Die Balkanroute der Flüchtlinge – eine Übersicht

Die Grenze von Kroatien zu Slowenien gerät auf der sogenannten Balkanroute zu einem neuen Brennpunkt in der Flüchtlingskrise. Tausende Menschen sind dort gestrandet. Slowenien sieht sich dem Ansturm nicht gewachsen und setzt nun sogar sein Militär für den Grenzschutz ein. Die Staaten auf der Balkanroute gehen beim Schutz ihrer Landgrenzen unterschiedlich vor. Und auch die angrenzenden Staaten spielen eine Rolle. Eine Übersicht:

greichenland GRIECHENLAND: Schon seit einigen Jahren strömen Flüchtlinge zu Tausenden auf der Balkanroute in Richtung Europa. Aus diesem Grund hat Griechenland mit Unterstützung der EU bereits Ende 2012 an der Landgrenze zur Türkei einen Zaun gebaut – zehn Kilometer lang, drei Meter hoch, mit Stacheldraht bewehrt. Inzwischen kommen die Flüchtlinge mit Booten über das Meer, viele stranden auf den griechischen Inseln.

mazedonien MAZEDONIEN: Das kleine Land hat vor dem Ansturm der Flüchtlinge kapituliert. Geplant war, die Flüchtlinge in kleinen Kontingenten durch das Land zu schleusen, inzwischen hat Mazedonien den Schutz seiner Grenze zu Griechenland und Serbien praktisch eingestellt und die Flüchtlinge können ungehindert und ohne Registrierung passieren.

serbien-grenze zu kroatien SERBIEN: Auch Serbien ist ein „Transitland“. Das heißt, die Flüchtlinge bleiben nur ein oder zwei Tage im Land. Die Regierung versucht, den ankommenden Flüchtlingen so gut wie möglich zu helfen und sie auch zu registrieren – aufgehalten werden sie nicht. Allein in diesem Jahr sollen schon mehr als 250.000 Menschen das Land durchquert haben. An Sammelstellen werden sie mit Essen und Trinken versorgt und sie können sich ausruhen.

ungarn UNGARN: Im Sommer kam es in der Hauptstadt Budapest zu Tumulten, als Tausende Flüchtlinge weiter nach Österreich wollten. Angesichts dieser Szenen hat Ungarn seien Grenze zu Serbien mit einem Zaun abgeriegelt. Kurz darauf wurde auch die Grenze zu Kroatien geschlossen. Die Armee wurde durch eine Gesetzesänderung ermächtigt, im Krisenfall die Grenzschutzpolizei zu unterstützen. Premier Victor Orban fährt eine harte Linie und will das „Erbe“ Europas verteidigen.

kroatien KROATIEN: In Kroatien stauen sich die Flüchtlinge an der Grenze zu Slowenien. Aus diesem Grund hat die Polizei erstmals begonnen Flüchtlinge an der Einreise in das Land zu hindern. Am serbisch-kroatischen Grenzübergang Bapska stoppte die Polizei die Menschen. Nachdem Ungarn seine Grenze dicht gemacht hat, leitete Kroatien die Flüchtlinge in Richtung Slowenien, was zu schweren politischen Konflikten zwischen den beiden Ländern geführt hat.

Slowenien SLOWENIEN: Seit Ungarn die Grenzen geschlossen hat, ist Slowenien der Brennpunkt auf der Balkanroute. Ziel des Landes war es, den Strom dort zu verlangsamen und zu kanalisieren.  Angesichts der Masse an Menschen wird das aber immer schwieriger. Die Regierung hat nun seine Polizei mit Sonderausrüstung an allen für Flüchtlinge erreichbaren Grenzpunkten postiert und setzt nun auch Militär zur Grenzsicherung ein.

Österreich-Salzburg Bahnhof ÖSTERREICH: Auch Österreich hat wegen des Zustroms von Flüchtlingen die Armee zur Hilfe an den Grenzen nach Ungarn und Slowenien gerufen. Neben Grenzkontrollen leisten sie auch Hilfe bei der Unterbringung und Verpflegung der Menschen. Angesichts der Probleme in Slowenien und Massenpaniken vorzubeugen haben die Grenzschützer zuletzt Hunderte Flüchtlinge einfach passieren lassen. Der Zugverkehr im Grenzgebiet ist inzwischen eingestellt.

Solidarität statt Nationalismus

Die Flüchtlingskrise droht Europa zu spalten. Das muss verhindert werden – mit allen Mitteln.

Ein Kommentar:

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Die Augen verschlossen

Niemand soll sagen, die Krise komme  überraschend. Seit vielen Jahren suchen Flüchtlinge den Weg nach Europa. Hunderttausende sind über das Mittelmeer gekommen, Tausende sind auf der Überfahrt ertrunken. Die Länder im Norden der EU haben die Augen verschlossen, weil die Länder im Süden für dieses Problem zuständig waren. So lautete die  Regelung in der Europäischen Union. Man war allenfalls bereit, Flugzeuge oder Boote für die Grenzschutzagentur Frontex abzustellen. Irgendwann war man  abgestumpft. Bilder von überfüllten Schlauchbooten oder angeschwemmten Leichen waren schrecklich, aber Lampedusa ist weit weg. Es herrschte das Sankt-Florians-Prinzip.

Spätestens als der Arabische Frühling  nicht die erhoffte Demokratie brachte, sondern  die ganze Region destabilisierte, waren die Tage der vermeintlichen Ruhe in Europa gezählt. Nach Jahren des vergeblichen Wartens auf Besserung verloren Hunderttausende in Syrien, Libyen oder auch im  Sudan die Hoffnung. Also machten sie sich auf den Weg. Es ist seitdem eine Abstimmung mit den Füßen – gegen den Krieg, für ein menschenwürdiges Leben. Nun sind diese entwurzelten Menschen bei uns, wir können nicht mehr wegschauen.

Eine große Hilfsbereitschaft

Der Strom der  Flüchtlinge schiebt sich auf der  Balkanroute in Richtung Westen. Grenzen, Zäune, Soldaten, schlechtes Wetter – kein Hindernis kann diese Hilfesuchenden aufhalten, was den Grad ihrer Verzweiflung ermessen lässt. Natürlich fördert die Katastrophe auch Positives zu Tage. Erstaunlich ist die Gelassenheit und die Hilfsbereitschaft, mit der die Menschen auf dem Balkan den Flüchtlingen begegnen. Vielen Mazedoniern, Serben, Kroaten oder Slowenen ist noch  in Erinnerung, dass sie während der Kriege in den 90er-Jahren selbst auf der Flucht  und auf Hilfe angewiesen waren.  Anders auf staatlicher Ebene, dort  tun sich  Abgründe auf.

Erschreckend ist das Ausmaß der Entsolidarisierung Europas. Nur zwei Beispiele: Kroatien karrt Busladungen von Flüchtlingen durchs Land und kippt sie dem Nachbarn Slowenien förmlich vor die Grenze.   Und Ungarn macht die Schotten dicht und erklärt die Krise zu einem rein deutschen Problem. Es herrschen der blanke Nationalismus und bisweilen das reine Chaos. Das reiche Westeuropa hält sich mit Belehrungen zu Recht  zurück.  Schließlich geben wir  selbst eine desolate Figur ab. Gegenseitige Schuldzuweisungen haben den Gemeinschaftssinn verdrängt. Es gelingt nicht einmal, einige Zehntausend Flüchtlinge fair auf alle Staaten der EU zu verteilen.

Balkan-Gipfel in Brüssel

Was ist in solch einer Lage von dem Balkan-Gipfel am Sonntag mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und acht weiteren Staats- und Regierungschefs in Brüssel zu erwarten? Das Minimalziel muss sein, dass sich die Staaten entlang der Balkanroute auf  eine gemeinsame Lösung einigen. Die Flüchtlinge müssen besser versorgt werden und bereits dort muss geprüft werden, wer von den Ankommenden eine Chance auf Asyl hat und wer nicht. Serbien betont immer wieder, dass das Land bereit wäre, mehr zu machen, wenn klar gesagt wird, was die Kernaufgabe Belgrads in dieser Krise ist – und natürlich handfeste Hilfe von Brüssel kommt. Ähnlich äußern sich die anderen Länder. Kroatien hat bereits um winterfeste Zelte und Schlafsäcke gebeten. Slowenien will neben Finanz- und Materialhilfe sogar Polizisten aus anderen EU-Mitgliedsländern einsetzen.

Die Mächtigen Europas wissen also sehr genau, was  von ihnen in der aktuellen Situation gefordert ist. Dieser Gipfel wird nicht die ganz große Lösung bringen, aber er könnte der erste Schritt dazu sein. Sollte es keine greifbaren Ergebnisse geben, werde man ebenfalls einen Grenzzaun bauen, lautete am Freitag die unverhohlene Drohung aus Slowenien. Die Not der Flüchtlinge würde dann noch größer und das freie Europa noch ein Stück kleiner.

Ein Zaun gegen die Flüchtlinge

Ein Zaun soll es nun also richten. In der allgemeinen Kakophonie der guten Ideen hat sich nun auch die deutsche Polizeigewerkschaft zu Wort gemeldet. Angesichts des anhaltenden Flüchtlingsandrangs hat sie den Bau eines Zauns an der Grenze zu Österreich gefordert.

ungarn Der Zaun in Ungarn – wird er das Vorbild für einen möglichen Zaun in Deutschland?

Eine Art Kettenreaktion

„Wenn wir ernst gemeinte Grenzkontrollen durchführen wollen, müssen wir einen Zaun entlang der deutschen Grenze bauen“, sagte Gewerkschaftschef Rainer Wendt der Zeitung „Welt am Sonntag“ aus Berlin. Natürlich wäre der deutsche Zaun nicht der einige Zaun, der Europa dann durchschneiden würde. Wendt hofft auf eine Art Kettenreaktion. „Wenn wir auf diese Weise unsere Grenzen schließen, wird auch Österreich die Grenze zu Slowenien schließen, genau diesen Effekt brauchen wir.“

Die Forderung des Gewerkschafters ist zu verstehen – einerseits. Denn die Beamten sind wegen der Flüchtlingskrise seit Monaten an der Belastungsgrenze. Dass sie diese Belastung ziemlich klaglos wegstecken, ist bewundernswert.

Die Tragweite solcher Worte

Andererseits muss sich Wendt der Tragweite seiner Worte bewusst sein. Kein anderes Volk hat so sehr vom Fall des Eisernen Vorhanges profitiert wie Deutschland. Damit begann eine neue Epoche, in der es keine unüberwindbaren Grenzen in Europa mehr geben sollte. Die Menschen sollten frei reisen können, von einem Land ins andere.

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Diese Freiheit hat aus Sich vieler Menschen in Europa nun allerdings einen Nachteil: Es kommen auch Menschen ins Land, die sie nicht wollen. Zum Beispiel Flüchtlinge. Die bringen nun, nach Ansicht des Polizeigewerkschafters, die bestehende Ordnung in Gefahr. Das Signal „Kommt alle her“ dürfe Deutschland nicht mehr länger aussenden, sagte Wendt und warnte: „Unsere innere Ordnung ist in Gefahr, wir stehen vor sozialen Unruhen, jemand muss jetzt die Notbremse ziehen.“ Dies wiederum könne nur Bundeskanzlerin Angela Merkel sein.

Eine Notwehr-Situation?

Mit solch einem Satz verlässt Wendt das Terrain, auf dem er erklärtermaßen Fachmann ist, und begibt sich auf der Gebiet der Politik. Dabei eifert er offenbar dem Bayereischen Ministerpräsidenten Horts Seehofer nach, der auch schon von einer Notwehr-Situation schwadronierte, in der sich Deutschland befinde. Es scheint in Deutschland allmählich wieder hoffähig zu werden, dem Populismus nachzuhängen.

Doch ist ein Zaun wirklich die Lösung? Wohl kaum. Erinnert sei an den Grenzzaun, den die USA an der südlichen Grenze zu Mexiko errichtet haben – mit begrenztem Erfolg. Denn Zäune lassen sich überwinden, wie auch das Beispiel der spanischen Exklaven Melilla und Ceuta auf marrokanischem Gebiet zeigen.

Im europäischen Trend

Einen Zaun zu bauen – und die Forderung danach – liegt im europäischen Trend. Die gesamte EU versucht sich seit Langem abzuschotten gegen die Flüchtlinge, die in immer größerer Zahl nach Europa wollen. Ungarn versucht sich einzuigeln und es gibt einen Zaun an der Grenze von Griechenland zur Türkei, zwischen Bulgarien und der Türkei und schließlich auch in Calais. Dort sollen die Flüchtlinge daran gehindert werden, nach Großbritannien zu gelangen.

Zudem hat die europäische Grenzschutzeinheit Frontex hat auf dem Mittelmeer nicht die primäre Aufgabe, Menschen in Seenot zu retten, sondern Flüchtlinge daran zu hindern, sich mithilfe von Schleppern auf den Weg Richtung Italien oder Griechenland zu machen.

Einschränkung des Asylrechts

Auch Deutschland hat sich bereits vor 20 Jahren abgeschottet – mit der Einschränkung des Asylrechts und dem Prinzip der sicheren Drittstaaten. All das verhindert aber nicht, dass in immer mehr Menschen als 2014 nach Deutschland und in andere EU-Staaten kommen werden. Denn Menschen, die vor Krieg, Not und Verfolgung fliehen, lassen sich von Grenzzäunen, Patrouillenbooten und bürokratischen Hürden nicht aufhalten.

Europas historisches Versagen liegt darin, dass es keine gemeinsame Antwort auf das millionenfache Elend der Flüchtlinge findet, zum Beispiel in Form einer gerechten Verteilung der Asylbewerber auf die einzelnen Mitgliedsstaaten. Zudem wird mit der Ankunft dieser Menschen deutlich, dass die Konflikte an der europäischen Peripherie zu lange nicht beachtet wurden. Europa hat die Augen verschlossen und die eigene Verantwortung immer klein geredet. Der Arabische Frühling wurde bejubelt, so lange er von uns keine eigenen Anstrengungen abverlangte. Nun müssen wir zeigen, ob wir die Werte von Demokratie, Freiheit und Menschlichkeit, die wir von anderen Staaten immer wieder in höchsten Tönen einfordern auch in der eigenen Krise bereit sind zu leben.