8000 Kilometer im Wohnzimmer radeln

Die Corona-Pandemie schlägt manchem offenbar aufs Gemüt. Andere versuchen, dem Eingesperrtsein durch wilde Aktionen zu entkommen. Zur zweiten Gattung gehört der französische Extremsportler Pascal Pich. Er will in seinen vier Wänden 8000 Kilometer mit dem Rad zurücklegen – alles natürlich für einen guten Zweck. 

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Ein monströser Kilometerstand

Pascal Pich selbst sagt zu seinem Vorhaben: „Der Kilometerstand ist ziemlich monströs, aber es ist nichts Außergewöhnliches. Das Außergewöhnliche ist, es ganz allein und eingesperrt zu tun.“

Der fünffache Weltmeister im Ultra-Triathlon, einem extremen Ausdauersport, bei dem Schwimmen, Radfahren und Laufen über lange Strecken kombiniert werden, radelt während der Corona-Pandemie stundenlang auf seinem sogenannten Rollentrainer, der in seiner kleinen Wohnung nahe der Stadt Nîmes in Südfrankreich steht. Im Online-Netzwerk Facebook rief Pich zu Spenden auf.

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Kaffeemaschinen und Mikrowellen gespendet

Gemeinsam mit einem Geschäftspartner habe er bereits rund hundert Kaffeemaschinen, Mikrowellen oder Tischtennisplatten besorgt und diese an 28 verschiedene Krankenhäuser verschenkt. „Jeder tut, was er tun will, und ich will in die Pedale treten, also trete ich in die Pedale“, sagte Pich, der beim Strampeln in seinem 14 Quadratmeter großen Wohnzimmer oft den Fernseher anschaltet. In acht Stunden legt er zwischen 250 bis 320 Kilometer zurück.

Seine erste Herausforderung war, die Strecke der 21 Etappen der Tour de France in 14 Tagen zu absolvieren – ohne seine Wohnung zu verlassen. Dafür musste er 3471 Kilometer zurücklegen. Insgesamt will er auf rund 8000 Kilometer kommen.

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Die Tour de France wird verschoben – das ist zu wenig

Die Macher der Rundfahrt denken nur an ihre eigenen Interessen und ignorieren die Gefahren der Corona-Pandemie – ein Kommentar:

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Zur Vernunft gedrängt

Nun haben auch die Verantwortlichen der Tour de France ein Einsehen gezeigt – zumindest ein bisschen. Die legendäre Frankreich-Rundfahrt wird wegen der Corona-Krise nicht abgesagt, aber um rund zwei Monate verschoben. Von alleine kamen die Tour-Macher aber nicht auf die Idee. Der französische Präsident Emmanuel Macron musste eine gewisse Entscheidungshilfe leisten, denn er hat alle Großveranstaltungen bis Mitte Juli verboten.

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Schwerer Schlag für die Teams

Natürlich gibt es gute Gründe, die Tour gegen viele Widerstände starten zu lassen. Für die Fahrer ist es der Höhepunkt des Sportjahres, für die Fans ein wunderbares Spektakel und die Teams generieren den Großteil ihrer Werbeeinnahmen während der drei Tour-Wochen. Ohne die Frankreich-Rundfahrt stünden einige Mannschaften vor dem Aus. Doch das rechtfertigt nicht die Gefahren, die im Moment mit einem möglichen Start einhergehen.

Unverständliches Zögern

Das Zögern der Tour-Verantwortlichen ist aus diesem Grund völlig unverständlich und erinnert an die Zeit, als der Radsport durch mehrere Doping-Skandale erschüttert wurde. Selbst als die Beweise damals bereits erdrückend waren, versuchten viele, die Realität auszublenden am alten Trott festzuhalten. Der ganze Tross schien in einem hermetisch abgeriegelten Radkosmos und nach eigenen Regeln zu leben.

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Eine Atmosphäre der Ignoranz

An diesem Zustand scheint sich wenig geändert zu haben. Nur in einer Atmosphäre der Ignoranz kann man nun an der Vorstellung festhalten, in Zeiten einer lebensbedrohlichen Pandemie einen Tross von vielen Hundert Menschen einmal quer durch Frankreich jagen zu dürfen. Ähnlich weltfremd ist die Idee, die Tour ohne Zuschauer stattfinden zu lassen. Allein der Gedanke, die Fans auf einer Länge von weit über 3000 Kilometern von der Strecke wegzusperren, ist reichlich abstrus.

Sportlichen Mega-Ereignisse wie die Olympischen Spiele oder die Fußball-EM werden in diesem Jahr nicht stattfinden. Das waren sehr schmerzliche, aber auch klare und notwendige Entscheidungen. Die Verantwortlichen der Tour de France sollten sich ein Beispiel daran nehmen.

Drinnen Geisterspiel – draußen Party

Beim Champions-League-Spiel Paris gegen Dortmund sitzen wegen des Coronavirus keine Fans auf der Tribüne, doch die feiern einfach vor dem Stadion eine rauschendes Fest. Es stellt sich die Frage: Wie sinnvoll sind unter diesen Umständen solche Spiele – und sollte man sie nicht ganz absagen? 

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Die Fans von PSG feiern den Sieg ihrer Mannschaft vor dem Stadion Parc des Princes

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Pyrotechnik vorm Feinsten vor dem Stadion

Drinnen im Stadion Parc des Princes mag Geisteratmosphäre herrschen, doch vor der grauen Betonschüssel ist die Hölle los. Silvesterraketen starten laut pfeifend aus der johlenden Menge und explodieren krachend am klaren Nachthimmel von Paris, PSG-Fans zünden Bengalos und tauchen die Szenerie in gleißend rotes Licht, riesige Fahnen werden geschwenkt, der Alkohol fließt in Strömen. Als das 2:0 für ihre Mannschaft fällt, kennt der Jubel aus vielen Tausend Kehlen keine Grenzen, die Anhänger liegen sich in den Armen, küssen sich, die Bierdusche aus halb ausgetrunkenen Flaschen ist inklusive. So sieht Fan-Kultur in Zeiten des Coronavirus aus.

Wegen der seit Wochen grassierenden Epidemie wird das Champions-League-Spiel zwischen PSG und Borussia Dortmund am Mittwoch in Paris ohne Zuschauer ausgetragen. Zur Sicherheit, wie die Verantwortlichen bei der Uefa betonen, damit sich das Virus nicht weiter ungehindert ausbreiten könne. Warnungen und gute Ratschläge gibt es viele, doch die werden alle in den Wind geschlagen, denn die Funktionäre haben die Rechnung ohne die Hardcore-Fans gemacht. Die haben sich zu Tausenden vor dem Stadion in Paris versammelt, verfolgen dort das Spiel am Radio oder am Smartphone via Internet und feiern eine riesige Party.

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Die PSG-Ultras stehen zu ihrem Verein

„Ich scheiße auf Corona“, grölt ein Fan und reckt dem Virus, das vielleicht auch in dieser Menschenmasse irgendwo sein Unwesen treibt, den ausgestreckten Mittelfinger entgegen. „Wir sind Ultras, wir stehen auch in schwierigen Zeiten hinter unserer Mannschaft,“ lautet sein unerschütterliches Credo. Das Konzept „Geisterspiele“ halten an diesem Abend vor dem Parc des Prince alle für kompletten Unsinn, erdacht von „Funktionären und anderen Feiglingen“. Die Frage nach der völligen Absage der Fußballspiele angesichts der Pandemie erübrigt sich angesichts dieser aufgeheizten Atmosphäre.

20.03-PSG03Weil auch ein „Geisterspiel“ irgendwie abgesichert werden muss, sind rund ums das Stadion mehrere Hundert Polizisten positioniert. Schon Stunden vor dem Anpfiff haben sie die Zufahrtstraßen abgeriegelt und kontrollieren vor allem den kurzen Weg von der Métro-Station Porte de Saint-Cloud zum Haupteingang des Parc des Princes. „Das ist eigentlich ein Einsatz wie bei einem normalen Spiel“, erklärt einer der Beamten. Es sei klar gewesen, dass trotz dieser „besonderen Umstände“ viele Fans kommen würden und man müsse darauf vorbereitet sein.

Die Polizei drückt beide Augen zu

In Frankreich sind Versammlungen mit mehr als 1000 Menschen wegen der Coronavirus-Epidemie untersagt, in diesem Fall wird zum Wohl des öffentlichen Friedens angesichts der krawallerprobten Ultra-Fans offensichtlich eine großzügige Ausnahme gemacht. Und so sitzen viele der Sicherheitskräfte gelangweilt in den wartenden Mannschaftsbussen in den Seitenstraßen – auch das ein idealer Tummelplatz für einen hinterhältigen Virus. Etwas ruhiger als vor dem Haupteingang bei den Hardcore-Anhängern geht es in den Bistros rund um das Stadion zu. Doch auch dort sitzen die PSG-Fans dicht gedrängt vor Großbildschirmen und bejubeln ihre Mannschaft. Die Kneipen sind restlos überfüllt und so bilden sich große Menschentrauben vor den Türen und Fenstern, denn jeder will einen Blick auf das TV-Geschehen im Innern erhaschen. Die Frage nach dem Virus wird auch in diesem Kreis mit einem Kopfschütteln beantwortet und wieder fällt der Satz von den „weltfremden Funktionären“, denen die Fans und der Fußball eigentlich egal seien. .

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Nach dem Match wird richtig gefeiert

Nach der gewonnenen Begegnung wird es vor dem Stadion noch einmal richtig kuschelig. Die Kicker von PSG zeigen sich auf einem Balkon den Fans, die sofort mit Macht gegen das Absperrgitter drängen und mit lauten Schlachtgesängen ihre siegreichen Idole huldigen und den lang ersehnten Einzug der Mannschaft ins Viertelfinale der Champions League feiern. Einige der Stars werfen ihre verschwitzten Trikots in die Menge, die dort von Hand zu Hand gereicht werden.

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Der Starstürmer Kylian Mbappé setzt sich schließlich in Buddha-Pose auf die breite Balustrade und schmäht unter dem Gejohle der Anhänger den Dortmunder Gegner. Der Grund: BVB-Stürmer Erling Haaland hatte im Hinspiel seine Tore mit dieser Geste gefeiert. Erst spät ziehen dann die Fans in Richtung Métro und fahren siegestrunken in den völlig überfüllten Zügen nach Hause. Zum Abschied gibt es dann wie immer – typisch französisch und gegen jede Coronavirus-Empfehlung – Küsschen links, Küsschen rechts.

Streit um ein Stück atmungsaktiven Stoff

Die Sportartikelkette Decathlon nimmt in Frankreich einen muslimischen Hidschab vom Markt. Die Kritik und der Hass, die dem Unternehmen entgegen schlug war einfach zu groß.

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Fehlstart für Decathlon

Die Sportartikel-Kette verzichtet in Frankreich auf den Verkauf eines Jogging-Kopftuches für Frauen. Grund für die Entscheidung sind allerdings nicht schlechte Verkaufsaussichten. Die Kritik und auch der Hass, die dem französischen Unternehmen entgegenschlug war zu groß. Eine vorher noch nie dagewesene „Welle von Beleidigungen und Drohungen“ sei über das Unternehmen niedergegangen, schreibt Decathlon auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

Der atmungsaktive muslimische Hidschab, der Haare und Hals der Sportlerinnen bedeckt, wurde bisher nur in Marokko verkauft, sollte nun aber auch in Frankreich auf den Markt kommen. „Wir stehen zu unserer Entscheidung, den Sport Frauen in aller Welt zugänglich zu machen,“ erklärte Xavier Rivoire, Kommunikationsdirektor des Unternehmens, in einem Radio-Interview nach der Entscheidung, den Hidschab aus dem Programm zu nehmen. Es handele sich „fast schon um ein gesellschaftliches Engagement“, da es auch Musliminnen das Joggen ermögliche.

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Scharfe Kritik aus der Politik

Das sehen allerdings vor allem französische Politikerinnen ganz anders. Aurore Bergé glaubt sogar die Werte der französischen Republik in Gefahr. „Der Sport emanzipiert. Er unterwirft nicht. Meine Wahl als Frau und als Bürgerin wird es sein, einer Marke, die mit unseren Werten bricht, nicht mehr zu vertrauen“, schreibt die Sprecherin der Regierungspartei La République en Marche auf Twitter. Gesundheitsministerin Agnès Buzyn erklärte, dass der Verkauf zwar legal sei, aber sie die Idee dahinter nicht teile. Manche Politiker fordern sogar ganz offen den Boykott des Unternehmens. In den sozialen Netzwerken werden die Nutzer allerdings deutlicher. Werde Decathlon in Zukunft auch Bombengürtel in sein Programm aufnehmen, fragt ein Internet-User.

Decathlon ist von Reaktionen erstaunt

Mit solch heftigen Reaktionen hatten die Verantwortlichen von Decathlon offensichtlich nicht gerechnet, zumal der US-Sportartikelhersteller Nike schon seit einer Zeit einen Hidschab im Programm hat. „Das Produkt provoziert Reaktionen“, schreibt Decathlon auf Twitter. „Man kann verstehen, dass nicht die ganze Welt einer Meinung ist“, heißt es, es dürfe aber nicht sein, dass „unsere Angestellten in unseren Geschäften beleidigt und bisweilen sogar körperlich bedroht werden“.
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Die Leiterin von Decathlons Jogging-Sparte Kalenji, Angélique Thibault, hatte den Sport-Hidschab noch mit emotionalen Worten verteidigt. Sie werde von dem Wunsch angetrieben, „dass jede Frau in jedem Viertel laufen kann, in jeder Stadt, in jedem Land, unabhängig von ihrem sportlichen Können, ihrer Fitness, ihrem Körperbau, ihrem Einkommen. Und unabhängig von ihrer Kultur.“ Genützt hat es wenig – der Hidschab wird in Frankreich nicht verkauft werden.