Polens Lotse Kaczynski ist wieder an Bord

Er ist wieder da! Die Spekulationen haben ein Ende. Der Chef der in Polen regierenden PiS-Partei, Jaroslaw Kaczynski, ist nach einer Kniebehandlung nach mehr als fünf Wochen aus dem Krankenhaus entlassen worden.

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Jaroslaw Kaczynski an Krücken

Bilder zeigen, wie der 68-Jährige das WIM-Militärkrankenhaus in Warschau am Freitag nach 37-tägigem Aufenthalt an Krücken verlässt. Seine lange Abwesenheit aus der Öffentlichkeit hatte in Polen Spekulationen um seinen Gesundheitszustand ausgelöst. Nun sorgte die Krankenhausleitung für Aufklärung: Kaczynski sei wegen Arthrose operiert und anschließend fachübergreifend behandelt worden. Die Behandlung sei „komplex“ gewesen und solle ambulant fortgesetzt werden.

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Spekulationen um den Gesundheitszustand

Das plötzliche Verschwinden Kaczynskis war eines der wichtigen Themen in den polnischen Medien, die über den wahren Gesundheitszustand der grauen Eminenz der polnischen Politik orakelten. Genau wurde aufgezählt, wann welcher Arzt womöglich den PiS-Chef besucht haben könnte. Die liberale „Gazeta Wyborcza“ mutmaßte Schlimmes: die angebliche Knieoperation habe nicht stattgefunden, stattdessen werde Kaczynski wegen eines Krebsleidens behandelt. Beweise dafür gab es freilich nicht.

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Kein Bild aus dem Krankenzimmer

Angeheizt wurden die Spekulationen dadurch, dass immer selbst viele PiS-Politiker offenbar nicht wussten, wie es um den Gesundheitszustand ihres Vorsitzenden stand. Es gab auch keine Bilder aus dem Krankenzimmer. Die Parteispitze erkläre nur immer wieder, dass Kaczynski bald aus dem Krankenhaus entlassen werde.

Schließlich berichtete die „Gazeta Wyborcza“, innerhalb der PiS gebe es bereits Kämpfe darum, wer dem 68-Jährigen als Parteichef nachfolgen solle. Polnische Medien nennen immer wieder Kaczynskis engen Vertrauten Joachim Brudzinski als möglichen Nachfolger. Er ist derzeit Innenminister.

Nun ist Kaczynski also wieder an Bord – die Spekulationen über seinen Gesundheitszustand dürften allerdings nicht verklingen.

Polens Premier spricht von „jüdischen Tätern“ – ein bisschen

Die polnische Regierung hat einen – gelinde gesagt – irritierenden Blick auf die Geschichte.  Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sagte auf der Münchner Sicherheitskonferenz mit Bezug auf das umstrittene polnische Holocaust-Gesetz, in der NS-Zeit habe es neben deutschen auch polnische, russische, ukrainische und „jüdische Täter“ gegeben.

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Großes Entsetzen in Israel

Das Entsetzen ist vor allem in Israel groß. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bezeichnete die Bemerkung als „empörend“. Netanjahu, der ebenfalls an der Sicherheitskonferenz teilnahm, bescheinigte Morawiecki eine „Unfähigkeit, Geschichte zu verstehen“ und ein „mangelndes Gefühl für die Tragödie unseres Volkes“.

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Relativierung aus Polen

Inzwischen hat man sogar in Warschau verstanden, dass die Aussagen Morawieckis verstörend waren. Auf der Homepage der polnischen Regierung erschien am Sonntag eine als „Stellungnahme des Regierungssprechers“ betitelte Erläuterung in polnischer und englischer Sprache. Morawiecki habe „keinesfalls beabsichtigt, jüdischen Holocaust-Opfern eine Verantwortung für den von deutschen Nazis begangenen Völkermord vorzuwerfen“, heißt es darin. Im Gegenteil habe Morawiecki die Leugnung des Holocausts ebenso wie jede Form von Antisemitismus entschieden abgelehnt. Polen wolle mit Israel weiterhin im vertrauensvollen Dialog bleiben, wird betont.

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Oświadczenie Rzecznika Rządu

 Głos Premiera Mateusza Morawieckiego w dyskusji w Monachium w najmniejszym nawet stopniu nie służył negowaniu Holokaustu ani obciążaniu Żydowskich Ofiar jakąkolwiek odpowiedzialnością za niemieckie ludobójstwo.
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Die am Sonntag veröffentlichte Stellungnahme geht aber nicht direkt auf jene Formulierung des polnischen Regierungschefs ein, die Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am meisten empört hatte.

Ein Kranz für eine zweifelhafte Truppe

In München hat der polnischer Premier Morawiecki  auch Blumen am Grab von Soldaten der NSZ-Heiligkreuz-Brigade in München niedergelegt. Die Angehörigen der im September 1942 gegründeten »Nationalen Streitkräfte« (NSZ) hätten sich im Kampf gegen Nazi-Deutschland „um die Republik verdient gemacht“, heißt es in der Resolution des Parlaments in Warschau zu deren 75. Gründungsjubiläum.

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Doch hat der NSZ hat auch sehr dunkle Seiten. Viele Mitglieder stammten offensichtlich aus dubiosen nationalistischen Kreisen. die für ein autoritäres, ethnisch gesäubertes Polen mit katholischer Staatsreligion eintraten.

NSZ- und NZW-Einheiten sind für zahlreiche Übergriffe auf nationale Minderheiten während und nach dem Zweiten Weltkrieg verantwortlich. Dazu gehören etwa die sogenannten „Eisenbahnaktionen“. Dabei handelte es sich um Überfälle auf Züge mit Repatrianten aus der Sowjetunion, bei denen gezielt jüdische Polen ermordet wurden. Auch Überfälle auf von orthodoxen Christen bewohnte Dörfer im Nordosten Polens mit zahlreichen zivilen Opfern sind dokumentiert.

Polen fordert Landsleute im Ausland zur Denunziation auf

Polen lässt nicht locker. Auf den Online-Seiten der polnischen Konsulate in Deutschland werden die Besucher aufgefordert, vermeintliche anti-polnische Äußerungen an polnische Botschaften und Konsulate zu melden. Dabei geht es vor allem um die von Polen zu Recht kritisierte Formulierung „polnische Todeslager“ für die von den Nazis während de zweiten Weltkrieges betriebenen Vernichtungslager auf polnischem Boden.

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Seite auf der Online-Seite des polnischen Konsulats in Hamburg, wo Besucher aufgefordert werden, anti-polnische Äußerungen zu melden.

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Ein Schreiben des Senatsmarschalls

Auf den Internet-Seiten der Konsulate wird die Seite als „GermanDeathCamps.info – Polish Radio’s educational website“ deklariert. Wer auf den Link klickt, wird weitergeleitet auf eine Seite mit einer kurzen geschichtlichen Präsentation geleitet, die offensichtlich vom polnischen Radio produziert wurde.

Dem NDR liegt nach eigenen Angaben ein dreiseitiges Schreiben vor, in dem der polnische Senatsmarschall Stanislaw Karczewski die im Ausland lebenden Polen auf, vermeintliche anti-polnische Äußerungen an polnische Botschaften und Konsulate zu melden. Wörtlich heiße es in dem Schreiben: „Bitte dokumentieren Sie alle anti-polnischen Äußerungen, Darstellungen und Meinungen, die uns schaden, und reagieren Sie darauf. Informieren Sie unsere Botschaften, Konsulate und Honorarkonsulate über jede Verleumdung, die den guten Ruf Polens beeinflusst.“

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Weltweit an Botschaften verteilt

Das Schreiben wird den Angaben zufolge weltweit über die polnischen Botschaften und Konsulate verbreitet. Anlass für den Brief sei das umstrittene Holocaust-Gesetz, das Präsident Andrzej Duda in der vergangenen Woche trotz Kritik unterzeichnet hat. Das Gesetz droht denjenigen eine Strafe von bis zu drei Jahren an, „die öffentlich und wahrheitswidrig dem polnischen Volk oder Staat“ eine Mitschuld an Verbrechen zuweisen, die durch das NS-Regime begangen wurden.

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Eine Frage des nationalen Stolzes

Für Karczewski sind Polen im In- und Ausland seit vielen Jahren „konfrontiert mit der schmerzhaften, ungerechten- und vor allem – faktisch nicht richtigen Formulierung ‚polnische Todeslager’ ebenso wie mit der Beschuldigung, Polen sei in den Holocaust involviert gewesen“. Dies sei eine Kränkung der nationalen Würde und des nationalen Stolzes, schreibt der polnische Senatsmarschall.

Noch keine „Ausführungsbestimmung“ für das Gesetz

Auf NDR-Anfrage teilte der polnische Botschafter in Berlin Andrzej Przylebski mit, bei dem Aufruf handele es sich um „die üblichen Aufgaben einer diplomatischen bzw. konsularischen Vertretung“. Auf die Frage des NDR, wie die diplomatischen Vertretungen mit solchen Meldungen umgehen wollen und ob Maßnahmen zur Strafverfolgung vorgesehen sind, teilte der polnische Botschafter mit, es gebe noch keine Ausführungsbestimmungen für das Gesetz.
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Der Premier verteidigt das umstrittene Gesetz

Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki verteidigte das umstrittene Gesetz unterdessen. In den vergangenen 70 Jahren habe man sich daran gewöhnt, Polen als „Prügelknaben“ zu behandeln, sagte er im Interview der „Welt“ (Donnerstag). „Wir müssen die Wahrheit über diese Zeit erzählen, und Europa muss diese Wahrheit hören.“

Morawiecki räumte ein, es gehöre auch zur Wahrheit, „dass es unter den grausamen Bedingungen im besetzten Polen Hunderte, Tausende Menschen gab, die Verbrechen begangen, zum Beispiel Juden denunziert haben.“ Der Regierungschef sprach sich für gemeinsame Forschungsprojekte aus, „die klären, wie viele solcher Menschen es gegeben hat. Aber die Lage in Polen unter deutscher Besatzung darf man nicht aus den Augen verlieren.“

Polen verabschiedet ein Holocaust-Gesetz – und erntet zu Recht Kritik

Was hat sich die polnische Regierung dabei gedacht? Der Senat in Warschau hat ein umstrittenes Gesetz gebilligt. Es sieht Geldstrafen und bis zu drei Jahre Gefängnis für Personen vor, die „öffentlich und entgegen der Fakten dem polnischen Volk oder dem polnischen Staat die Verantwortung oder Mitverantwortung für die vom deutschen Dritten Reich begangenen nationalsozialistischen Verbrechen“ zuschreiben.

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Die Täter sollen bestraft werden

Auch die grobe Verharmlosung der Verantwortung der tatsächlichen Täter soll bestraft werden. Aussagen „im Rahmen einer künstlerischen oder wissenschaftlichen Tätigkeit“ fallen nicht unter das Gesetz. Es richtet sich unter anderem gegen die falsche Bezeichnung „polnisches Todeslager“ für Auschwitz und andere ehemalige NS-Konzentrationslager; die Formulierung wird in dem Gesetz jedoch nicht genannt.

Keiner kann die Schuld der Deutschen leugnen

Doch weshalb dieses Gesetz? Fakt ist: wer halbwegs bei klarem Verstand ist, wird die Schuld der Deutschen am Zweiten Weltkrieg leugnen. Es waren Deutsche, die den Massenmord an den Juden in ganz Europa erdacht und geplant haben. Die Vernichtungslager  Auschwitz, Treblinka, Belzec, Sobibor und Majdanek wurden von den Nationalsozialisten auf dem Gebiet des besetzten Polen errichtet.
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Ein schlechtes Gesetz

Wird von „polnischen Vernichtungslagern“ gesprochen oder geschrieben, dann ist das verletzend und in den meisten Fällen eine fahrlässige Gedankenverlorenheit – aber kein Angriff auf Polen. Es ist richtig, dass die Polen immer wieder darauf hinweisen, dass es deutsche Vernichtungslager auf polnischem Boden sind. Das Gesetz geht deshalb an der Sache vorbei und die Regierung in Warschau bricht damit einen gefährlichen diplomatischen Streit vom Zaun.

Kritik aus dem Ausland

Israel, die USA und die Ukraine kritisieren das Gesetz. „Israel widersetzt sich kategorisch der Entscheidung des polnischen Senats“, betonte das israelische Außenministerium auf Twitter. „Jeder Versuch, die historische Wahrheit anzufechten,“ werde mit äußerster Ernsthaftigkeit betrachtet.
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Die Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Jad Vaschem kritisierte in einer Mitteilung, das Gesetz verharmlose direkt und indirekt den Anteil der Komplizenschaft von Teilen der polnischen Bevölkerung bei Verbrechen gegen Juden. Zwar sei der Ausdruck „polnische Todeslager“ falsch, da die Konzentrations- und Todeslager „von Deutschen im Nazi-besetzten Polen“ erbaut und geführt worden seien – „mit der ausdrücklichen Absicht, Europas Juden zu ermorden und zu vernichten“. Allerdings sei der richtige Weg gegen eine „historische Fehlinterpretation“ nicht die Kriminalisierung der Aussagen, sondern mehr Bildung über das Thema. Der ukrainische Staatspräsident Petro Poroschenko bezeichnete den Gesetzentwurf als „ungeeignet“: „Die historische Wahrheit erfordert offenes Gespräch und Dialog, keine Verbote.“ .

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Die Reaktion aus Warschau

Polens Regierung wies Kritik aus dem Ausland zurück. Mit dem Gesetz sollten in erster Linie alle Formen der Leugnung oder Verdrehung der Wahrheit über den Holocaust bekämpft werden, betonte das Außenministerium. Es richte sich zudem gegen die Verharmlosung der Verantwortung der wahren Täter.

Tomasz Kurianowicz schreibt dazu in der „Zeit“:

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„Das Beharren auf einer korrekten Formulierung ist das eine, Strafen und Gesetze sind etwas anderes. Die Bezeichnung „polnische Todeslager“ als Verbrechen zu ahnden, ist nichts anderes als ein Propagandamittel, eine Verschleierungstaktik, die verbergen soll, dass die polnische Regierung die Rede- und Meinungsfreiheit immer weiter einschränken will.

Es geht um Nuancen und kleine sprachliche Verschiebungen, die Teil eines komplexeren Vorgangs sind, um unangenehme historische Wahrheiten zu manipulieren und regierungskonform zu machen. Das Gesetz ist ein Schritt in einem Kulturkampf, an dessen Ende ein neues Polen stehen soll: ein patriotisches, nationalistisches Land, das nur eine Art von Geschichtsschreibung kennt, nur eine Perspektive und Wahrheit. Ein Bewusstsein für historische Schuld ist in diesem Selbstbild nicht vorgesehen, sondern allein die Opferrolle.“

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Dem ist nichts hinzuzufügen!

Hier ist der volle Text des neuen Gesetzes, übersetzt auf Englisch.

Hier ist der Text auf Deutsch – übersetzt von Klaus Bachmann. 

Polens Parlament beschließt Ende für sonntäglichen Einkaufsbummel

Wer zum ersten Mal nach Polen kommt, der staunt am Sonntag nicht schlecht. Die Geschäfte haben auf, am Tag des Herrn – und das in einem tief katholisch geprägten Land. Doch damit soll nun Schluss sein. 

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Der Sonntag ist den Polen heilig

Das polnische Parlament hat das weitgehende Aus für Sonntagsverkäufe beschlossen. Ab kommenden März sollen die Geschäfte nur noch am ersten und letzten Samstag eines Monats öffnen dürfen, heißt es in einem mit großer Mehrheit verabschiedeten Gesetz. Ab 2019 fällt auch der erste Sonntag im Monat als Einkaufstag weg. Ab 2020 gilt ein generelles Verbot – allerdings mit Ausnahmen: Vor Weihnachten, Ostern und an vier weiteren Sonntagen sollen Polen und Touristen weiter zum Einkaufsbummel gehen dürfen.

Bislang dürfen in Polen am Sonntag alle Geschäfte ohne gesetzliche Einschränkung öffnen. Durch ein weiteres Gesetz gaben die Abgeordneten den Kommunen das Recht, den Verkauf von Alkohol zwischen 22 Uhr und 6 Uhr zu verbieten.

Besonders Shopping-Malls sind bislang am Sonntag gut besucht. Nur an gesetzlichen Feiertagen dürfen sie ebenso wie Supermärkte nichts verkaufen.

Kirchen und Gewerkschaften sind dafür

Die nationalkonservative Regierung kann bei ihrem Vorhaben auf die Unterstützung von Gewerkschaften und Kirche zählen. Die Polnische Bischofskonferenz hatte das Parlament aufgerufen, für ein Ende der Sonntagsöffnung zu stimmen. Das würde jenen 1,3 Millionen Menschen, vor allem Frauen, helfen, die bislang sonntags in Geschäften arbeiten müssten. Die Gewerkschaften wollen, dass Einzelhandelsangestellte mehr Zeit mit ihren Familienangehörigen verbringen können. Die katholischen Bischöfe sind mit dem Gesetz grundsätzlich einverstanden, lehnen aber die Ausnahmen ab. Das Gesetz muss noch vom Senat gebilligt und von Präsident Andrzej Duda unterschrieben werden.

Ernüchternder Blick nach Ungarn

Kritiker warnen, dass die Umsätze sinken und Tausende Arbeitsplätze verloren gehen werden. Betroffen wären vor allem große Supermarktketten, die größtenteils in ausländischer Hand sind. In Ungarn hatte Ministerpräsident Viktor Orban 2015 den Geschäften ebenfalls die Sonntagsöffnung verboten. Das war bei den Wählern aber so unbeliebt, dass er das Gesetz gut ein Jahr später wieder aufhob.

Die EU stellt Polen an den Pranger

Das Europaparlament findet nicht immer deutliche Worte. Im Fall von Polen haben es die Abgeordneten getan. Kritisiert wird der Umbau der polnischen Justiz. Doch Warschau ist sich keiner Schuld bewusst. Polen will offensichtlich eine EU à la carte  

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Der Umbau der polnischen Justiz

Die Kritik ist massiv und fundamental. Grund ist der Umbau des polnischen Justizwesens. Dieser sei geeignet, die Unabhängigkeit der Justiz „strukturell zu schädigen“ und die Rechtsstaatlichkeit in Polen insgesamt zu schwächen, stellte das Straßburger Parlament in einer Entschließung fest. Zahlreiche Gesetze seien „ohne die Möglichkeit einer unabhängigen und rechtmäßigen Prüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit“ verabschiedet worden. Dies sei eine „Aushöhlung der Menschenrechte, der demokratischen Gewaltenteilung und der Rechtsstaatlichkeit“, heißt es in der Entschließung weiter. Polen verstoße damit eindeutig gegen Grundwerte der Europäischen Union.

Erste Schritte für Sanktionen

Das Parlament beschloss zudem erste Schritte für Sanktionen. Dies ist laut Artikel sieben der EU-Verträge möglich, wenn ein Land andauernd und schwerwiegend gegen Grundwerte der EU verstößt. In einem solchen Fall sind Sanktionen möglich – bis zum Stimmenentzug im Rat der 28 EU-Staaten. Der Justizausschuss des Parlaments soll nun eine Aufforderung an den Rat erarbeiten, den Artikel sieben anzuwenden.
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Polen verbietet sich „Einmischung“

Der Text wurde mit großer Mehrheit angenommen – gegen die Stimmen der Abgeordneten der polnischen Regierungspartei PiS, die vehement gegen die „Einmischung“ der Europaparlaments in polnische Angelegenheiten protestierten. Der Vize-Präsident der Kommission, Frans Timmermans, warf der rechtskonservativen polnischen Regierung Mangel an Dialogbereitschaft vor.
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Polen ist nicht bereit zur Kommunikation

Seit Juli habe die Kommission vier Briefe nach Warschau gesandt und um ein Treffen gebeten – vergebens. Die Einladung zum Dialog stehe immer noch. Allerdings könne die EU nicht funktionieren, wenn einzelne Staaten nur jene Regeln beachteten, die ihnen passten. Die EU sei kein Restaurant, in dem man sich à la carte bediene, sagte auch der Chef der sozialdemokratischen Fraktion, Gianni Pittella. Zudem setze ein Dialog zwei Gesprächspartner voraus. „Wenn einer von ihnen taub ist, wird das schwierig.“

Warschau beharrt auf dem eigenen Weg

Die Kommission liegt seit Anfang 2016 mit Warschau im Streit, als die nationalkonservative Regierung nach Ansicht Brüssels die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts beschnitt. Damals leitete die EU-Kommission ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen ein – erstmals überhaupt in der EU-Geschichte. Seither scheiterten alle Versuche der Kommission, Warschau im Dialog zur Umkehr zu bewegen. Die regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) beharrt trotz der Warnungen der EU auf dem geplanten Umbau des Justizsystem. So wurden erst im Juli zwei neue Gesetze verabschiedet, mit denen die Regierung ihre Kontrolle über die Besetzung von Richterstellen erheblich ausweitet

Aufmarsch von Nationalisten und Rechtsradikalen in Warschau

Der 11. November ist für die Polen ein besonderer Tag. Gefeiert wird der Jahrestag der Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit Polens im Jahr 1918. Dieses Jahr haben viele Polen die Innenstadt von Warschau aber gemieden. Der Grund: Tausende Nationalisten und Rechtsradikale sind bei einem sogenannten Unabhängigkeitsmarsch durch die Straßen der Hauptstadt gezogen.

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„Gott, Ehre, Vaterland“

Es war eine gespenstische Kulisse. Zahlreiche Teilnehmer des Marsches entzündeten bengalische Feuer. Sie riefen Slogans wie „Gott, Ehre, Vaterland“ und „Polnische Industrie in polnische Hände“. Die Polizei war mit einem Großaufgebot von rund 6000 Beamten im Einsatz, um die Menge unter anderem mit Absperrgittern unter Kontrolle zu halten.

Dieses Mal jährte sich der Gedenktag zum 99. Mal. Im Jahr 1918 war die lange Teilung Polens durch Preußen, Österreich-Ungarn und Russland überwunden worden. In der offiziellen Zeremonie in Warschau zum Nationalfeiertag hatten Präsident Andrzej Duda und weitere Spitzenpolitiker am Grabmal des unbekannten Soldaten Kränze niedergelegt. Auf Einladung Dudas nahm an diesen Feierlichkeiten auch EU-Ratspräsident Donald Tusk teil. „Kein Politiker in Polen hat oder wird in Zukunft ein Monopol auf den Patriotismus haben“, mahnte der Ex-Ministerpräsident der oppositionellen Bürgerplattform (PO). Wegen umstrittener Justizreformen hatte die EU Ende Juli ein Verfahren gegen die nationalkonservative Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Warschau gestartet.

Der Unabhängigkeitstag sei in einer „sehr guten Atmosphäre“ verlaufen, sagte Innenminister Mariusz Blaszczak von der national-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). „Wir konnten die weiß-roten Fahnen in den Straßen Warschaus sehen, das war ein schöner Anblick“, merkte er der Agentur PAP zufolge an. Gefragt nach rassistischen Spruchbändern wie „Weißes Europa“ oder „Reines Blut“ sagte der Innenminister, er habe diese „persönlich nicht gesehen“. Man dürfe solchen „Vorkommnissen“ nicht alles unterordnen.

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Nationalisten und Rechtsradikale

Diese mahnenden Worte interessieren die Nationalisten und Rechtsradikale aber nicht. Es sind vor allem Männer, junge und alte, viele mit rot-weißen Armbinden, dem Ankersymbol des Warschauer Aufstands 1944, Eisernem Kreuz. Die Stimmung ist martialisch, insbesondere rund um den nahe gelegenen Kulturpalast versammelt sich die extreme Rechte. Auf dem Boden liegen unzählige leergetrunkene Wodka-Flaschen, dank der 24-Stunden-Alkoholshops ist auch am Feiertag immer für Nachschub gesorgt.

Wenige Hundert Meter weiter am Plac Zbawiciela ist die Stimmung anders: Hier trifft sich eine bunte Mischung aus Antifa, den Oppositionsparteien Razem und Nowoczesna, früheren Anarchos, Studenten und Altlinken, die schon in den Achtzigerjahren gegen die russische Unterdrückung demonstriert haben. Studenten und Hipster mischen sich unter Menschen im Rollstuhl und auf Krücken, im Hintergrund läuft Musik von Scooter.
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Vom Krieg traumatisiert

Begonnen haben die Märsche zum polnischen Unabhängigkeitstag 2009, damals noch mit wenigen Hunderten, ausschließlich polnischen Teilnehmern. Mittlerweile kommen jedes Jahr bis zu 100.000 Menschen. Dass der Marsch der Nationalisten ausgerechnet in Warschau diese Ausmaße annimmt, ist aus mehreren Gründen paradox: Warschau lag 1945 in Schutt und Asche, das Land war durch Holocaust und Krieg traumatisiert. Die Polen haben unsäglich unter Faschismus und Extremismus gelitten – und doch preisen nun Rechtsradikale die Nation.

Der Londoner „Guardian“ kommentiert den Aufmarsch von Rechtsradikalen am polnischen Unabhängigkeitstag:

„Wenn es eine Lektion gibt, die jeder Europäer – und nicht nur die jüdischen – aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelernt hat, dann lautete sie „Niemals wieder“. Doch niemals wirkte diese Devise hohler als bei der Parade von rund 60 000 Leuten, meist Männer, durch die Straßen von Warschau. Zumeist mit der Losung „Wir wollen Gott“, aber es wurden auch ein „Weißes Polen“, ein „Holocaust für Muslime“ und eine „Brüderschaft weißer Nationen“ gefordert. (…)

Überzeugte Nazis sind noch ein sehr kleiner Teil dieser Bewegung. Wir sehen keine Rückkehr zu 1930. Aber die Losungen erinnern an Geschehnisse vor 80 Jahren. Was wir erneut erleben, ist eine wachsende Schar von Männern, die wissen, dass die Wirtschaft keine würdevolle Verwendung für sie hat und die meinen, dass diese Beleidigung ihres Selbstwertgefühls zugleich eine Beleidigung der Nation, der Religion oder gar der Rasse sei, auf die sie stolz sind. Und über alle drei bringen sie mit ihrer Reaktion Schande. Dies sind gefährliche Emotionen.“

Keine „polnischen Vernichtungslager“

Das Thema kommt so sicher wie der Sommer. Polens Regierung hat ein neues Gesetz auf den Weg gebracht. Es sieht Haftstrafen von bis zu drei Jahren für Personen vor, die von „polnischen Konzentrationslagern“ sprechen, wenn die Rede von Lagern des NS-Regimes ist, die die Nazis auf dem Gebiet des heutigen Polen betrieben.

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Auschwitz war ein deutsches KZ, kein polnisches Lager! Wer anderes behauptet, soll bald unter Strafe gestellt werden. (Foto: Wikipedia)

Damit die Geschichte nicht vergessen wird

Der Hintergrund der Initiative ist mehr als verständlich. Immer wieder sprechen selbst hochrangige Politiker von „polnischen KZs“. Selbst US-Präsident Barack Obama ist dieser Fauxpas schon unterlaufen.

Die Regierung der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) befürchtet nun, dass mehr als 70 Jahre nach Kriegsende durch einen Ausdruck wie „polnische Konzentrationslager“ in Vergessenheit geraten könnte, wer Treblinka, Auschwitz und andere KZs betrieben hat: die Besatzer aus Nazideutschland – und nicht Polen. Im Zweiten Weltkrieg kamen rund 5,5 Millionen Polen ums Leben, davon rund drei Millionen Juden.

Die Polen sind für das Gesetz

Das Gesetz hat immer wieder Konjunktur und wird seit Jahren diskutiert. Die Chancen, dass das Gesetz dieses Mal im Parlament durchkommt sind hoch. Dort hat die PiS die Mehrheit. Auch viele Polen stehen hinter der Initiative.

Aber es gibt auch Kritik. Vor allem Intellektuelle befürchten, dass die national-konservative Regierung mit dem Gesetz eine Art Ablenkungsmanöver betrieben wird und die Aufarbeitung des Umgangs von Polen mit Juden zu unterdrückt werden solle.

Es regt sich Kritik

Das Land arbeitete zwar nie mit den Nazis zusammen, viele Polen riskierten ihr Leben, um Verfolgte zu retten. Aber es gab in Polens Bevölkerung auch Kollaborateure, die Juden umbrachten oder an die Deutschen verrieten. Das läuft der nationalistischen Deutungsweise der Regierung zuwider. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die heroischen Aspekte der polnischen Geschichte herauszustellen.

Warnschuss für die polnische Politik

Der Ausgang der Präsidentenwahl in Polen zeigt zwei Dinge: das Land ist noch immer tief gespalten. Und  das Volk zweifelt an der Demokratie. Den Politikern sollte das eine Warnung sein.

15.05.11-komoKomorowski erklärt, warum er im ersten Wahlgang nur den zweiten Platz belegt hat.

Polen ist tief gespalten. Das ist die deutlichste Erkenntnis der ersten Runde der Präsidentenwahl. Während der national-konservative Andrzej Duda vor allem im Osten und auf den Dörfern punktete, sammelte der liberal-konservative Bronislaw Komorowski im Rest des Landes und in den Städten die Stimmen ein. Es zeigt sich, dass in Polen zwei Gesellschaften nebeneinander existieren. Den pro-europäischen Politikern ist es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, das Land zu einen. Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem EU-Beitritt fühlen sich viele Menschen im Osten Polens  als Verlierer und bangen um ihre nationale Identität. So gesehen ist das Ergebnis ein Warnschuss –  nicht nur für die  Regierung, sondern für alle Politiker in Polen.

Die Wahlbeteiligung ist schlecht

Doch die Volksvertreter haben noch ein weit größeres Problem. Nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten hat sich bei dieser wichtigen Abstimmung überhaupt die Mühe gemacht, an die Urnen zu gehen. Deutlicher könnten die Menschen ihre Zweifel an der Demokratie kaum ausdrücken. Zumindest Komorowski scheint eine erste Lehre aus seiner Niederlage im ersten Durchgang gezogen zu haben. Er schlägt  jetzt ein Referendum über die Vergabe aller Parlamentssitze in Direktwahl vor –  eine Idee, die er vor der Wahl noch brüsk zurückgewiesen hätte.