupts 2010 bei Smolensk sei ein Anschlag gewesen. Das wurde aber nie bewiesen.
.

.

Der Feldzug des PiS-Chefs

Es wird deutlich, dass Kaczynski eine Art Feldzug führt – ein Feldzug, den er nach seiner ersten Wahl zum Premier offensichtlich nicht mit der nötigen Härte und Konsequenz führte. Das will er nun offensichtlich nachholen – offensichtlich hat er gelernt. Doch warum folgen ihm so viele Polen? Es gelingt Kaczynski ein Wir-Gefühl hervorzurufen. Es geht gegen die Feinde Polens, die überall zu finden sind – vor allem in Deutschland und natürlich bei der Europäischen Union. Das führte zuletzt zu der skurrilen Situation, dass Polen das einzige Land war, das gegen die Ernennung des Polen Donald Tusk zum EU-Ratsvorsitzenden war.

Polens Parlament billigt Justizreform

Polens Regierung hat eine umstrittene Justizreform vorangetrieben, mit der sie Kritikern zufolge Einfluss auf die Richterwahl in dem Land nehmen will. Das Parlament, in dem die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die absolute Mehrheit hat, nahm einen Gesetzentwurf an, der Änderungen bei der Zusammensetzung des Landesrichterrats (KRS) vorsieht, eines Verfassungsorgans zur Wahrung der Unabhängigkeit von Polens Justiz.

.

.

Die Opposition kritisiert

Seine 25 Mitglieder – Juristen und Parlamentarier – wählen mitunter Polens Richter. Die Reform, die noch vom Senat verabschiedet werden muss, sieht nun unter anderem ein vorzeitiges Ende der Amtszeit und eine anschließende Neubesetzung der Ratsposten vor. Die Amtszeit der Landesrichterräte soll bereits 30 Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes auslaufen. Dies wird von der Opposition scharf kritisiert. Ihrer Ansicht nach verstößt die Verkürzung der Amtszeit gegen die Verfassung. Die Nationalkonservativen bestreiten diesen Vorwurf.

Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiniek, hatte schon während des Gesetzgebungsverfahrens die Sorge geäußert, das Gesetz könne die Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Justiz gefährden. Wegen umstrittener Eingriffe in die Justiz haben Polens Nationalkonservative bereits Ärger mit der EU-Kommission. Brüssel sieht die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts nach einer Reform 2015 eingeschränkt und führt ein Rechtsstaatsverfahren gegen das Land.