Die Verlierer der Kriege

Millionen Kinder sind auf der Flucht und bleiben deshalb ohne Bildung. Das ist eine Katastrophe für die Zukunft der Bürgerkriegsländer.

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Unicef versucht den syrischen Flüchtlingen zu helfen.

Millionen auf der Flucht

Kinder sind die Zukunft eines Landes. Sie sind es, die in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren mit ihrer Arbeit für den Wohlstand in einer Gesellschaft sorgen. Aus diesem Grund sind die Zahlen des UNHCR besorgniserregend. Mehr als die Hälfte der von dem Hilfswerk betreuten Kinder besuchen keine Schule. Rund 3,7 Millionen der insgesamt sechs Millionen Mädchen und Jungen erhielten keinen Unterricht, heißt es in der aktuellen Studie. Die Analyse zeigt nur einen kleinen Ausschnitt der wahren Misere. Denn unter dem Mandat des UNHCR sind lediglich rund 16 Millionen geflüchtete Männer, Frauen und Kinder erfasst. Insgesamt sind mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht.

Das Bildungssystem ist zusammengebrochen

Das sind düstere Aussichten, etwa für ein Bürgerkriegsland wie Syrien. Wer soll das Land wieder aufbauen, wenn die Kämpfe eines Tages zu Ende sind? Der materielle Schaden ist relativ einfach wieder zu richten – ein Haus ist schnell wieder aufgebaut. Die wahren Probleme sind ganz andere. Wer lehrt an den Schulen und an den Universitäten? Das Bildungssystem ist zusammengebrochen. Wo sind die Jugendlichen, die in den vergangenen Jahren die nötige Schulbildung bekommen haben, um zum Arzt, Architekt oder Ingenieur ausgebildet zu werden?

Ein Strom von Flüchtlingen

In Syrien wird immer wieder von einer verlorenen Generation gesprochen. Gemeint sind damit die Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten mussten. Seit Beginn des Krieges vor über fünf Jahren hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung ihr Zuhause verlassen. Der Bürgerkrieg führte zu einem der größten Flüchtlingsströme seit dem Zweiten Weltkrieg. Die wahren Verlierer aber sind die Millionen syrischer Kinder, die in diesem Chaos traumatisiert und ohne Bildung zurück geblieben sind. Syrien blickt vor allem aus diesem Grund in eine düstere Zukunft.

Millionenfaches Leid der Kinder

New York – Kinder sind immer häufiger die Leidtragenden von Konflikten. Das ist das ernüchternde Fazit des UN-Kinderhilfswerks Unicef. Rund 50 Millionen Kinder sind weltweit auf der Flucht oder haben ihr Zuhause auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen müssen, heißt es in einem Bericht der Organisation. Zum ersten Mal hat Unicef in ihrem Report mit dem Titel „Uprooted“ (Entwurzelt) alle verfügbaren Informationen über die globale Situation mit Blick auf das Schicksal der Kinder zusammengetragen.

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Ein syrischer Flüchtlingsjunge in einem illegalen Camp im Bekaa-Tal

Kinder überproportional betroffen

„Unauslöschliche Bilder von einzelnen Kindern – wie das Foto des ertrunkenen Jungen Aylan Kurdi, der am Strand angespült wurde, oder das erschütterte und blutverschmierte Gesicht von Omran Daqneesh im Krankenwagen nach der Zerstörung seines Hauses – haben die Welt schockiert“, sagte Unicef-Exekutivdirektor Anthony Lake bei der Präsentation des Berichtes in New York. „Aber jedes Bild eines Mädchens oder eines Jungen steht für Millionen von Kindern in Gefahr.“

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind weltweit über 65 Millionen Menschen auf der Flucht – das ist ein historischer Höchsttand. Fast die Hälfte dieser Verzweifelten ist unter 18 Jahre alt, obwohl diese Altersgruppe nur rund ein Drittel der Weltbevölkerung ausmacht. Kinder sind also überproportional hoch betroffen. Heute ist eines von 200 Kindern weltweit ein Flüchtlingskind. Im Bericht von Unicef heißt es: „Je nach Situation gelten diese Mädchen und Jungen als Migranten, Flüchtlinge, Asylsuchende oder Binnenvertriebene – aber sie sind vor allem eins: Kinder.“

Die Gefahren der Flucht

IMG_0973Das Problem wird noch dadurch verschärft, dass immer mehr Kinder ihre Heimat alleine, ohne den Schutz von Eltern oder Verwandten verlassen. Dabei nehmen sie zahllose Gefahren auf sich wie Ertrinken, Unterernährung, Menschenhandel, Missbrauch bis hin zu Vergewaltigung und Mord. Im vergangenen Jahr haben dem Bericht des Kinderhilfswerks  Unicef zufolge über 100.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in 78 Ländern Asyl beantragt – das  dreimal so viele wie im Jahr 2014.

Die 22 Millionen entwurzelten Kinder, die nicht unmittelbar vor Konflikten geflüchtet sind, haben ihre Heimat laut Unicef verlassen, um beispielsweise extremer Armut oder gewalttätigen Gangs zu entkommen. Die meisten von ihnen suchen demnach Schutz in ihrer Heimatregion. Die Folge: Die zehn Länder, die die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben, liegen alle in Asien oder Afrika.

Die Zahl der insgesamt registrierten Flüchtlingskinder hat sich dem Bericht zufolge zwischen den Jahren 2005 und 2015 verdoppelt. Fast die Hälfte aller registrierten Flüchtlingskinder kommt aus Syrien oder Afghanistan.

Die meisten Flüchtlinge leben in der Türkei

Die meisten Migranten unter 18 Jahren leben in den USA (3,7 Millionen), gefolgt von Saudi-Arabien (2,0 Millionen) und Jordanien (1,4 Millionen). Wahrscheinlich leben den Angaben zufolge allerdings die meisten Flüchtlingskinder in der Türkei, wie es in dem Bericht heißt. Es gebe dazu keine vollständigen Zahlen, das Land habe aber bei weitem weltweit die meisten registrierten Flüchtlinge aufgenommen.

Auch in Europa ist der Anteil der minderjährigen Flüchtlingen stark angestiegen. Mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr beantragten 2015 in der Europäischen Union oder im Schengen-Raum Asyl. 18 Prozent aller Migrantenkinder leben in Europa. Der Anteil der Kinder unter den Migranten ist in Europa mit sieben Prozent aber der niedrigste aller Weltregionen. Von den europäischen Ländern, die viele Flüchtlinge aufgenommen haben, veröffentlichen nur Deutschland und Serbien umfassende Zahlen zu Flüchtlingskindern.

Chancen durch Flüchtlinge

Wo es sichere und legale Routen gebe, könne Migration sowohl für die Kinder als auch die aufnehmenden Gemeinden Chancen bieten, heißt es in dem Bericht. Den Kindern käme allerdings häufig der mögliche Nutzen der Migration nicht zugute. Bessere Chancen auf Bildung seien etwa ein wichtiger Auswanderungsgrund; bei Flüchtlingskindern sei es aber fünfmal so wahrscheinlich, dass sie nicht zur Schule gingen wie bei anderen Kindern. Zudem würden diejenigen, die zur Schule gehen, häufig diskriminiert.

Unicef formuliert sechs Ziele und Empfehlungen zum Wohle der Kinder: Regierungen und andere Gruppen sollen demnach Migranten- und Flüchtlingskinder vor Ausbeutung und Gewalt beschützen, die Kinder nicht mehr festnehmen, Familien zusammenhalten, den Kindern Zugang zu Bildung und Gesundheitsleistungen verschaffen, und Fluchtursachen ebenso bekämpfen wie Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Ausgrenzung.

Hier geht es zu einem Text zum Thema in der Stuttgarter Zeitung

Hier geht es zu einem Text über das Flüchtlingslager in Calais

Jede Minute sterben elf Kinder

Die Meldung klingt wie ein Erfolg: Die Rate der weltweit frühzeitig gestorbenen Kinder hat sich einem neuen UN-Bericht zufolge seit 1990 mehr als halbiert. Laut Statistik ist das ein Erfolg. Tatsache aber ist: noch heute sterben jeden Tag 16.000 Kinder, 700 Kinder jede Stunde und elf Kinder pro Minute.

12.11-syrien02 Ein Junge in einem Flüchtlingslager in Syrien in der Nähe von Aleppo.

Tod vor dem fünften Geburtstag

Die aktuellen Zahlen über die Kindersterblichkeit veröffentlichte das Kinderhilfswerk Unicef in New York Schätzungen. Nach Schätzungen der Hilfsorganisation liegt die Zahl der Kinder, die vor ihrem fünften Geburtstag sterben, in diesem Jahr erstmals unter den Wert von sechs Millionen. Das UN-Millenniumsziel, die Kindersterblichkeit bis 2015 um zwei Drittel zu reduzieren, wurde damit jedoch verfehlt.

Den Zahlen zufolge werden in diesem Jahr 5,9 Millionen Kinder auf der Welt sterben. 1990 waren es noch 12,7 Millionen. Unicef berichtete davon, dass seit der Verpflichtung zu dem Ziel im Jahr 2000 die Leben von insgesamt rund 48 Millionen Kleinkindern gerettet worden seien.

Der Tod gehört zum Alltag

Die Verbesserungen dürften jedoch nicht den Fakt verschleiern, dass noch heute 16 000 Kinder pro Tag sterben, hieß es in dem Bericht. 45 Prozent der Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren ereignen sich laut Unicef bereits im ersten Lebensmonat. Für rund eine Million Babys ist ihr Geburts- auch gleichzeitig der Todestag. Der frühe Tod dieser Kinder hätte in den meisten Fällen durch einfache Mittel verhindert werden können, heißt es von Seite der Unicef. Es sind einfache Maßnahmen, die in Deutschland selbstverständlich sind – zum Beispiel sauberes Wasser, Impfungen und gute Versorgung vor, während und nach der Geburt.

Afrika leidet am meisten

Die größte Last der weltweiten Kindersterblichkeit – 80 Prozent – tragen laut Unicef nach wie vor die Länder im südlichen Afrika und in Südasien. Das größte Risiko hat statistisch gesehen ein Kind in Angola: 157 von 1000 Kindern in dem Land überleben nicht. In Deutschland liegt die Kindersterblichkeitsrate bei vier pro 1000 Lebendgeburten.

Verantwortlich für den Report waren neben Unicef die Weltgesundheitsorganisation WHO, die Weltbankgruppe und die Bevölkerungsinstitution der Vereinten Nationen. Die Vereinten Nationen hatten im Jahr 2000 acht Entwicklungsziele vereinbart, die sogenannten Millenniumsziele (MDG). Die UN-Vollversammlung will in diesem Monat in New York weitere, nachhaltige Entwicklungsziele (SDG) verabschieden.

Für jedes zehnte Kind gehört der Krieg zum Alltag

Das Kinderhilfswerk Unicef mahnt in seinem Jahresbericht 2015 mehr Hilfe für Kinder in Krisen- und Konfliktgebieten an.

12.11-syrien02 Kinder leiden am meisten unter Kriegen – wie hier in einem Flüchtlingslager in Syrien

Kinder sind die Opfer

Die  Zahlen sind erschreckend. Nach Angaben von Unicef wächst jedes zehnte Kind weltweit in einem Kriegsgebiet auf. Das Kinderhilfswerk der UN rechnet in seinem neuen Bericht „Kinder zwischen den Fronten“ vor, dass derzeit rund 230 Millionen Kinder in ihren prägenden Lebensjahren Unsicherheit, Hass und Gewalt erleben – und die die Situation wird sich nicht verbessern. Er gehe davon aus, dass die Zahl der Minderjährigen, die in Konfliktgebieten und in instabilen Staaten leben, in den kommenden drei Jahren noch weiter ansteigen wird, sagte Unicef-Programmdirektor Ted Chaiban am Dienstag bei der Vorstellung des Berichts in Berlin. „Wir erleben weltweit eine der schlimmsten Phasen von Konflikten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges“, so der Unicef-Chef. „Es besteht die Gefahr, dass ganze Generationen von Kindern Gewalt und Instabilität als normalen Teil ihres Lebens ansehen.

Kinder als Zielscheibe

Die schwersten Misshandlungen, so steht es in dem Unicef-Bericht, drohten Kindern aktuell in Syrien, im Irak, im Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik. „Mädchen und Jungen werden direkt zur Zielscheibe von Gewalt, entführt und versklavt“. Gruppen wie die Terrormilizen Islamischer Staat (IS) und Boko Haram missachteten die Prinzipien des humanitären Völkerrechts bewusst, um dadurch maximale Aufmerksamkeit zu erregen. Trotzdem übten sie bedauerlicherweise vor allem auf einige junge Menschen eine gewisse Faszination aus, stellt der Unicef-Bericht fest. „Ideologien wie die des IS versprechen Abenteuer, soziale Nähe und das Gefühl, Grenzen überwinden zu können, die Jugendlichen im Alltag auferlegt werden“, ist dort zu lesen.

Mangelnde Spendenbereitschaft

Bei der Präsentation des Berichts in Berlin mahnten die Vertreter des Hilfswerks mehr Unterstützung für die Kinder in den Krisen- und Konfliktgebieten an. Die Spendenbereitschaft bei Katastrophen sei stets höher, gab Unicef-Vorstand Jürgen Heraeus zu Bedenken. Dabei bräuchten Kinder in Konfliktregionen über einen deutlich längeren Zeitraum Hilfe. Nach Schätzungen des Hilfswerks benötigen allein in diesem Jahr mehr als 62 Millionen Kinder in Krisengebieten Nahrung, sauberes Wasser, medizinische Hilfe, Notschulen und Schutz vor Gewalt. Unicef rechnet mit Kosten von mehr als drei Milliarden US-Dollar (rund 2,7 Milliarden Euro) für diese Grundversorgung der Kinder.

Gleichzeitig rief die UN-Organisation die Spender auf, bei humanitärer Hilfe nicht nur an Nahrung, Kleidung und Obdach zu denken, sondern auch an Schulbildung für die jungen Kriegsopfer. Deutschland gehört zu den wichtigsten Geldgebern der Unicef-Schulprojekte für syrische Flüchtlingskinder. Der Unterricht sei wichtig, damit diese Kinder und Jugendlichen „einen Blick auf die Welt bekommen, der von Hoffnung geprägt ist und nicht von Hass“, sagte Ted  Chaiban.

Die Kinder nicht vergessen

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) kritisierte in dem Unicef-Bericht die aus seiner Sicht mangelhafte Spendenbereitschaft für die Flüchtlinge und Vertriebenen aus Syrien. „Die Weltgemeinschaft muss reagieren und ihre Zusagen einhalten“, betonte Müller. Angesichts der Vielzahl von Krisen, die bereits seit Jahren andauerten, habe auch die Spendenbereitschaft von Privatleuten für die Hilfe in diesen Regionen nachgelassen. Für Entwicklungsminister Müller bedeutet diese Entwicklung, dass „wir Hunderttausende, Millionen von Kindern einfach ihrem Schicksal überlassen.“

Kinder an der Front

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Im ostafrikanischen Krisenland Südsudan haben bewaffnete Kämpfer  89 Jungen entführt. Ihnen droht das Schicksal, als Kindersoldaten rekrutiert zu werden – wie Hunderttausende Minderjährige weltweit. Die seelischen Folgen sind verheerend.  Von Knut Krohn

Die  Vereinten Nationen nennen sie eine „Liste der Schande“. Auf ihr stehen 17 Länder, in denen Kindersoldaten in blutigen Konflikten eingesetzt werden. Mehr als 250 000 sollen es nach UN-Schätzungen auf der ganzen Welt sein. Diese Kinder werden gezwungen zu töten und zu plündern, sie müssen an die Front oder werden sexuell ausgebeutet.   Oft werden sie von den Vorgesetzten als weniger wertvoll angesehen wie erwachsene Soldaten und an besonders gefährlichen Stellen an der Front eingesetzt, zum Beispiel als Spione, Vorhut oder Minensucher. Entsprechend hoch ist das Risiko, verletzt oder getötet zu werden.

Längst sind Kinder bei vielen bewaffneten Kriegsparteien fester Bestandteil der militärischen Infrastruktur – sowohl in regulären Armeen wie auch bei Rebellengruppen. Der Alltag dieser Kindersoldaten ist geprägt durch Gewalt, ihre Erziehung basiert auf bedingungslosem Gehorsam.

Keine andere Wahl

Oft haben sie keine andere Wahl, als im Krieg mitzumachen. Viele werden noch als Halbwüchsige mit Waffengewalt ihren Eltern entrissen – wie die 89 Jungen, die jetzt im Südsudan von uniformierten Kämpfern verschleppt wurden. „Die Kinder werden unvorstellbarer Gewalt ausgesetzt, sie verlieren ihre Familien und ihre Chance auf Schulbildung“, sagt der Unicef-Vertreter im Südsudan, Jonathan Veitch. Andere schließen sich aus Not und wegen der Armut ihrer Familien den Soldaten an, die ihnen Verpflegung und Gemeinschaft versprechen.

Viele Kindersoldaten bleiben für den Rest ihres Lebens traumatisiert. Was sie durchgemacht haben, lassen die Interviews erahnen, die das Hilfswerk Terre des hommes mit minderjährigen Kriegern geführt hat. So berichtet der 16-jährige Hassan aus Sierra Leone: „Ich glaube, es gibt keine schlimmen Sachen, die ich noch nicht gemacht habe. Als wir in diesem Lager waren, kommen sie mit Leuten, die sie festgenommen haben. Sie haben uns immer Messer gegeben, die Hände abzuschneiden oder abzuhacken – manchmal bei Kindern. Und bei Kindern ­gehen die Hände einfach weg, und bei den Erwachsenen bleiben die Hände manchmal auch ein bisschen hängen. Und manchmal, wenn sie Frauen haben, die sie umbringen wollen, sagen sie, wir müssen diese Leute erschießen. Wenn wir diese Leute erschossen haben, dann sind wir ein Mann geworden.“

Keine Chance

Die Kinder haben keine Chance zu fliehen oder sich den Fängen ihrer Peiniger zu entziehen. Diejenigen, die sich weigern, die grausamen Befehle auszuführen, werden oft vor den Augen anderer Kindersoldaten bestraft oder sogar getötet. In manchen Fällen bekommen die Kinder Alkohol und andere Drogen verabreicht –  entweder, um ihre Angst vor dem Kampfeinsatz zu verringern, oder, um sie für ihre Kommandanten gefügig zu machen. Einige Kinder werden sogar dazu gezwungen, eigene Familienmitglieder zu töten. Das macht sie vollständig abhängig von der bewaffneten Gruppe.

Die Vereinten Nationen streichen die Brutalität von fünf Terrororganisationen bei der Rekrutierung von Kindern heraus. Dazu zählen Boko Haram in Nigeria, die Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) und die Islamisten der Nusra-Front und von Ahrar al-Scham in Syrien. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch beschrieb jüngst, wie der IS Kindersoldaten anwirbt und für den Kampf gewinnt. Kindern würde gratis Schulunterricht angeboten, heißt es in dem 31 Seiten langen Report. Tatsächlich aber lernen die Kinder bei den Dschihadisten nicht nur mit der Waffe umzugehen, sondern auch, dass der IS den Willen Gottes erfülle und Andersdenkende den Tod verdienten. An manchen Tagen spendieren die IS-Kämpfer auch Zuckerwatte und Eis.

Eine verlorene Generation

Human Rights Watch warnt vor einer „verlorenen Generation“ in Syrien, denn diese Kinder könnten nicht vergessen, was sie gesehen und getan haben. Die Organisation fordert eine spezielle psychologische und soziale Betreuung für die ehemaligen Kindersoldaten. Eines der großen Probleme sei, beschreibt Human Rights Watch, dass die Kinder im Krieg jeglichen Halt verloren hätten und sich außerhalb der gewohnten Strukturen von Kampfverbänden nicht mehr zurechtfinden würden. Diejenigen, die zurückkommen, fühlen sich ausgegrenzt und isoliert und können sich an ein Leben außerhalb der Rebellenlager nur schwer gewöhnen. „Sie ziehen sich zurück und haben Probleme, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden“, erläutert die Unicef-Expertin Sheema Sen Gupta, die in Somalia für die Abteilung Kinderschutz verantwortlich ist. „Natürlich gibt es noch andere posttraumatische Stressreaktionen wie etwa Albträume oder Appetitlosigkeit.“ Andere hätten Probleme, sich normal auszudrücken, menschliche Bindungen einzugehen oder auch Konflikte friedlich zu lösen.

Eine zunehmende internationale Aufmerksamkeit und Lobbyarbeit haben dazu geführt, dass der Einsatz von Kindersoldaten inzwischen durch eine Reihe von Abkommen geächtet wird.  Die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern unter 15 Jahren können seit mehr als zehn Jahren vor dem ­Internationalen Strafgerichtshof als Kriegsverbrechen geahndet werden. Die ersten Anklagen und Prozesse laufen derzeit, unter anderem gegen den früheren kongolesischen Milizenchef Thomas Lubanga, den ehemaligen liberianischen Machthaber Charles Taylor und den sudanesischen Staatspräsidenten Omar al-Baschir.

Wenige werden gerettet

In ganz seltenen Fällen gelingt es sogar, die Kinder vor ihrem Schicksal zu retten. So schaffte es Unicef erst vor wenigen Wochen, mit einer Miliz im Südsudan die Freilassung von rund 3000 Kindersoldaten auszuhandeln. Die Elf- bis 19-Jährigen hatten bis zu vier Jahre lang für die South Sudan ­Democratic Army Cobra Faction gekämpft. „Viele dieser Kinder haben Dinge erlebt und Dinge getan, die selbst für ausgebildete erwachsene Soldaten traumatisch wären“, sagt Doune Porter von Unicef im Südsudan. Jetzt erwarte sie endlich eine bessere Zukunft: „Die meisten haben nie eine Schule besucht und freuen sich sehr darauf, nun endlich Lesen und Schreiben zu lernen.“

Infos zu Kindersoldaten:

Schutz – Das Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention zu Kindern in bewaffneten Konflikten aus dem Jahr 2002 verpflichtet Staaten zu einem weit reichenden Schutz Minderjähriger.

Mindestalter – Die 139 teilnehmenden Staaten haben unterzeichnet, dass das Mindestalter, in dem eine Person  den Streitkräften beitreten kann, 15 Jahre betragen muss. Die große Mehrheit der Vertragsstaaten hat das Mindestalter inzwischen aber auf 18 Jahre festgelegt.

Ausnahmen – Laut dem „Globalen Report zu Kindersoldaten 2008“ werden in  Australien, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Russland und den USA schon 16-Jährige für den Dienst angeworben.

Deutschland -Bei der Bundeswehr beginnen jedes Jahr einige Hundert 17-Jährige eine militärische Laufbahn, sei es neuerdings im Freiwilligen Dienst (FWD) oder im Zuge bestimmter militärischer Ausbildungen.